Arzneimittel und Therapie

Schwache Daten für Neuraminidasehemmer

Eine aktuelle Metaanalyse bescheinigt Neuraminidasehemmern nur eine begrenzte Effektivität bezüglich der Influenzasymptome. Im Zusammenhang mit dieser Metaanalyse wurde zwischen dem Tamiflu® -Hersteller Roche und den Autoren des Cochrane-Reviews eine kontroverse Diskussion um die Offenlegung von Studiendaten geführt. Kommentatoren fordern einen transparenten Umgang mit Studienunterlagen.

In einer 2003 von Laurent Kaiser und seinen Mitarbeitern durchgeführten Metaanalyse wurde Oseltamivir (Tamiflu®) ein gutes Zeugnis ausgestellt, da unter der Therapie mit dem Neuraminidasehemmer die Rate influenzabedingter Komplikationen wie Bronchitis und Pneumonie um 55% gesenkt werden konnten. Grundlage für diese Einschätzung war die Auswertung von zehn Studien, die alle vom Hersteller oder von bezahlten Gutachtern durchgeführt worden waren. Nur zwei der Studien waren publiziert worden, die anderen acht Studien mit Daten von 2691 Patienten lagen teilweise als Abstracts in Kongressbänden vor oder waren nicht verfügbar. Dieser Mangel an Transparenz sollte in einer aktuellen Metaanalyse – durchgeführt von der Arbeitsgruppe um Tom Jefferson (Acute Respiratory Infections Group, Cochrane Collaboration, Rom) – behoben werden. Geplant war eine Auswertung aller vorliegenden Daten und Studien. Daher wandte sich Jefferson direkt an die in den Studien aufgeführten Autoren, die ihn wiederum an den Hersteller (Roche) verwiesen. Über den weiteren Verlauf – ob Roche die gewünschten Daten zeitnah zur Verfügung stellte oder erst nachdem sich eine Wissenschaftssendung (Channel 4 News) diesem Thema annahm – gibt es unterschiedliche Darstellungen. Des Weiteren wird im Editorial des British Medical Journal auf Unklarheiten im Hinblick auf die Autorschaft der nicht vollständig verfügbaren Studien hingewiesen. Diese Vorgänge führten dazu, dass in der aktuellen Metaanalyse die nur unvollständig vorliegenden Studien nicht berücksichtigt werden konnten – mit der möglichen Konsequenz einer Verzerrung der Daten (bias).

Aktuelle Metaanalyse

In der aktuellen Metaanalyse sollen die Daten eines 2005 durchgeführten Cochrane-Reviews auf den neusten Stand gebracht und die Auswirkungen einer Therapie mit den Neuraminidasehemmern Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanamivir (Relenza®) auf Prävention, Verlauf und Komplikationen einer Influenza neu bewertet werden. Zur Auswertung kamen 20 randomisierte, placebokontrollierte Studien, von denen sich vier mit der Prophylaxe, zwölf mit der Therapie und vier mit der Postexpositionsprophylaxe befassten. Bei allen Studienteilnehmern handelte es sich – von der Grippe abgesehen – um gesunde Erwachsene. Die Auswertung der Studien führte zu folgenden Ergebnissen:

  • Prophylaxe: Die Prophylaxe einer symptomatischen Influenza oder Influenza-ähnlicher Erkrankungen ist mit Hilfe von Neuraminidasehemmer nicht möglich.
  • Therapie: Oseltamivir und Zanamivir lindern die Symptome einer labormedizinisch bestätigten Grippe. So betrug unter einer Therapie mit 75 mg Oseltamivir die Risikominderung 61% (risk ratio 0,39; 95% Konfidenzintervall 0,18 bis 0,85), nach der Gabe von 150 mg Oseltamivir 73% (risk ratio 0,27; 95% Konfidenzintervall 0,11 bis 0,67) und unter der Behandlung mit 10 mg Zanamivir 62% (risk ratio 0,38; 95% Konfidenzintervall 0,17 bis 0,85). Oseltamivir und Zanamivir verkürzen die Dauer der Erkrankung um rund einen Tag, wenn sie innerhalb von 48 Stunden nach Einsetzen der Beschwerden eingenommen werden.
  • Postexpositionsprophylaxe: Ein gewisser Schutz anderer Familienmitglieder vor einer Ansteckung ist möglich. So wurde in zwei Studien eine Risikominderung um 58% bzw. um 84% für Oseltamivir und für Zanamivir um rund 80% gezeigt.
  • Influenzabedingte Komplikationen: Oseltamivir kann schwere Komplikationen in den unteren Atemwegen (Bronchitis und Pneumonie) um 45% senken (risk ratio 0,55; 95% Konfidenzintervall 0,22 bis 1,35).
  • Nebenwirkungen: Durch Oseltamivir wird das Risiko für Übelkeit erhöht (odds ratio 1,79; 95% Konfidenzintervall 1,10 bis 2,93). Das Risiko steigt mit der Dosis.

Datenlage zu den Neuraminidasehemmern

Was war bislang bekannt?

  • Neuraminidasehemmer (vor allem Oseltamivir) werden weltweit gegen Influenza eingesetzt.
  • Sie verhindern Grippesymptome und verkürzen die Dauer der Erkrankung um etwa einen Tag, wenn sie innerhalb von 48 Stunden nach Einsetzen der Symptome eingenommen werden.
  • Mögliche Komplikationen und Toxizitäten werden diskutiert.

Was ist neu?

  • Neuraminidasehemmer reduzieren die Krankheitssymptome nur mäßig.
  • Neuraminidasehemmer verringern das Risiko, an einer labormedizinisch bestätigten Grippe zu erkranken, nicht aber das Risiko für eine Grippeähnliche Erkrankung.
  • In wie weit Komplikationen einer Influenza durch Neuraminidasehemmer verhindert werden können, ist derzeit noch unklar.
  • Unklarheit herrscht ebenfalls über das Ausmaß unerwünschter Wirkungen; bekannt ist, dass Oseltamivir Nausea verursachen kann.

Kommentar: Forderung nach mehr Transparenz

Das Editorial des British Medical Journal nimmt die oben erwähnten Vorgänge zum Anlass, um über eine neue Art der Publikationspraxis nachzudenken. Das derzeitige System, in dem der Hersteller für den Wirksamkeitsnachweis seiner Medikamente zuständig und demzufolge auch "Herr" über die Daten ist, müsse verbessert werden. Vorzustellen sei unter anderem eine Art Kustode, der Zugang zu sämtlichen Daten hat und diese bei Bedarf – wie etwa zum Erstellen von Metaanalysen – weiterleitet.

 

Quelle

Jefferson T., et al.: Neuraminidase inhibitors for preventing and treating influenza in healthy adults: systematic review and meta-analysis. BMJ 2009; 339: b5106.

Godlee F., et al.: Why don’t we have all the evidence on oseltamivir? BMJ 2009: 339: b5351

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

 

Zum Weiterlesen


Neuraminidasehemmer: Wirksamkeit bei Kindern nicht überschätzen.

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