Arzneimittel und Therapie

Ticagrelor überzeugt bei akutem Koronarsyndrom

Wichtiger Baustein der Therapie des akuten Koronarsyndroms ist eine ausreichende Antikoagulation auch über die Therapie der akuten Phase hinaus. Insbesondere nach invasiven Eingriffen ist für eine Behandlung mit Acetylsalicylsäure plus einem weiteren Thrombozytenaggregationshemmer ein Überlebensvorteil nachgewiesen. Der bisherige Standard Clopidogrel musste sich mit der neuen Substanz Ticagrelor in einer Vergleichsstudie messen: Ticagrelor konnte die Sterberaten bei Infarktpatienten verringern, ohne dabei die Anzahl von Blutungsereignissen zu steigern.
Verschiedene Signalwege, die zur Thrombozytenaktivierung führen, werden durch Pharmaka beeinflusst. Mit Clopidogrel, Prasugrel und bald auch Ticagrelor stehen drei Antagonisten am P2Y12-Adenosinrezeptor zur Verfügung.

Das akute Koronarsyndrom wird nach EKG-Befund und dem Laborparameter Troponin in einen ST-Hebungsinfarkt (STEMI) und einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) unterschieden. Invasive Behandlungsverfahren wie die perkutane transluminale Angioplastie (PCA) bei der das verengte Gefäß durch Ballondilatation aufgedehnt wird, haben die medikamentöse Lysetherapie des Thrombus nahezu vollständig abgelöst. Da die durch eine Intervention verletzte Gefäßintima mit gesteigerter Gerinnungsaktivität reagiert, ist eine sogenannte duale Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure plus Clopidogrel oder Prasugrel notwendig. Wird während der perkutanen transluminalen Angioplastie ein Stent eingesetzt, um das Gefäß dauerhaft offenzuhalten, besteht die Wahl zwischen einem medikamentenfreisetzenden und einem reinen Metallstent. Nach Einsetzen eines medikamentenfreisetzenden Drug eluting Stent (DES) muss die Antikoagulation sogar über zwölf Monate durchgeführt werden.

Therapiebeginn vor Intervention

In der vorliegenden Studienauswertung wurde die Wirksamkeit von Ticagrelor bei denjenigen Patienten der PLATO-Studie, die mit einem invasiven Verfahren behandelt wurden, gegen Clopidogrel untersucht. Ticagrelor ist ebenfalls ein Antagonist am P2Y12-Adenosinrezeptor der Thrombozyten und scheint auch die Eigenschaften von Erythrozyten günstig zu beeinflussen. Ticagrelor wird im Vergleich zu Clopidogrel schneller aus dem Darm resorbiert, es muss nicht erst in der Leber in dem für Wechselwirkungen anfälligen P450-System aktiviert werden, und es bindet reversibel am P2Y12-Rezeptor auf den Thrombozyten.

Von den insgesamt 18.624 Studienteilnehmern wurden 13.408 Patienten zwischen 2006 und 2008 in 862 Studienzentren in 43 Ländern vor Durchführung einer Intervention in zwei etwa gleich starke Gruppen randomisiert. Die Patienten der Ticagrelor Gruppe erhielten vor ihrer Intervention doppelblind im Double-Dummy-Prinzip 180 mg als "Loading-Dose" und zweimal täglich 90 mg für sechs bis zwölf Monate als Erhaltungsdosis. Im Clopidogrel-Arm wurde nach der Initialdosis von 300 mg mit einmal 75 mg pro Tag weitertherapiert. Alle Studienteilnehmer erhielten ferner 75 bis 100 mg Acetylsalicylsäure.

