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Arzneimittel und Therapie
"Wir brauchen wesentlich mehr Datentransparenz!"
Herr Professor Volz, halten Sie generell die Substitution von Antidepressiva im Rahmen von Rabattverträgen für vertretbar?
Volz: Im Prinzip ist eine Substitution auch bei Antidepressiva immer dann vertretbar, wenn auf wirkstoffidentische Arzneimittel mit gleicher Pharmakokinetik zurückgegriffen werden kann.
DAZNun muss ja jeder Generikahersteller für die Zulassung Bioäquivalenzstudien vorlegen, die die pharmakokinetische Gleichwertigkeit belegen sollen.
Volz: Und hier genau liegt ein wichtiges Problem: Die Bioäquivalenzstudien werden in der Regel mit einer kleinen Zahl junger gesunder Männer durchgeführt. 24 Probanden werden schon als ausreichend angesehen. Als bioäquivalent gelten Werte zwischen 80 und 125% der Werte des Originalpräparates. Sie haben also im schlechtesten Fall bei einer Substitution eine Abweichung von 25% nach oben oder 20% nach unten im Vergleich zum Originalpräparat. Liegen beispielsweise die Plasmaspiegel nach Substitution um 25% über den Werten des Arzneimittels, mit dem der Patient gut eingestellt ist, dann kann die Gefahr von Nebenwirkungen ganz erheblich steigen. Liegen sie 20% unter dem Wert, dann wird im Zweifelsfall keine ausreichende Wirkung erzielt.
DAZTheoretisch klingt das einleuchtend. Wie sieht es denn in der Praxis aus? Sehen Sie beispielsweise Probleme bei Venlafaxin, von dem ja in kurzer Zeit eine nahezu unüberschaubare Zahl von Generika auf den Markt gekommen ist?
Volz: Venlafaxin ist ein gutes Beispiel dafür, dass trotz Erfüllung der Bioäquivalenzkriterien mit Problemen zu rechnen ist. In einer kanadischen Bioäquivalenzstudie wurde ein retardiertes generisches Venlafaxin mit dem Original Trevilor® retard bei 24 gesunden jungen Männern verglichen. Gastrointestinale Nebenwirkungen traten bei dem Nachahmerpräparat doppelt so häufig auf wie bei dem Original.
DAZWie sieht es denn jetzt im praktischen Alltag aus. Welche Schwierigkeiten treten beim Wechsel zwischen Venlafaxin-Präparaten tatsächlich auf?
Volz: Ich selber habe hier noch keine konkreten Erfahrungen, da die Generika erst seit Kurzem verfügbar sind. Angesichts der soeben erwähnten Bioäquivalenzstudie werde ich aber mit Substitutionen vorsichtig sein.
Was wir generell bei der Substitution wirkstoffgleicher Antidepressiva relativ schnell sehen, sind Nebenwirkungen. Was wir kaum oder nur schwer erkennen können, sind Unterschiede in der Wirksamkeit, da diese erst mit zeitlicher Verzögerung eintritt. Das Problem bei Umstellungen besteht darin, dass der Patient gut auf das Originalpräparat von Venlafaxin respondiert hat. Wird nun auf ein Generikum umgestellt, sind drei Szenarien möglich:
1. Das Generikum entspricht weitgehend dem Originalpräparat, ist tatsächlich bioäquivalent und nicht nur bioäquivalent im Sinne der 80/125%-Regel. Dann sind kaum Schwierigkeiten zu erwarten.
2. Das neue Präparat führt zu höheren Plasmaspiegeln oder zu einem anderen Zeitverlauf des Plasmaspiegels, z. B. zu einem scharfen Anstieg nach Aufnahme. Dann kann eine erhöhte Nebenwirkungshäufigkeit mit hieraus entstehenden Compliance-Problemen resultieren.
3. Das Generikum weist geringere Plasmaspiegel als das Originalpräparat auf, dann kann die Langzeitwirksamkeit, also der Erhalt der Remission gefährdet sein. Da ein depressiver Rückfall aber viele Ursachen haben kann, kann nur schwer erkannt werden, dass auch solche Pharmakokinetik-Unterschiede einen Rückfall bedingen können.
Die entscheidende Frage ist nur: Woher wissen der Apotheker und der Arzt, welches pharmakokinetische Verhalten das Generikum im Vergleich zum Originalpräparat aufweist?
DAZWelche Forderungen müssten denn Ihrer Meinung nach erfüllt sein, damit ohne Nachteil für den Patienten substitutiert werden kann?
Volz: Zum einen sind Bioäquivalenzstudien mit gesunden jungen Männern für Antidepressiva kaum aussagekräftig, vor allem vor dem Hintergrund, dass es sich in vielen Fällen um Patientinnen handelt. Um tatsächlich eine Aussage zur Bioäquivalenz machen zu können, müssen die entsprechenden Untersuchungen mit Patienten durchgeführt werden. Im Fall der Antidepressiva ist darüber hinaus zu fordern, dass sie auch mit Patientinnen gemacht werden. Dann müssen alle Ergebnisse auf den Tisch! Und zwar so, dass sich die Apothekerin/Ärztin oder der Apotheker/Arzt bei der Substitution ganz schnell ein Bild machen kann, welche Ergebnisse die Bioäquivalenzsstudien des bislang angewendeten und des zu substitutierenden Präparats ergeben haben. Die Ergebnisse müssten Teil der Fachinformation und des Beipackzettels sein. Dann ist sofort zu sehen, ob die Bioäquivalenzwerte (und auch der Plasma-Konzentrations-Zeit-Verlauf) entscheidend über oder unter dem bisher eingenommenen Präparat liegen. Falls das so ist, hat der Apotheker einen guten Grund, die Substitution zu verweigern.
Wir brauchen also zum einen aussagekräftige Bioäquivalenzstudien und zum anderen wesentlich mehr Datentransparenz.
DAZHerr Professor Volz, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Prof. Dr. med. Hans-Peter Volz Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck Balthasar-Neumann-Platz 1 97440 WerneckDas Interview führte Dr. Doris Uhl, Stuttgart
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