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Aus Kammern und Verbänden
Merkantiles Augenmaß für eine gute Zukunft
Aus Anlass des 20. Jahrestages des Falls der Mauer erinnerten Dr. Gerhard Behnsen, Ehrenvorsitzender des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern, und Monika Koch, Vorsitzende des Sächsischen Landesapothekerverbandes, an die Zeit kurz nach dem Ende der DDR. Dabei würdigten sie besonders die Rolle von Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins, und seiner damaligen Stellvertreterin Traute Köhler.
Behnsen erklärte, sie seien die Ersten gewesen, die den Apothekern in Mecklenburg-Vorpommern mit Rat und Tat zu Seite gestanden hätten und die ihnen die Unsicherheiten bezüglich der Freiberuflichkeit genommen hätten. Durch die damaligen Weichenstellungen habe das Apothekenwesen im Osten eine Entwicklung genommen, die vielen anderen ehemaligen DDR-Bürgern nicht möglich gewesen sei. Allerdings würden viele alte Begriffe inzwischen unter neuen Vorzeichen wieder aktuell, beispielsweise Medizinische Versorgungszentren, Anträge an Krankenkassen und Versorgungsausschlüsse. Zugleich appellierte Behnsen an die Apotheker, ihre merkantile Seite mit Augenmaß zu betreiben, denn gesellschaftlich werde mehr von ihnen verlangt.
Auch Koch erinnerte an die vielen praktischen und politischen Hilfestellungen, die Köhler und Graue den Apothekern im Osten geboten haben, und dankte für diese Unterstützung. Die Privatisierung sei ein Kraftakt gewesen, doch danach sei es für die Apotheker nicht ruhiger geworden. Sie würden nur als Heilberufler überleben, denn Handel könnten andere besser betreiben.
"Es muss wieder Ausdauer in die Politik, nicht jeden Tag eine neue
Idee, nicht jeden Tag ein neues Gesetz."
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Warten auf Reform
In seinem Jahresbericht ging Graue besonders auf die Ankündigungen der neuen Bundesregierung ein. "Das Problem ist, dass keiner weiß, wohin die Reise geht", erklärte Graue, denn der Koalitionsvertrag enthalte viele Absichtserklärungen und "verbale Luftnummern". Die neue Kommission zur Vorbereitung der Reform werde eine Penelope-Arbeit, also eine Arbeit ohne Ende, zu bewältigen haben. Eine ultimative Reform werde es nie geben.
Die geplanten Steuersenkungen würden mit dem Ausgleich des Krankenkassendefizits und dem geplanten Sozialausgleich aus Steuermitteln kollidieren. Angesichts des großen Defizits der GKV werde weniger die Gesundheitspolitik, sondern eher die Finanzpolitik die Weichen stellen. Denn inzwischen müssten 15,7 Milliarden Euro für 2010 aus Steuermitteln in die GKV fließen. Daher sei ein Vorschaltgesetz zu erwarten, das angeblich "unnötige" Ausgaben senkt und auch die Apotheker belasten dürfte. Eine größere Reform werde erst 2011 stattfinden. Er hoffe dabei auf einen wirklichen Politikwechsel.
Zugleich forderte Graue von den Politikern unverzügliches Handeln, um Pick-up-Stellen und Abgabeautomaten zu verbieten, bevor angebliche neue Besitzstände geschaffen werden. Er begrüßte die Ankündigung der Koalition, die Überregulierung im Arzneimittelmarkt abzubauen, und forderte, den Patienten bei Rabattverträgen eine Aufzahlung auf ihr bisheriges Arzneimittel zu ermöglichen. Graue kritisierte Ausschreibungen mit nur einem Rabattvertragspartner, dagegen seien Ausschreibungen mit mehreren Partnern "ein Schritt in die richtige Richtung".
Zudem kündigte Graue an, mit der AOK Rheinland/Hamburg sei auch für 2010 eine Compliance-Entschädigung für die Apotheker vereinbart worden, die vermutlich höher als in diesem Jahr sein werde. Eine Lösung für die vielen Probleme im Zusammenhang mit Rabattverträgen könne weiterhin das Zielpreismodell sein. Zum "unendlichen Warten" auf die Reduzierung des gesetzlichen Abschlages für GKV-Arzneimittel erklärte Graue, die Apotheker hätten seit der Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung keinen Anteil mehr an der Steigerung der GKV-Ausgaben gehabt.
Im OTC-Markt hätten die Apotheken Mengenverluste bei verordneten Produkten, aber inzwischen wieder Zugewinne bei der Selbstmedikation. Die Entlassung potenter Wirkstoffe aus der Verschreibungspflicht erhöhe den Beratungsbedarf hier weiter. Andererseits erodiere anscheinend der Markt apothekenexklusiver OTC-Produkte außerhalb der Apotheken. Die Anbieter versuchten offenbar einen Fuß in die Tür für apothekenpflichtige Arzneimittel zu bekommen. Dem sei mit Vertriebsbindungsverträgen zu begegnen, die die Apotheker nicht als Last, sondern als Chance sehen sollten.
QMS – ja, aber
Graue lehnt weiterhin ab, eine QMS-Pflicht in der Berufsordnung zu verankern. Der Verein habe sich für ein Modell eingesetzt, "das Anreize für Qualität setzt, indem die Ergebnisqualität von Beratung und Rezeptur objektiv ermittelt und transparent gemacht wird". Doch "wie die einzelne Apotheke die Qualität erreicht, erhält und stetig verbessert, sollte ihr weitgehend überlassen bleiben", so Graue. Ein QMS könne dafür sinnvoll sein, müsse aber nicht in jeder Apotheke unabdingbar sein.
