Gesundheitspolitik

Analgetika-Großpackungen auf Rezept?

Sachverständigenausschuss will nur noch Analgetika-Kleinpackungen für die Selbstmedikation

Stuttgart (du). Geht es nach den Vorstellungen des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht, dann werden rezeptfrei erhältliche Großpackungen für Analgetika wie Aspirin bald der Vergangenheit angehören. Unter der Maßgabe, die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen und das Risikobewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen, könnten ab dem 1. Juli 2010 viele Analgetika nur noch in Kleinpackungen von maximal 20 Tabletten erhältlich sein. Voraussetzung ist jedoch, dass der Gesetzgeber die Arzneimittelverschreibungsverordnung entsprechend der Empfehlung ändert und die Änderungsverordnung den Bundesrat passiert.

Mit der Unterstellung von Paracetamol-Großpackungen unter die Verschreibungspflicht wurde die Forderung laut, auch die rezeptfrei erhältlichen Packungsgrößen anderer Analgetika zu begrenzen. So hatte das Mitglied des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht, Prof. Dr. Dr. Kay Brune, in einem Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ 2009, Nr. 21, S. 56) für Acetylsalicylsäure (ASS) eine maximale Tagesdosis von 2 g und rezeptfrei erhältliche Packungsgrößen von maximal 10 g ASS gefordert. Er hatte dafür plädiert, alle Analgetika mit Packungsgrößen, die den Bedarf von sieben Tagen überschreiten, der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Brune begründete seine Forderungen unter anderem mit der Toxizität von ASS und der Notwendigkeit einer ärztlichen Abklärung bei länger anhaltenden Schmerzen. Die Begrenzung auf kleine Packungsgrößen sollte zudem das Risikobewusstsein der Patienten schärfen.

Am 12. Januar 2010 hat nun der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht beschlossen, dem Gesetzgeber eine Packungsgrößenbegrenzung der rezeptfrei erhältlichen Stoffmengen für folgende Analgetika nach folgender Maßgabe vorzuschlagen:

  • Acetylsalicylsäure bis zu maximal 10.000 mg (z. B. 20 x 500 mg)
  • Diclofenac bis zu maximal 500 mg (z. B. 20 x 25 mg)
  • Ibuprofen bis zu maximal 8000 mg (z. B. 20 x 400 mg)
  • Phenazon bis zu maximal 10.000 mg (z. B. 20 x 500 mg)
  • Propyphenazon bis zu maximal 10.000 mg (z. B. 20 x 500 mg)

Das Bundesministerium für Gesundheit kann nun den Empfehlungen des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht folgen und sie mithilfe einer Änderungsverordnung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) umsetzen. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) weist darauf hin, dass diese Änderungsverordnung der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Sie werde voraussichtlich zum 1. Juli 2010 in Kraft treten, gegebenenfalls mit Übergangsregelungen. Im Vorfeld der Diskussion hatte der BAH Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Begrenzung der Packungsgrößen geäußert und dem Verbraucher einen verantwortungsbewussten Umgang mit rezeptfreien Analgetika attestiert. Vor diesem Hintergrund und der tatsächlich vorhandenen Risikosituation hatte er für eine pragmatische Haltung plädiert. Zur Abstimmung kamen zwei Vorschläge, einer des BfArM und einer der Hersteller, vorgetragen von BAH-Geschäftsführer Eberwein (s. Stellungnahme). Nach dem etwas weniger restriktiven Vorschlag des BAH wäre eine 50er ASS-Packung nicht unter die Verschreibungspflicht gefallen. Brune zeigte sich gegenüber der AZ mit dem jetzt empfohlenen BfArM-Vorschlag einverstanden, er hätte auch mit dem anderen leben können. Allerdings sieht er die Gefahr, dass vonseiten des Gesetzgebers eine vergleichende Risikobewertung zur Begründung der Einschränkung der Packungsgrößen gefordert wird. Die Risiken älterer Analgetika wie ASS, Phenazon und Propyphenazon seien jedoch nie zur Zulassung zum rezeptfreien Verkauf analysiert worden. Sie seien quasi in die Rezeptfreiheit hineingeboren worden. Wenn heute entsprechende Risikoanalysen durchgeführt würden, müsse damit gerechnet werden, dass einige oder alle diese Wirkstoffe ganz in die Rezeptpflicht überführt werden.

Wenn der Gesetzgeber Arzneistoffe unter die Verschreibungspflicht stellen will, muss er die Vorschriften des § 48 AMG beachten. So kann er Stoffe, die häufig missbräuchlich verwendet werden, der Verschreibungspflicht unterstellen, wenn damit eine Gesundheitsgefährdung verbunden ist. Ob bei den betroffenen Analgetika tatsächlich von einem nennenswerten Missbrauch auszugehen ist, ist umstritten. Nach Ansicht des BAH belegen Studien das Gegenteil. Dr. Bernd Eberwein, Geschäftsführer des BAH und ebenfalls Mitglied des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht hatte für eine weniger restriktive Begrenzung der Packungsgrößen auf zehn Tagesdosen plädiert, konnte sich aber mit diesem Vorschlag nicht durchsetzen (s. Stellungnahme).

