DAZ aktuell

"Nicht erprobt, wenig praxistauglich und potenziell gefährlich!"

Baden-Württemberg hat sich bei der Impfstoffverteilung für Schwangere für einen Sondervertriebsweg unter Umgehung von Großhandel und Apotheken entschieden. Gesundheitsämter koordinieren die Verteilung des Impfstoffs unter den Gynäkologen, wobei sie bei Bedarf auf den Fahrdienst der Laborärzte zurückgreifen. Offizielle Gespräche mit Apothekern soll es vor der Entscheidung nicht gegeben haben. Gegenüber der DAZ äußert der Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, Dr. Günther Hanke, absolutes Unverständnis für die Wahl dieses nicht erprobten Sondervertriebswegs und weist auf wichtige Sicherheitsprobleme hin.
Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg
Foto: LAK BW
DAZ Herr Dr. Hanke, welche Gründe werden von Seiten des Sozialministeriums für die Impfstoffverteilung unter Umgehung des Vertriebswegs Apotheke genannt?

Hanke:

Es gibt keine offizielle Begründung und es fanden zur Impfstoffverteilung für Schwangere keinerlei offizielle Gespräche statt. Erst nachdem die Apothekerkammer aktiv beim Sozialministerium nachgefragt hatte, wurden uns Informationen zur Verfügung gestellt. Das Sozialministerium führte als Begründung für die Umgehung des Vertriebswegs Apotheke an, dass nur sehr wenig Impfstoff zur Verfügung stehe, der für Schwangere geeignet sei. Durch die Verteilung an Frauenärzte über die Gesundheitsämter sei die Verteilung am besten sicher zu stellen. Diese Ausnahme von der Apothekenpflicht ist im Falle der Influenzapandemie rechtlich zulässig. Der Impfstoff ist in Einzeldosen verpackt und kann daher ohne die Teilabgabe und zusätzliche Beifügung von Impfbesteck durch Apotheken verteilt werden, was im Ministerium wohl den Eindruck vermittelte, die Apotheken würden nicht gebraucht. Als weiteren Grund führte das Ministerium an, dass der Aufwand für die Apotheken aufgrund der geringen Menge an Impfstoff noch größer wäre als dies bereits bei Pandemrix® der Fall war. Dies wollte man den Apothekern offenbar nicht erneut "zumuten".

DAZ Die Apotheker waren demnach nicht in die Entscheidungsprozesse eingebunden Wie bewerten Sie die jetzige Verteilung über Gesundheitsämter und Fahrdienst von Laborärzten? Mit welchen Problemen rechnen Sie?

Hanke:

Eine Gefährdung der Arzneimittelsicherheit sehen wir insbesondere hinsichtlich der Lager- und Lieferbedingungen. Impfstoff ist in der Regel in eine Kühlkette eingebunden, also auch gekühlt zu lagern und zu transportieren. Hinzu kommt ein hoher Verwaltungsaufwand, da eine neue Sondervertriebsstruktur einzurichten ist. Die Verteilung ist sehr bürokratisch organisiert; insbesondere die Ausgabezeiten erscheinen kaum praxistauglich. Die impfenden Ärzte/Kliniken melden den Gesundheitsämtern ihren Impfstoffbedarf mittels einer Rezeptverordnung entweder direkt bzw. über den Fahrdienst ihres niedergelassenen Laborarztes, der auch den Transport des Impfstoffs von den Gesundheitsämtern an die jeweiligen Arztpraxen oder Kliniken übernimmt. Das Rezept kann nicht gefaxt werden. Die Ausgabe des Impfstoffs durch die Gesundheitsämter erfolgt Montag bis Freitag 9:00 bis 11:30 Uhr und Montag bis Donnerstag 14:00 bis 15:30 Uhr. Ob diese Zeiten einzuhalten sind, wird sich zeigen. Für Apotheker stellt dies eine nicht nachvollziehbare Umgehung der Apotheke dar: der Einsatz der Apotheken bei der Verteilung des Pandemrix® -Impfstoffes für Ärzte und Patienten war sehr hoch. Trotz der schlechten Informationslage der Ärzte und der Impfstoffknappheit haben die Apotheker mit Hilfe des Bestandsportals den verfügbaren Impfstoff in Baden-Württemberg flächendeckend verteilt. Warum jetzt neue Sondervertriebswege generiert werden, kann ich nicht nachvollziehen.

DAZ Sie sprachen schon das Problem Kühlkette an. Wie ist das Vorgehen unter weiteren Sicherheitsaspekten zu bewerten?

Hanke:

Es ist nicht verständlich, warum plötzlich ein bewährter Weg der Arzneimittelsicherheit nicht mehr beschritten wird. Die Apotheker haben gezeigt, dass Sie den Mangel bei Pandemrix® mit großem Aufwand abgefedert und keine Mühen gescheut haben. Das Impfstoffbestandsportal auf der Internetseite der Landesapothekerkammer funktioniert sehr gut. Die Apotheken helfen sich gegenseitig, damit eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung sichergestellt ist. Auch die Rückmeldung von Nebenwirkungen über Apotheken wird bei dem vorgesehenen Weg nicht mehr möglich sein. In den Apotheken ist die Kontakthäufigkeit am höchsten und deswegen Nebenwirkungen am ehesten zu erfassen. Eine Gefährdung der Arzneimittelsicherheit sehen wir, wie schon erwähnt, insbesondere auch hinsichtlich der Lager- und Lieferbedingungen. Impfstoff ist in der Regel in eine Kühlkette eingebunden, also auch gekühlt zu lagern und zu transportieren. Hier verfügen die Apotheken über viel Erfahrung. Da der Schwangeren-Impfstoff in Einzeldosen ausgeliefert wird, ist das Volumen der Impfdosen recht groß. Ob die Laborärztlichen Lieferdienste die für die besondere Ware Arzneimittel erforderlichen Qualitätsanforderungen auch bei großen Stückzahlen sicher erfüllen können, ist für uns nicht überprüfbar. In wieweit sich das Land haftungsrechtlich abgesichert hat, ist mir nicht bekannt. Ich hoffe, dass hier alle nötigen Maßnahmen getroffen wurden. Gleiches gilt auch für den Schutz vor Arzneimittelfälschungen. Ich hoffe, dass alles dafür getan wird, um Arzneimittelfälschungen auch für diesen Sondervertriebsweg auszuschließen. Dass gerade bei dem sensiblen Thema Schweinegrippe neue Wege ausprobiert werden, ist nicht nachvollziehbar. Die Bevölkerung ist aufgrund unterschiedlicher und sich widersprechender Meldungen ohnehin bereits verunsichert. Für Schwangere gilt dies in doppeltem Maße. Hier hätte man besser auf bewährte Strukturen gesetzt. Jetzt müssen die Schwangeren in den baden-württembergischen Apotheken mangels Zuständigkeit weitergeschickt werden.

DAZ Herr Dr. Hanke, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Interview: Dr. Doris Uhl

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