Die Studie in Zahlen

Gesamtpopulation der PLATO- Studie 18.624 Patienten

ausgewertete invasive Behandlungen 13.408 Patienten

Anteil der Frauen 25%

Diagnose STEMI 6575 (49,1%)

Diagnose NSTEMI 6805 (50,9%)

Ticagrelor Arm
(n = 6651)

Clopidogrel Arm
(n = 6585)

sekundärer Studienendpunkt

(Tod- "all cause death" + 
Herzinfarkt + Schlaganfall)

595 (9,4%)

701 (11,2%)

Sicherheitsendpunkt Blutungen:

– schwere Blutungen

– Blutungen unter Bypass-OP

– gesamte Blutungen


 

689 (11,5%)

430 (7,1%)

961 (16,0%)


 

691 (11,6%)

480 ( 8,0%)

883 (14,7%)

Rate der diagnostisch 
gesicherten Stent-Thrombosen:

– Drug-eluting-Stent

– Bare-metal-Stent



 

1,3%

1,4%



 

1,8%

2,1%

Harte Endpunkte

Der primäre kombinierte Endpunkt von Tod kardiovaskulärer Ursache, durch Herzinfarkt oder Schlaganfall wurde im Nachbeobachtungszeitraum von 360 Tagen in der Ticagrelor-Gruppe seltener erreicht (569 Fälle, 9%) als in der Clopidogrel-Gruppe (668 Fälle, 11%). Unter Berücksichtigung der sekundären Endpunkte ergibt sich eine relative Risikoreduktion für die Gesamtsterblichkeit von 20%, was für 1000 für ein Jahr behandelte Patienten elf Todesfälle weniger und 13 Myokardinfarkte weniger bedeutet. Diese Tendenz konnte für eine große Zahl untersuchter Subgruppen bestätigt werden.

Blutungsrate nicht erhöht

Wichtigster Sicherheitsendpunkt war das Blutungsrisiko, das nach verschiedenen Risikoscores erfasst wurde. Hier zeigten beide Therapien in den untersuchten Kategorien keine signifikanten Unterschiede. Das Blutungsrisiko der Bypass-operierten Patienten wurde sogar geringfügig verringert. Ticagrelor führte allerdings in 14% der Fälle zu Episoden von Atemnot, was das Autorenteam mit einer Hemmung der Adenosin-Aufnahme in die Erythrozyten erklärt.

Neuer Standard für die Zukunft?

Diese ermutigenden Ergebnisse werden zum einen darauf zurückgeführt, dass Ticagrelor kein Prodrug ist wie Clopidogrel und daher der Wirkungseintritt nicht vom individuellen Enzymstatus des Patienten abhängt. Zum anderen ist Ticagrelor der bislang erste Wirkstoff mit reversibler Wirkung auf die Thrombozyten, was möglicherweise das geringere Blutungsrisiko erklärt.

Die Fortschritte im Patientenoutcome dieser großen internationalen Endpunktstudie werden von den Autoren als ähnlich bedeutsam bewertet, wie in der Vergangenheit die Einführung von Streptokinase oder Alteplase in die Therapie des STEMI. Der Kommentar des Lancet sieht Ticagrelor sogar als neue Standardsubstanz in der Therapie des akuten Koronarsyndroms und entwirft eine zukünftige risikostratifizierte Therapiestrategie. Danach bliebe Clopidogrel Patienten mit geringerem Restenose- und höherem Blutungsrisiko vorbehalten, ferner Fällen für die das zweifach tägliche Einnahmeschema von Ticagrelor ein Hindernis darstellen könnte.

Quelle Cannon, CP, et al.: Comparison of ticagrelor with clopidogrel in patients with a planned invasive strategy for acute coronary syndromes (PLATO): a randomised double-blind study; Lancet 2010;375: 283 – 93 DOI:10. 1016/ S0140-6736 (09)62191 – 7. Stone, G.W.: Ticagrelor in ACS: redefining a new standard of care? Lancet (2010) 375: 263 – 265.


Apotheker Peter Tschiersch

 

Zum Weiterlesen


Akuter Herzinfarkt – Rasches Handeln ist nötig

DAZ 2010, Nr. 7, S. 37-39.

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