Aus Kammern und Verbänden

Patientenorientierte Kommunikation – Nutzen und Risiken

Arzneimittel sind erklärungsbedürftige Produkte. Die Information und Beratung zu ihrer Anwendung ist Aufgabe der Heilberufler, insbesondere der Apotheker, sie wird aber heutzutage durch moderne Kommunikationskanäle ergänzt. Wie der Gesetzgeber, Firmen, Patienten und Apotheker die elektronischen Informationsmöglichkeit steuern oder nutzen (können), war Thema der 9. Jahrestagung Consumer Health Care am 16. Oktober in Berlin, zu der Prof. Dr. Marion Schaefer eingeladen hatte.

Rechtsanwältin Simone Winnands, Düsseldorf, analysierte die undurchsichtige Rechtslage rund um die Begriffe Arzneimittelinformation und Arzneimittelwerbung. So gibt es in Deutschland keine klare justiziable Definition der Publikumswerbung bei Arzneimitteln, dafür umso mehr Rechtsunsicherheit, die die Gerichte beschäftigt. Die zumeist als Einzelfallentscheidung vorliegenden Urteile machen deutlich, dass zur Beurteilung von Arzneimittelinformationen, die an den Patienten gerichtet sind, drei Kriterien herangezogen werden müssen, nämlich

  • Absender,
  • Empfänger und
  • Inhalt der Botschaft,

wobei das gewählte Medium selbst keine Rolle spielt. Dennoch gibt es zu Einzelfragen abweichende Urteile, wenn es etwa darum geht, ob die Publikation einer Packungsbeilage bereits als Werbung anzusehen ist oder nicht. Schauplatz jüngerer Auseinandersetzungen ist vor allem das Internet, wo einzelne Hersteller "Arzneimittelinformation in Gestalt der Nichtwerbung" zu präsentieren versuchen. Immer häufiger finden sich begleitende Werbekampagnen, die Assoziationen zu Produkten wecken, die nicht namentlich genannt werden, sodass das Werbeverbot hier nicht greift.

Nach europäischem Recht ist Arzneimittelinformation zulässig, wenn sie wahr und klar sowie nicht irreführend und diskriminierend ist. Zudem sieht das zukünftige Pharmapaket ("Pharmaceutical Package") der EU-Kommission generell die Bereitstellung von Informationen über das Internet und Printmedien vor, um das Wissen der Patienten über Arzneimittel zu fördern und ihrem Informationsbedürfnis gerecht zu werden. Das Öffentlichkeitswerbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel soll bestehen bleiben, obwohl die öffentliche Kommunikation über Nutzen und Risiken verschreibungspflichtiger Arzneimittel mittels bestimmter Informationen und in bestimmten Medien vorgesehen ist.

Mehr Informationen über Arzneimittelrisiken

Was diese Situation für die Kommunikation über Arzneimittelrisiken bedeutet, diskutierte Professor Harald Schweim von der Universität Bonn. Er belegte am Beispiel des im Juli 2009 publizierten "Sicherheitsplans für Thalidomid", wie schwierig Anwendungseinschränkungen umzusetzen sind. Fehleinschätzungen der Risiken bei Patienten, aber auch bei den Heilberuflern seien nach wie vor an der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund forderte Schweim die evidenzbasierte Abwägung von Nutzen und Risiken von Arzneimitteln. Da in die klinische Prüfung im Durchschnitt nur einige Hundert bis wenige Tausend Patienten einbezogen sind, ist eine Überwachung nach dem Inverkehrbringen erforderlich; insbesondere nicht-interventionelle Studien sind unverzichtbar. Während für die Beurteilung des Nutzens von Arzneimitteln ein breites methodisches Instrumentarium zur Verfügung steht, existieren für die Erfassung der Risiken zu viele unterschiedliche Meldewege. Diese werden zudem nicht systematisch, sondern eher sporadisch und insgesamt zu selten genutzt. Dass die Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen direkt durch den Patienten die Situation verbessern könnte, bezweifelte Schweim.

Alternativen zur Packungsbeilage

Wie schwer sich Patienten mit den Arzneimittelinformationen in den Packungsbeilagen tun, berichtete Dusan Simic von der Universität Witten-Herdecke. Das vom BMBF geförderte Projekt "Patientenpräferenzen bei Informationen über Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln" fand bei einer Umfrage unter vorwiegend älteren Personen heraus, welche starken Emotionen die Packungsbeilage auslösen kann. Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Petra Thürmann und Dr. Stefan Wilm will daher eine Zusatzbroschüre zur Packungsbeilage entwickeln, die vorrangig mit Piktogrammen arbeitet und sich nach den Wünschen der Patienten, nicht der Experten richtet. Ganz oben auf der Wunschliste der Befragten steht: kürzere Informationen ohne Fremdwörter in ausreichender Schriftgröße mit präzisen Angaben zum Zeitpunkt und zur Art der Einnahme. Zudem wünschen sie sich spezielle Informationen für Mann oder Frau und für verschiedene Altersgruppen. Einige Befragte könnten sich die Packungsbeilage auch auf einer CD vorstellen; sie baten um Internet-Adressen und schlugen vor, Informationen per E-Mail oder als SMS aufs Handy zu senden.

