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Interpharm 2010
Gehört den Arzneimittellisten die Zukunft?
Das Problem ist bekannt: Die Vielzahl der Steuerungsinstrumente im Arzneimittelmarkt ist kaum noch zu überschauen. Zudem konterkarieren sich einige der Regelungen gegenseitig. Reicht es nun, einzelne Regelungen wieder zu streichen? Oder muss das System auf gänzlich neue Füße gestellt werden? Aus Sicht der Diskutanten ist ein großer Wurf, mit dem alles anders und besser würde, kaum realistisch. Ein beherztes Zusammenstreichen der bestehenden Regelungen wäre jedoch dringend nötig. Wille meint, man könne mit wenigen Instrumenten auskommen, darunter die Negativliste, kassenspezifische Arzneimittellisten und Arzneimittelvergleichsgruppen. Froese würde am liebsten nur an den Festbeträgen und der mit diesen verbundenen Zuzahlungsbefreiung festhalten und setzt zudem auf eine Neugestaltung des Zugangs von Innovationen zum Erstattungsmarkt. Auch Glaeske hält es für notwendig, zu verändern und streichen.
Das Für und Wider der Rabattverträge
Für besonders erregte Diskussionen sorgt nach wie vor das Instrument der Rabattverträge. Auch wenn Glaeske diese sicherlich nicht verteufelt – unkritisch sieht er sie keinesfalls. So fehlt ihm eine Evaluation der Verträge, um ihre Folgewirkungen abzuschätzen. Skeptisch macht ihn auch, dass bei den Rabattverträgen niemand über eine Mengenkomponente nachdenkt. Ärzte, die Rabattarzneien verordnen, müssen keine Wirtschaftlichkeitsprüfung fürchten. Als Folge sei festzustellen, dass ihre Preissensibilität nachlasse. Der bloße Blick auf die Kosten bei den Rabattverträgen greife zu kurz. Nötig sei zudem eine größere Planbarkeit bei den Rabattverträgen – und zwar für alle Beteiligten. So sei der kürzeste Vertrag zwei Monate gelaufen – "ein Skandal", meint Glaeske. Die längsten Verträge erstrecken sich über vier Jahre. Auch das findet keine uneingeschränkte Zustimmung bei Glaeske: "Vielleicht ändert sich der Markt zwischenzeitlich so, dass der Vertrag etwas zementiert, das wir gar nicht wollen." Für den Bremer Arzneimittelexperten ist es überdies ein "Trauerspiel", dass die Apotheker nicht viel stärker in die Konzeption und Umsetzung der Rabattverträge eingebunden werden. Nicht zuletzt deshalb, weil Umfragen zeigten, dass die Versicherten sich von ihren Kassen nur unzureichend über die Verträge informiert fühlen.
Wille ist dagegen ein bekennender Anhänger der Rabattverträge. Sie seien ein normaler Bestandteil des Wirtschaftslebens. Auch die Pharmaindustrie sollte zufrieden sein: Schließlich ziehe sie angesichts der deutschen Referenzpreise Rabatte gegenüber Preissenkungen vor. Für Patienten könnten die Verträge ebenfalls vorteilhaft sein: So müssten viele Diabetiker, die gut auf Analoginsuline eingestellt waren, auf ihr Medikament verzichten, gäbe es keine Rabattverträge. Für die Zukunft setzt Wille darauf, dass sich im patentgeschützten Bereich mehr Verträge mit einem ergebnisorientierten Ansatz finden werden. Auch wenn die ersten Verträge dieser Art noch nicht ideal gewesen sein mögen, sei dies kein Grund, das ganze Instrument zu verwerfen, betonte er. Vorstellen kann er sich auch Portfolioverträge zwischen Kassen und Arzneimittelherstellern, die sowohl Generika als auch Solisten im Sortiment haben.
Keine Angst vor aut simile?
Was die patentgeschützten Arzneimittel betrifft, so gibt es im Bundesgesundheitsministerium die Überlegung, dass "Nicht-Solisten", die trotz Patent im Wettbewerb mit ähnlichen Präparaten stehen, ausgeschrieben werden sollen. Müller-Bohn betonte, dass eine Jahrhundert-lange Tradition gebrochen werde, wenn dies zur Folge hätte, dass Apotheken künftig eine Aut-simile-Substitution vornehmen sollen. Glaeske und Wille sehen hier allerdings kein Problem. Glaeske verwies auf die Ausführungen im letzten Gutachten des Sachverständigenrates. Darin plädieren die Regierungsberater für regionalisierte, sektorübergreifende und populationsbezogene Versorgungsstrukturen mit einem anderen Honorierungsmodell (Capitation-Modell). In diesem Rahmen soll es auch möglich sein, im Arzneimittelbereich auszuschreiben und Arzneimittellisten – gerade unter Einbeziehung der apothekerlichen Kompetenzen – zu etablieren. Die Beteiligten eines solchen Versorgungssystems könnten sich dann dort, wo eine Substitution möglich ist, darauf einigen, welche Arzneimittel angewendet werden. Ein Aut-simile-Austausch wäre hier sicher eine neue Struktur, so Glaeske, die er innerhalb eines solchen Versorgungssystems aber "gerne einführen" würde. Wille hält es ebenfalls für denkbar, dass ein patentgeschütztes Arzneimittel, das sich in der therapeutischen Wirkung nicht von anderen Präparaten unterscheidet, in den Arzneimittellisten als "ähnlich" behandelt wird. Hier wäre eine Substitution ohne Nachteile für den Patienten möglich. Allerdings könne der Arzt die Substitution auch stets mit einer Begründung ausschließen. Zudem solle keine Kasse zu engen Listen gezwungen werden – sie seien lediglich eine Option. Versicherte, denen das Angebot ihrer Kasse zu rigide erscheine, werden abwandern, so Wille.
Knackpunkt Apothekenhonorar
Am Ende jeder Diskussion um mehr Wirtschaftlichkeit und Effektivität in der Arzneimittelversorgung steht somit die Erkenntnis, dass Apotheker ihre Kompetenzen stärker einbringen sollten. Die Frage bleibt jedoch: Sollen sie dafür am Ende noch weniger Geld bekommen oder sollte man nicht besser in sie investieren? Glaeske sprach sich
in diesem Zusammenhang für mehr Differenzierung aus. "Wieso sollen alle 21.000 Apotheken das Gleiche bekommen?" Für ihn ist einleuchtend, dass derjenige, der sich engagiert und damit positive Qualitätseffekte erzielt, auch mehr bekommt. Doch hiergegen wehrten sich die Standesorganisationen beharrlich. Froese betonte, dass so etwas "nicht mit dem Rasenmäher" funktioniere. Man könne das Apothekenhonorar nicht erst auf 4,80 Euro kürzen und dann langsam wieder aufsetzen. "Da muss man vorsichtig vorgehen". Der frühere Hausapothekenvertrag der Barmer sei hier ein Anfang gewesen. Was die grundsätzliche Idee angeht, bei den Distributionskosten für Arzneimittel zu sparen, zeigte sich Glaeske auf der Interpharm weitaus zahmer als in einigen Fernsehbeiträgen der vergangenen Wochen. Von den rund 32 Milliarden Euro Arzneimittelumsatz der GKV fielen 4,2 Milliarden Euro auf die Distribution – "kann man das nicht noch einmal diskutieren?". Er jedenfalls sehe viele Möglichkeiten, wo sich Apotheker beteiligen könnten.
ks
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