Arzneimittel und Therapie

Klinische Relevanz der Galenik nicht unterschätzen

Depressionen bedürfen als chronisch-rezidivierende Erkrankungen in der Regel einer langfristigen Therapie. Jede Veränderung im Therapieregime kann erhebliche Irritationen beim Patienten hervorrufen: abweichender Produktname, andere Verpackung, ungewohnte Farbe und Form der Tablette können dazu führen, dass die medikamentöse Therapie nur widerwillig oder gar nicht fortgeführt wird. Um die Compliance nicht zu gefährden, sollte ein wirksames und vom Patienten akzeptiertes Arzneimittel nach Möglichkeit nicht ausgetauscht werden – auch nicht gegen ein wirkstoffgleiches Generikum.
Gute Substitutionspraxis? Um die Compliance nicht zu gefährden, sollte ein wirksames und vom Patienten akzeptiertes Arzneimittel nach Möglichkeit nicht ausgetauscht werden.
Foto: ABDA

Bei psychisch labilen Patienten birgt nach Erfahrung von Prof. Dr. Marion Schaefer, Institut für Klinische Pharmakologie der Charité in Berlin, auch der Wechsel von einem Originalpräparat auf ein Generikum oder von einem Generikum auf ein anderes immer ein erhöhtes Rezidivrisiko mit gegebenfalls sogar der Notwendigkeit einer (Re)hospitalisierung – was die intendierte Kosteneinsparung dann ad absurdum führt.

Bei Psychopharmaka ist die Substitution kritisch

Der besonderen Situation bei der Depressionstherapie wird auch in der Leitlinie "Gute Substitutionspraxis" der Deut-schen Pharmazeutischen Gesellschaft Rechnung getragen (DAZ 2002; 142: 1205 –1214). Dort wird empfohlen, dann auf den Präparateaustausch zu verzichten, wenn eine Substitution zur Einnahmeverweigerung oder zu einer gravierenden Verschlechterung der Compliance führen würde oder bei dem Patienten Befürchtungen auslösen könnte, dass sich das Krankheitsbild durch den Austausch verschlechtert. Dabei ist es unerheblich, ob diese Ängste rational begründet sind oder nicht.

Galenik von Venlafaxin weiterhin patentgeschützt

Ob eine Substitution nach der DPhG-Leitlinie als "kritisch" bezeichnet wird bzw. an die "Erfüllung bestimmter Voraussetzungen" gebunden ist, hängt nicht nur von der Wirkstoffgruppe ab, sondern auch von der Darreichungsform. Ein Wirkstoff, der in Deutschland erst kürzlich seinen Patentschutz verloren hat, ist das Antidepressivum Venlafaxin. Das "Original" steht in einer speziellen, auf die chemischen Eigenschaften abgestimmten, Retardformulierung (Trevelor® retard) zur Verfügung, die im Gegensatz zum Wirkstoff weiterhin patentgeschützt ist. Wegen der extremen Wasserlöslichkeit von Venlafaxinhydrochlorid habe die Entwicklung einer Darreichungsform mit verzögerter Freisetzung erhebliche Schwierigkeiten bereitet, erläuterte Prof. Dr. Ion-George Anghelescu, Klinik für Psychiatrie an der Charité in Berlin, die Besonderheit. Gelungen ist es schließlich mit einer speziellen Mikrosphärentechnologie. Die Mikrosphären setzen sich aus dem Wirkstoff, kristalliner Zellulose und Ethylzellulose zusammen. Die Einheiten sind von einer Gelatinekapsel umschlossen, die sich weitgehend erst im Dünndarm auflöst, wo dann Venlafaxin gleichmäßig aus den Mikrosphären abgegeben werden kann. Wie sich galenische Unterschiede klinisch manifestieren können, lassen Ergebnisse eines randomisiert, doppelblinden Vergleichs von Trevilor® retard mit Novo-Venlafaxin XR (in Kanada zugelassenes Generikum) bei 24 gesunden Probanden erkennen. Obwohl sich die beiden Präparate als bioäquivalent (innerhalb des gesetzlich erlaubten Schwankungsbereich) erwiesen hatten, war die Verträglichkeit des Generikums deutlich schlechter. Besonders ausgeprägt war die Differenz bei der Übelkeit (29 versus 13%) und beim Schwindel (8 versus 4%) sowie bei der Leberwerterhöhung (13 versus 0%).

 

Quelle
Prof. Dr. med. Ion-George Anghelescu, Berlin; Prof. Dr. med. Marion Schaefer, Berlin: "Original und Generikum in der Depressionstherapie", Berlin, 27. November 2008, veranstaltet von der Wyeth Pharma GmbH, Münster.

 

 

Gabriele Blaeser-Kiel, freie Medizinjournalistin

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