Stellungnahme des BAH:
Packungsgrößenbegrenzung: Warum? Und wenn ja, wie?


Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht hat in seiner Sitzung am 12. Januar 2010 eine Empfehlung zur Begrenzung der Packungsgröße von sogenannten kleinen Analgetika ausgesprochen. Die Verschreibungspflicht ist ein Risikokriterium und in § 48 des Arzneimittelgesetzes geregelt. Das Gesetz kennt nur drei Risikokategorien: das Stoffrisiko, das Missbrauchsrisiko und das mögliche Risiko eines neuen, bislang unbekannten Stoffes. Wenn es bei etablierten Substanzen zu einer Packungsgrößenbeschränkung aufgrund der Verschreibungspflicht kommen soll, muss ein Risiko zumindest einer dieser drei Kategorien identifizierbar sein, für das eine zu große Packungsgröße verantwortlich ist und welches man mit der Beschränkung ausschalten oder minimieren kann.

Dem Sachverständigenausschuss wurden in seiner Sitzung Daten über den Schmerzmittelgebrauch durch die deutschen Verbraucher vorgetragen. Hierbei ist besonders festzuhalten, dass der Schmerzmittelverbrauch in Deutschland (im Unterschied zu vielen anderen westlichen Industrienationen) stagniert und bezüglich des Segments Selbstmedikation sogar zurückgeht. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei uns pro Jahr bei 50 Tabletten, inklusive der verschreibungspflichtigen Analgetika. Nur zum Vergleich: in Schweden ist der Verbrauch mehr als doppelt so hoch.

Aber auch ansonsten geht der deutsche Verbraucher mit Schmerzmitteln außerordentlich verantwortungsbewusst um. In einer gepoolten Analyse von fünf apothekenbasierten, nichtinterventionellen Studien mit insgesamt fast 10.000 Teilnehmern wurde gezeigt, dass die Verbraucher Schmerzmittel bei den richtigen Indikationen anwenden (Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Regelschmerzen, Erkältung), die Einnahmedauer im Durchschnitt 2,2 Tage beträgt und die eingenommene Menge im Durchschnitt zwischen 3 und 5 Tabletten liegt. Alles ganz vernünftige Handlungsweisen. Auch repräsentative Verbraucheranalysen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) weisen in diese Richtung.

Meine Meinung ist deshalb nach wie vor, dass aufgrund dieser Daten eigentlich kein Handlungsbedarf besteht, die Packungsgrößen durch die Verschreibungspflicht einzuschränken.

Für Paracetamol (20 Tabletten à 500 mg), Naproxen (30 Tabletten à 250 mg entsprechend 10 Tagesdosen) und die Kombination Paracetamol plus ASS plus Coffein (20 Tabletten) bestehen bereits Packungsgrößenbegrenzungen auf Basis der Verschreibungspflicht.

Möglicherweise hatte das BfArM bei seinem Antrag auf Reduzierung das Modell Paracetamol/Kombinationen vor Augen, um den Rest der Analgetika auch mehr oder weniger einheitlich zu begrenzen. Es sollte damit wohl der Eindruck in der Bevölkerung vermieden werden, dass es "sichere" Wirkstoffe (ohne Packungsgrößenbegrenzung) und "weniger sichere" Wirkstoffe (mit Packungsgrößenbegrenzung) gibt.

Obwohl ich diese Begründung vor den Anforderungen des § 48 AMG nicht für tragfähig halte, habe ich im Ausschuss einen Alternativantrag gestellt, der ebenfalls eine generelle Packungsgrößenbegrenzung für alle kleinen Analgetika zum Ziel hat. Ich habe aber nicht Paracetamol, sondern die bereits bestehende gesetzliche Regelung für Naproxen zum Modell genommen und eine Packungsgröße vorgeschlagen, die jeweils 10 Tagesdosen entsprechend der vom BfArM erteilten Zulassungen ermöglicht hätte. Da Paracetamol ein Sonderfall und gesondert zu betrachten ist, hätte sich mein Vorschlag nahtlos an die bereits getroffene Regelung zu Naproxen angeschlossen. Man hätte also nicht umlernen müssen. Ich möchte die beiden Vorschläge anhand der Ibuprofen 400 mg-Tablette deutlich machen:

Der Vorschlag des BfArM führt zu einer Packung mit 20 Tabletten, mein von der Industrie mitgetragener Vorschlag dagegen zu einer Packung mit 30 Tabletten. Der Unterschied sind 10 Tabletten; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Differenz zwischen den beiden Vorschlägen bezogen auf die betroffenen Tablettenmengen beträgt 15% bei ASS, 8% bei Ibuprofen und 1% bei Diclofenac!

Der Sachverständigenausschuss hat sich in seiner Mehrheit für den Vorschlag des BfArM ausgesprochen, wobei aufseiten der Mitglieder auch Sympathien für den Alternativvorschlag bestanden. Die Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesrats muss nun abgewartet werden.

Dr. Bernd Eberwein

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