Interpharm 2010

Auf dem Weg zu einem neuen Apotheken-Recht-Tag?

Auf erfreuliche Resonanz ist das Forum Apotheke&Recht gestoßen, das in diesem Jahr auf der Interpharm Premiere feierte: 65 Teilnehmer begleiteten den Hauptreferenten des Forum, Rechtsanwalt Dr. Valentin Saalfrank, auf seiner Tour d’horizont zum deutschen (und europäischen) Arzneimittel- und Apothekenrecht. Pharmazeuten und Juristen verschafften sich auf dem halbtägigen Forum einen kompakten Überblick zu rechtlichen Fallstricken und Finessen der einschlägigen gesundheitsrechtlichen Vorschriften.

Inhaltsverzeichnis: Interpharm 2010

Crashkurs Apothekenrecht Rechtsanwalt Dr. Valentin Saalfrank gab einen Überblick über rechtliche Fallstricke in der Apothekenpraxis.

Unter der Moderation von Dr. Christian Rotta, Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags, erläuterte Saalfrank, der Fachanwalt für Medizinrecht ist, den Sach- und Rechtsstand bei zurzeit besonders virulenten Rechtsfragen rund um Apotheke und Arzneimittel. Rege Diskussionen und ein "Spezial" zu den Hintergründen und Konsequenzen der AOK-Ausschreibung in Berlin-Brandenburg rundeten das Forum ab.

Retaxverfahren, Abrechnung bei parenteralen Zubereitungen, Verblisterung, Pick up, Botenzustellung und Versandhandel – auch ein knappes Jahr nach dem Apotheken-Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Fremdbesitzverbot steht das Arzneimittel- und Apothekenrecht im Fokus von Rechtsprechung und Politik. Bereits heute ist in der Apothekenpraxis eine Vielzahl gesetzlicher Vorschriften zu beachten, die sich zudem stetig wandeln. Zum Beispiel tauchen immer wieder neue Probleme bei der Retaxation von Rezeptabrechnungen durch die Krankenkassen auf.

Tückische Retaxfallen

Vor diesem Hintergrund bildeten Retaxverfahren und sogenannte Retaxfallen einen umfangreichen Themenblock des Forums. Die Gründe für Retaxationen seitens der gesetzlichen Kassen sind vielfältig: Ihnen liegen – tatsächliche oder vermeintliche – Abrechnungsfehler oder Verstöße gegen gesetzliche oder vertragliche Abgabevorschriften zugrunde. Die wirtschaftlichen Risiken für die Apotheker sind groß: Die kurzen Zahlungsfristen der Kassen sorgen zunächst dafür, dass das Geld bei ihnen ankommt – doch eine spätere Aufrechnung kann jeden überraschen. Dazu ist es nicht nötig, dass die Apotheke mutwillig zulasten der Kasse gehandelt hat. Ein Kaufvertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke kann aus vielerlei Gründen unwirksam sein. Tücken gibt es beispielsweise bei der Frage, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 129 Abs. 1 SGB V) eingehalten wurde. Hier ist noch vieles in der Schwebe. Derzeit läuft ein Musterprozess, der klären soll, ob eine Null-Retaxation möglich ist, wenn die Apotheke trotz bestehenden Rabattvertrages ein anderes Arzneimittel abgegeben hat. Ein weiteres Stichwort sind die höchst umstrittene Auslegung der Tatbestandsmerkmale "gleicher Indikationsbereich" und die "identische Packungsgröße".

Minenfeld parenterale Zubereitungen

Ein weiteres Minenfeld sind die neuen Vorgaben zur Abrechnung parenteraler Zubereitungen. Hier gab es mit der 15. AMG-Novelle eine Zäsur: Für Fertigarzneimittel, die in diesen Zubereitungen verwendet werden, kommt nicht mehr die Arzneimittelpreisverordnung zur Anwendung. Stattdessen sollen vorrangig zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband ausgehandelte Preise gelten – die neue Hilfstaxe ist seit Jahresbeginn wirksam. Die hier einschlägigen Normen zeichnen sich durch teilweise reichlich unklare Formulierungen aus. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sie die Gerichte beschäftigen werden. Bereits ins Rollen gebracht ist ein Nachprüfungsverfahren zur unlängst gestarteten Ausschreibung der AOK Berlin-Brandenburg für onkologische Zubereitungen. Diese Ausschreibung gründet auf der Regelung des § 129 Abs. 5 SGB V, wonach auch Einzelvereinbarungen über Preise zwischen Kassen und Apotheken möglich sind. Sie stammt bereits aus dem Jahr 2007, wurde allerdings von der Kasse erst genutzt, nachdem die Hilfstaxe zu Jahresbeginn frisch ausgehandelt war.

Sprengstoff in der AOK-Ausschreibung sieht auch Dr. Antje Boldt. Details zum Rechtsstreit durfte sie allerdings nicht bekannt geben.

