- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 41/2009
- Wien, Wien, nur Du allein...
Aus Kammern und Verbänden
Wien, Wien, nur Du allein …
Den Festvortrag zur Eröffnung hielt Prof. Dr. Peter Dilg, Marburg, unter dem Titel "Der Apotheker und das Arzneimittel – ein kritischer Rückblick". Ausgehend von dem Gesetzeswerk des Stauferkaisers Friedrich II., untersuchte Dilg kenntnisreich die europäischen Dimensionen dieser Gesetze und ihre Auswirkungen in Italien, Frankreich und Deutschland. Ihre Ergänzungen oder Veränderungen in der Frühen Neuzeit schlugen sich einerseits in amtlichen Arzneibüchern, andererseits in einer Gesetzgebung, die der Arzneimittelsicherheit breiteren Raum bot, nieder.
Anschließend gab die Universität Wien in den Arkaden des 1884 errichteten Hauptgebäudes am Dr.-Karl-Lueger-Ring 1 einen Empfang. Bei herrlich lauem Herbstwetter begrüßte man alte Freunde oder lernte jüngere Historiker – vor allem aus Mittelosteuropa – kennen.
Hier Gesetze – dort Marketing
An den folgenden Tagen fanden die Vorträge und eine Posterschau in den restaurierten Gebäuden des AKH (Allgemeines Krankenhaus Wien) statt.
Prof. Olivier Lafont, Frankreich, referierte über "Medicines, apothecaries and society in latin countries". Er ging insbesondere auf den Unterschied zwischen der Pharmaziegesetzgebung im alten Deutschen Reich und den Mittelmeerländern ein und betonte die Eigenständigkeit, aber auch die gemeinsamen Wurzeln der Entwicklungen.
Prof. Dr. Gregory Higby, USA, sprach zum Thema "The promotion of remedies to pharmacists in the USA, 1800 – 2000". Er stellte die Methoden vor, mit denen zunächst der pharmazeutische Großhandel, später die pharmazeutische Industrie die nordamerikanischen Apotheker zum Kauf und Weiterverkauf ihrer Arzneimittel gewissermaßen "verführten". In diesem Land wurde der Handel mit Medikamenten aller Art fast ausschließlich von Preisen und Rabatten, von Werbestrategien und Reklameaktivitäten bestimmt, eine Mentalität, die auf die Bundesrepublik erst im späten 20. Jahrhundert übergriff.
Pharmazie in Diktaturen
Prof. Dr. Christoph Friedrich, Marburg, hielt einen Vortrag über "Pharmazie im Dienste des Volkes? Arzneimittel- und Apothekenwesen in der NS-Zeit und in der DDR". Er betonte die Gemeinsamkeiten der Diktaturen auch in Pharmazie und Apotheke: Strenger Zentralismus, Autarkiebestreben, dadurch hervorgerufene Versorgungsengpässe, die im Dritten Reich vor allem während des Zweiten Weltkriegs auftraten. Umso erstaunlicher war es, dass es den Apothekern und Apothekerinnen in beiden Systemen dennoch gelang, unter widrigen Umständen die Arzneimittelversorgung aufrechtzuerhalten.
Das gleiche Thema behandelte aus rumänischer Sicht Prof. Dr. Honorius Popescu (Rumänien), der in seinem Vortrag "Les deux catastrophes legislatives de l’histoire des pharmacies de Roumanie" auf das Schicksal der vielen jüdischen Apotheker in seinem Land aufmerksam machte: Waren sie nach den antijüdischen Gesetzen von 1941 ("Rumänisierung" der Apotheken) dem Holocaust entgangen, so wurden sie im Zuge der "Nationalisierung" schließlich 1953 enteignet.