Persönliche Beratung plus Internet

Manfred Pfeiffer vom Bundesverband für Patienten- und Versicherteninteressen erblickte in diesem Umfrageergebnis keinen Trend und warnte davor, alle Wünsche von Patienten umsetzen zu wollen, da daraus neue Konflikte entstünden. Er beklagte einerseits die Informationsflut über Arzneimittel und andererseits Lücken im Informationsprozess, wenn es um eine sektorübergreifende Betreuung geht, die im höheren Lebensalter meist die Regel ist. Pfeiffer betonte die zentrale Rolle von Arzt und Apotheker in der persönlichen Beratung. Zunehmend wichtig werden jedoch Angebote im Internet wie Gesundheits-Checks oder die Interaktionsprüfung bei www.apothekenumschau.de, die den Patienten bei der eigenen Entscheidungsfindung unterstützen sollen.

Diplomjuristin Lena Harmann fragte, ob das Modell "Shared Decision Making", d. h. gemeinsame Entscheidungsfindung von Arzt, Apotheker und Patient, nicht dort an Grenzen stößt, wo den Patienten der Zugang zu Informationen regulatorisch verwehrt wird. Folgt man ihrer Argumentation, muss die zunehmende finanzielle Selbstbeteiligung der Patienten von erweiterten Optionen begleitet sein, sich schnell und zielgerichtet zu informieren. Dieser Ansatz findet sich auch im "Pharmapaket" wieder, wird aber von mehreren EU-Staaten abgelehnt, sodass zumindest kurzfristig keine Änderungen des Status quo zu erwarten sind.

Welche Rolle sechs ausgewählte, häufig genutzte Gesundheitsportale für die Patienten spielen und welche Informationen sie in welcher Qualität bieten, untersuchte Diplomvolkswirt Ansgar Muhle. Zur Bewertung wurden die gängigen Prüfsiegel, der HON-Code, das Afgis-Logo und das DISCERN-Instrument herangezogen und durch eine anschließende Punktbewertung ergänzt. Muhle kam zu dem Schluss, dass sowohl kommerzielle Gesundheitsportale wie "Onmeda" als auch die Angebote von Behörden wie "Gesundheitsinformation.de" (vom IQWiG) glaubwürdig, unabhängig und qualitativ hochwertig sind.

EDV-Programme für die Beratung in der Apotheke

Anschließend stellte Dr. Juliane Kresser, Fa. Pharmatechnik, EDV-Programme vor, mit denen Apotheker ihrem Auftrag zur Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit nachkommen können. Die Nachfrage nach solchen Programmen stieg seit dem Jahr 1994 sprunghaft an. Inzwischen verfügt man über umfangreiche Anwendungserfahrungen, wobei Kresser jedoch kritisch anmerkte, dass etliche Teilprogramme nur unzureichend genutzt werden. Auch die Pflege der Patientenstammdaten werde oft vernachlässigt, obwohl sie bezüglich unerwünschter Arzneimittelwirkungen, Interaktionschecks oder auch der Compliance-Überwachung wichtig sei.

Hinsichtlich der Patientenberatung schlug Kresser vor, die Informationen auf das unbedingt Notwendige zu beschränken und besser auf den individuellen Patienten abzustimmen.

Anders als in Deutschland, wo die Daten der computergestützten Patientenbetreuung ausschließlich lokal gespeichert werden, plant Österreich, so Dr. Christian Müller-Uri vom Österreichischen Apothekerverband, bestimmte Informationen anonymisiert zentral zu speichern, um sie später analysieren zu können. Ob die Pläne realisiert werden können, wird die Politik demnächst entscheiden. Immerhin wurden in dem in Salzburg durchgeführten Pilotprojekt "Arzneimittelsicherheitsgurt" 380 schwere Interaktionen und 4200 Mehrfachverordnungen aufgedeckt, was die gesundheitspolitische Relevanz verdeutlicht. Als Beispiel für eine erfolgreiche Web-basierte Kundenbetreuung präsentierte Müller-Uri die im Jahr 2006 in Österreichs Apotheken an 68.000 Patienten durchgeführten Risikostudie "10 Minuten für meine Gesundheit". Die Studie offenbarte nicht nur die individuellen Risiken hinsichtlich Blutdruck, Blutzucker, Cholesterin, BMI u. a., sondern ermöglichte auch eine statistische Auswertung der erhobenen Daten für ganz Österreich (siehe www.apotheker.or.at).