Vergabekammer: Vorläufiges Nein zur AOK-Ausschreibung

In dieser Ausschreibung steckt einiges an Sprengkraft. Sie wurde von der zuständigen Vergabekammer vorläufig gestoppt. Die an dem Verfahren beteiligten Rechtsanwälte Prof. Dr. Thomas Schlegel und Dr. Antje Boldt konnten zwar keine Details zu dem Rechtsstreit bekannt geben, zeigten aber in einem "Spezial" des Forums ihre erheblichen Bedenken gegen die Ausschreibung auf. Ihre Vermutung ist, dass es der AOK weniger um Vertragsabschlüsse als darum geht herauszufinden, welche Preise am Markt durchsetzbar sind. Denn die Kündigungsfrist der Hilfstaxe ist kurz, neue Preisverhandlungen mit neuem Hintergrundwissen könnten recht rasch eingeleitet werden. Die AOK dementiert zwar derartige Vermutungen. Die Vergabekammer konnte sie jedoch nicht gänzlich von der Hand weisen und sah im Eilverfahren das Interesse der Apotheker an einer Verschiebung des Submissionstermins – also der Angebotsöffnung – als schwerwiegender an als das Interesse der AOK an einem zügigen Verfahren. Die Kasse hat ihre Ausschreibung nunmehr in vielen Punkten geändert. Sie lässt das Verfahren mit einer verlängerten Frist weiterlaufen, darf die Angebote bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung jedoch nicht öffnen. Mit einer rechtskräftigen Entscheidung ist im Sommer zu rechnen.

Erhebliche Bedenken gegen die Ausschreibung der AOK zu onkologischen Zubereitungen hat der Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Schlegel.

Arzneimittelpreisverordnung auch für ausländische Versandapotheken?

Weitere Themen des Forums Apotheke&Recht waren Fragen im Zusammenhang mit Lohnherstellern und das große Feld von Gutscheinen, Rabatten und Erstattungen, die einige Apotheken ihren Kunden anbieten. Zur "Zugaben-Problematik" gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Urteilen mit zum Teil unterschiedlichen rechtlichen Schlussfolgerungen. Mit Spannung erwartet wird deshalb derzeit eine höchstrichterliche Entscheidung: Am 15. April wird sich der Bundesgerichtshof mit sechs Revisionsverfahren von Oberlandesgerichten zu der Frage der Zulässigkeit von "Talern" bzw. Boni bei der Abgabe von Arzneimitteln beschäftigen. Interessant wird vor allem sein, ob nach Auffassung des Gerichts die deutsche Arzneimittelpreisverordnung auch für ausländische Versandapotheken gilt, die verschreibungspflichtige Arzneimittel nach Deutschland versenden.

Pick up: Kommt ein Verbot?

In einem weiteren Themenblock diskutierte das Forum rechtliche Fragen von Heimversorgung, Pick up, Botendienst und Versandhandel. Können Pick-up-Stellen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, verboten werden, ohne gleichzeitig auch den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu untersagen? In einem engagierten Redebeitrag forderte Dr. Johannes Pieck, der frühere Syndikus und Sprecher der ABDA-Geschäftsführung, die Berufsvertretungen auf, nunmehr konkrete Vorschläge zu einer verfassungsfesten Ausgestaltung eines Pick-up-Verbots zu präsentieren. Es sei illusorisch, weiterhin darauf zu setzen, dass die Politik den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln insgesamt verbiete.

Fortsetzung folgt

Insgesamt zeigte sich: Bei Pharmajuristen, interessierten Pharmazeuten, Kammer-, Verbands- und Firmenjustiziaren besteht ein beachtliches Interesse an einem Branchentreff, der einen offenen Gedankenaustausch zu arzneimittel- und apothekenrechtlichen (und rechtspolitischen) Fragen ermöglicht. Das Forum schließt eine Lücke und könnte sich in Richtung eines neuen Apotheken-Recht-Tages entwickeln. Viele Rechtsfragen, die jetzt noch in der Schwebe sind, dürften schon im nächsten Jahr in Hamburg beantwortet werden. Angesichts des Zuspruchs wird das Forum dort wieder im Rahmen der Interpharm stattfinden.

ks

Literaturtipp: Vorsicht Falle!


Retaxationen sind ein "Dauerbrenner" in der Apothekenpraxis. Und: Retaxationen können teuer werden! Damit es nicht so weit kommt, hat ein erfahrenes Apothekerteam unter Zuhilfenahme von vielen Kollegenbeiträgen die häufigsten, teuersten und tückischsten Retaxationsbeispiele für Sie zusammengestellt:

  • Wie Sie Retaxfallen erkennen können und welche Spar-Tipps es für Ihre Apotheke gibt.
  • Wie der Krankenkassen-Dschungel und geltende Rabattverträge für Sie praktikabel umsetzbar werden.
  • Welche Formalitäten sowohl in der Arztpraxis als auch in der Apotheke beachtet werden müssen.

Das Plus: kommentierte Verordnungsausschlüsse nach dem SGB V und den Arzneimittel-Richtlinien sind ebenfalls mit aufgenommen.


Drinhaus, Dieter / Fischaleck, Johann

Retaxfallen

2010. XII, 348 S., 65 farb. Abb., 13 farb. Tab.

1 Ringordner, Fortsetzungswerk, Loseblatt-Ausgabe;
Deutscher Apotheker Verlag; Euro 59,00; ISBN 978-3-7692-5000-8

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.