Verwissenschaftlichung des Apothekerberufs
Prof. Dr. François Ledermann, Bern, referierte über "Ils marchèrent avec leur siècle. Promotion sociale et vocation scientifique de la pharmacie de Napoléon à Bismarck". Dabei ging es um die zunehmende Verwissenschaftlichung der Offizinapotheker im 19. Jahrhundert und ihr Interesse an Botanik, Naturkunde oder naturhistorischen Museen. Diese breite Bildung, die auch hervorragende Fachgelehrte hervorbrachte, wurde zur Mitte des Jahrhunderts zunehmend von Universitätsprofessoren vermittelt, die die pharmazeutischen Wissenschaften nun im Kanon der Naturwissenschaften zu etablieren vermochten.
Apotheker J. v. Beethoven
Dr. Erika Eikermann, Köln, ließ in einem hervorragenden Vortrag den Bruder des Komponisten Ludwig van Beethoven, Apotheker Johann van Beethoven, wieder auferstehen und zeichnete die Schicksale der beiden so ungleichen Brüder nach.
Marcus Olli, Finnland, gab einen Überblick über den Doppeladler als Apothekenwahrzeichen in Finnland, das stark durch den politischen Einfluss des russischen Zarenreiches geprägt war.
Zahlreiche Kurzvorträge in Parallelsitzungen setzten sich mit der Arzneimittelgeschichte in einzelnen Ländern auseinander oder untersuchten neben einzelnen Arzneimitteln oder Stoffgruppen unter anderem historische Persönlichkeiten wie Hahnemann oder Paracelsus, aber auch den Apotheker-Schriftsteller Emil Jacobsen, dessen Werk Dr. Susanne Landgraf (Deutschland) vorstellte.
Akademiesitzung
Der Donnerstagabend war – traditionell – der "Séance Solenelle" der Académie Internationale d’Histoire de la Pharmacie (AIHP) vorbehalten, die im Großen Festsaal stattfand. Nach Grußworten und einem kurzen Rückblick, die der Präsident der Akademie, Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Heidelberg, vortrug, gedachten die Akademiker ihrer in den letzten Jahren verstorbenen ehemaligen Mitglieder. Anschließend nahmen sie elf neue Mitglieder aus Belgien, Frankreich, Italien, Litauen, Österreich, Polen, Serbien und der Schweiz in ihre Reihen auf. Traditionsgemäß folgte die Verleihung des Prix Carmen Francés an Dr. Caroline Schlick, Marburg, und der "George Urdang Medal" an Prof. Dr. W.-D. Müller-Jahncke.
Im Anschluss sprach die Gastgeberin des Kongresses, Prof. Dr. Christa Kletter, Wien, zum Thema "Austrian Pharmacy in the 18th and 19th Century". Sie schilderte die Entstehung der ersten und der zweiten Wiener Medizinischen Schule, den Einfluss bedeutender Mediziner auf die Pharmazie ihrer Zeit und die allmähliche Verselbstständigung dieses Faches auch im Kaiserreich Österreich bis 1918.
Die Übergabe des Präsidentenamtes an Prof. Dr. Stuart Anderson, London, und die Vorstellung des bis auf den Schatzmeister Dr. Peter-Hartwig Graepel, Gladenbach, neugewählten Vorstands schlossen die feierliche Sitzung ab, der ein kleiner Empfang im Senatssaal der Universität folgte.
IGGP-Kongress 2011 in Berlin
Die Mitgliederversammlung der IGGP bestätigte den bisherigen Vorstand und sprach vor allem Generalsekretär Priv.-Doz. Dr. Axel Helmstädter und Schatzmeisterin Dr. Larissa Leibrock-Plehn lobenden Dank aus.
In der Schlusssitzung wurden die besten Poster prämiert – den ersten Preis erhielt die Marburger Doktorandin Melanie Köppe für ihr Poster "Ankerwerk Rudolstadt – eine Unternehmensgeschichte" – und die Mitglieder zum 40. Kongress der IGGP 2011 in Berlin eingeladen.
Nun ist der "Wiener Kongress" bereits Geschichte. Es bleibt festzuhalten, dass die glänzende Organisation durch Frau Prof. Kletter und das hohe wissenschaftliche Niveau der Vorträge, nicht zuletzt aber auch der "genius loci" der alten Kaiserstadt zu seinem Erfolg beigetragen haben.
W.-D. Müller-Jahncke
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.