Weitere integrierte Informationen betreffen die Dopingbestimmungen und die regulär in den Apotheken durchzuführenden Arzneimittelprüfungen, deren Ergebnisse ebenso per Computer gemeldet werden können.

Die e-Patienten

Klang hier die Nutzung moderner Medien schon an, so vertiefte Alexander Schachinger, Institute for Media Business, Stuttgart, noch den Blick in die digitale Zukunft des Gesundheitswesens. Die aktuellen Entwicklungen in den USA und Kanada zeigen, dass sich das Gesundheitssystem auf den e-Patienten einstellen muss. Dieser sucht im Health 2.0, dem Gesundheitsbereich des Web 2.0, nach Informationen und lässt sich von Meinungsführern ("Patient Opinion Leaders") und anderen Betroffenen beraten. Eine solche Entwicklung passt zu einer stärker partizipativen Gesundheitsversorgung, die auf die Leistungsstärke sozialer Netzwerke setzt. Die US-Website "PatientsLikeMe" (www.patientslikeme.com) vereint schon jetzt mehrere Tausend Patienten, die ihre persönlichen Daten einschließlich der Arzneimittelprofile ins Netz stellen und so auch – nach dem Vorbild von Wikipedia – Wissen generieren. Die Heilberufler sollten sich schon jetzt auf diese neuen Angebote vorbereiten, zumal große Firmen wie Siemens, Agfacolor und Fujifilm, aber auch zahllose Neugründungen in einer Art Goldgräberstimmung den Gesundheitsbereich für sich entdeckt haben und mit immer neuen Ideen auf den Markt drängen.

Masterstudiengang Consumer Health Care

Die Jahrestagung bot auch den Rahmen für die Übergabe der Urkunden und Zertifikate an die Absolventen des Masterstudiengangs Consumer Health Care der Charité-Universitätsmedizin Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Marion Schaefer. Zwölf Teilnehmer, die ihre Masterarbeit mit gutem oder sehr gutem Erfolg verteidigt hatten, erhielten den Titel "Master of Science":


Apothekerin Daniela Boeschen: "Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie"

Apothekerin Dr. Heike Fürhoff: "Bewertung von Packungsbeilagen anhand ausgewählter Kriterien am Beispiel von Citalopram der Hormosan Pharma"

Apothekerin Isabell Gögge: "Zur Konzeption eines Gesundheitsproduktes zur Anwendung bei Arteriosklerose, dargestellt am Beispiel sekundärer Pflanzenstoffe aus den Früchten der Weinrebe (Vitis vinifera L.)"

Dipl.-Juristin Lena Simone Harmann: "Zur Vereinbarkeit von Publikumswerbeverbot bei Arzneimitteln und Shared Decision Making"

Apothekerin Jana Kroll: "Zur Umsatzentwicklung neuer Arzneistoffe in Deutschland zwischen 1997 und 2007"

Apothekerin Silke Lauterbach: "Prävention des diabetischen Fußsyndroms - Entwicklung eines apothekenbasierten Betreuungskonzeptes für Diabetiker"

Dipl.-Kauffrau (FH) Ekaterina Morokvasic: "Patient Adherence to Long – Term Therapy of Multiple Sclerosis"

Dipl.-Volkswirt Ansgar Muhle: "Vergleich von führenden deutschen Gesundheitsportalen unter Berücksichtigung der gängigen Qualitätssiegel"

Dipl.-Kauffrau (FH) Verena Purrucker: "Möglichkeiten und Grenzen von Franchisesystemen in der zahnärztlichen Versorgung in Deutschland"

Dipl.-Juristin Janna Kristina Schweim: "Untersuchungen zum Arzneimittelversandhandel aus Verbrauchersicht"

Apotheker Thomas Uhrhan: "Organisationsbezogene Aspekte der Arzneimittelsicherheit in stationären Pflegeeinrichtungen"

Dipl.-Kauffrau (FH) Maria Urban: "Die Apothekenlandschaft im Wandel – Analyse möglicher Erfolgsfaktoren von Individualapotheken und strategische Handlungsoptionen eines pharmazeutischen Unternehmens"


Weitere neun Personen erhielten Zertifikate für die erfolgreiche Teilnahme am Studiengang. Die 10. Jahrestagung Consumer Health Care mit dem voraussichtlichen Thema "Datengesteuerte Gesundheitsversorgung im Digitalzeitalter" ist für den 23. Oktober 2010 vorgesehen.


Katja Weber, Editha Räuscher, Mark Goldammer

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