Graue bemängelte, in der QMS-Diskussion werde oft nicht zwischen Korrelation und Kausalität unterschieden. Technokratie, unkritische Konformität und die Reduzierung der Berufsausübung auf scheinbar messbare Vorgänge würden die Apotheker nicht weiterbringen. Graue ist "überzeugt, dass Qualität nur durch innere Überzeugung geschaffen werden kann." Doch die Entwicklung sei viel zu weit fortgeschritten, um sie noch aufhalten zu können. So hätten die Barmer und die Techniker Krankenkasse bei einem kürzlich auf Bundesebene abgeschlossenen Vertrag über orthopädische Hilfsmittel auf einem QMS bestanden. Der Vertrag enthalte nun eine QMS-Pflicht nach einer vierjährigen Übergangsfrist. Der Deutsche Apothekerverband habe dem zugestimmt, damit jede Apotheke die Chance hat, weiter am Gesundheitsmarkt uneingeschränkt teilzunehmen.
Zugleich verwies Graue auf das von Gesundheitsminister Rösler verhängte unbefristete Moratorium für die Weiterentwicklung der elektronischen Gesundheitskarte. "Nicht alles, was als Fortschritt daherkommt, ist auch Fortschritt", gab Graue zu bedenken.
"Nicht überall, wo QMS draufsteht, muss auch Qualität sein."
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Sorge um Retaxationen
Vereinsgeschäftsführer Peter Brinkmann wies auf die Sorgen hin, die die Bearbeitung von Retaxationen bereitet, insbesondere bei Absetzungen "auf Null", wenn nach Ansicht der Krankenkassen grundlegend gegen die Verträge verstoßen wird. So könnten in Einzelfällen aufgrund menschlicher Versäumnisse bei der Endkontrolle der Rezepte gewaltige Schäden entstehen. Daher empfahl Brinkmann: "Achten Sie stringent bei der Endkontrolle auf Einhaltung der unabdingbaren Vertragspflichten". Dies könne vor großen finanziellen Schäden schützen. Brinkmann verwies auf das gute Verhältnis zur AOK Rheinland/Hamburg, doch sonst sollten die Apotheker in der kommenden Zeit nicht zu viel Verständnis von den Kassen erhoffen, besonders nicht im Hilfsmittelbereich.
Vorstandswahl
Neben weiteren Regularien stand die turnusmäßige Wahl von vier Vorstandsmitgliedern auf der Tagesordnung. Dabei wurden Dr. Ulrike Hahn, Dr. Lutz Schehrer und Dr. Frank Stepke in ihren Vorstandsämtern bestätigt. Anstelle von Ursula Dorle Barth, die nicht wieder kandidierte, wurde Katrin Hensen neu in den Vorstand des Hamburger Apothekervereins gewählt.
"Auf Apotheker und Apotheken kann kein Gesundheitswesen verzichten, insbesondere in einem so perfekten Versorgungssystem wie dem unsrigen. Bleiben Sie deshalb selbstbewusst."
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Positionierung im Wettbewerb
In einem Vortrag zur künftigen Positionierung der Apotheker betonte Dr. Andreas Kaapke, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung an der Universität Köln, dass die Apotheken in einem intensiven Wettbewerb stehen. Wer dies verkenne, habe ein völlig verkürztes Verständnis vom Wettbewerb, denn der Begriff umfasse keineswegs nur Preiswettbewerb.
"Noch kruder" sei jedoch die Behauptung, Apothekenketten würden für mehr Wettbewerb sorgen. Falls Ketten überhaupt wirtschaftliche Vorteile erzielen könnten, würden sie diese für sich vereinnahmen und nicht dem System zur Verfügung stellen. Außerdem habe er in einer Studie ermittelt, dass bei der engeren Zusammenarbeit von Apotheken allenfalls geringe Vorteile auf der Einkaufsseite zu erzielen wären, die möglicherweise sogar von zusätzlichen Overhead-Kosten einer Kette oder Kooperation aufgezehrt würden.
Allerdings würden die Kettenbefürworter keine Ruhe geben. Denn nach dem EuGH-Urteil müssten sie gegenüber ihren Anteilseignern erst recht nachweisen, was sie auf diesem Gebiet erreicht hätten.
Den Apothekern riet Kaapke, ihre Heilberuflichkeit uneingeschränkt zu praktizieren, aber auch die kaufmännische Seite mit "merkantilem Augenmaß" zu betreiben, wie es Behnsen zuvor bezeichnet hatte. "Wer morgens einen Laden aufschließt, der für Menschen öffnet, hat damit eine kaufmännische Pflicht", so Kaapke. Doch müssten Apotheken nicht unbedingt alle gesundheitsbezogenen Produkte anbieten. Vielmehr erfordere eine erfolgreiche Positionierung, sich von anderen Anbietern abzugrenzen und ein klar erkennbares eigenes Profil zu entwickeln. "Ohne Profil keine Chance", so Kaapke.
An Kooperationen sollten Apotheker nur teilnehmen, wenn die Gleichung "2 + 2 = 5" im Jahresmittel stimmt, es müsse also klare Vorteile für die Apotheke geben. Preisstrategien könnten andere Anbieter besser als Apotheken umsetzen. Vielmehr sollten die Apotheker ihre Arbeit mit dem nötigen Selbstbewusstsein präsentieren und ihre Apotheke regelmäßig bewusst kritisch mit den Augen eines Kunden ansehen.
"Da wird die tote Fliege im Schaufenster zum Mahnmal", folgerte Kaapke. tmb
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