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Feuilleton
"Und samstags wird gebadet"
"Aber du siehst nichts Schmutzigeres als sie! Sie reinigen und waschen sich nur ein- oder zweimal im Jahr mit kaltem Wasser. Ihre Kleider aber waschen sie nicht, nachdem sie sie angezogen haben, bis dass sie in Lumpen zerfallen", empörte sich im 10. Jahrhundert ein Gesandter des maurischen Kalifen Al‑Hakam II. über die Mitteleuropäer. Es ist nicht klar, ob der Bericht die Realität widerspiegelte oder ob der Verfasser maßlos übertrieben hat. Verbürgt ist indessen, dass nach dem Zerfall des Römischen Reichs die Körperpflege im Abendland zusehends vernachlässigt wurde.
Erst als im Hochmittelalter Kreuzfahrer die orientalische Badekultur kennen und schätzen lernten, begann man auch in Mitteleuropa allmählich wieder mehr Wert auf Reinlichkeit zu legen. Fortan wurden in den Städten Badehäuser eröffnet, in denen die Menschen sich nicht nur reinigen sowie Bärte und Haare scheren lassen konnten. Sie waren auch als Stätten vergnüglicher Geselligkeit beliebt.
Mit der Verbreitung der Syphilis – von Seefahrern aus dem gerade entdeckten Amerika eingeschleppt – wurden die Europäer wieder "wasserscheu". Weil man vermutete, dass die Krankheit in den Badehäusern übertragen wird, wurden die Stätten der Reinlichkeit von Amts wegen geschlossen. Zudem glaubten die Mediziner, dass beim Baden Wasser durch die Poren in den Körper eindringt und sich mit den Körpersäften vermischt, und sahen darin eine weitere Krankheitsursache.
Auch bei der Hausreinigung wurde Wasser eher sparsam verwendet. Dies war allerdings wohl eher in den traditionell verwendeten Baumaterialien begründet: Die meisten Häuser hatten einen unebenen und rauen Boden aus Holz oder Stein und konnten deshalb nicht gewischt werden. Statt dessen bestreute man die Böden mit Sand oder Stroh, die man nach einiger Zeit hinausfegte, um die Bodenstreu darauf wieder zu erneuern. Die Ritzen in Lehmwänden und Strohdächern boten ein ideales Milieu für die Ansiedlung von Ungeziefer.
Max von Pettenkofer war der Vater der Hygiene
Die "häusliche Fauna" übertrug häufig Keime auf die Hausbewohner und löste mitunter verheerende Epidemien aus. Bis ins frühe 18. Jahrhundert (außerhalb Europas bis ins 19. Jh.) wurden wiederholt ganze Städte und Landstriche durch die Pest entvölkert. Auch die Ausbreitung von Cholera, Typhus und vielen anderen infektiösen Krankheiten – als "Strafe Gottes" gefürchtet – hätte durch besseres Wissen um die Zusammenhänge von Hygiene und Gesundheit vermieden werden können.
Diese Erkenntnis begann sich aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen. Ignaz Semmelweis hatte bereits in den 1840er Jahren als junger Assistenzarzt in einer Wiener Klinik für Geburtshilfe beobachtet, dass auf der durch Ärzte betreuten Station signifikant mehr Frauen an Kindbettfieber starben als in einer anderen Abteilung, in der Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden. Semmelweis vermutete, dass die Ärzte Keime von Leichensektionen auf die Gebärenden übertrugen, weil sie weder die Hände wuschen noch die Kleidung wechselten. Seine Empfehlung, vor jedem Kontakt mit einer Patientin die Hände mit Chlorkalk zu desinfizieren, brachte allerdings die meisten Berufskollegen und Medizinstudenten in Rage. Die kühne Behauptung, ausgerechnet Ärzte würden Krankheiten übertragen, empfanden sie als ziemlich starken Tobak.
Erst mit der Berufung des Münchner Arztes, Apothekers und Chemikers Max von Pettenkofer zum ersten deutschen Professor für Hygiene (München, 1865) gelang es allmählich, der Ärzteschaft, Politikern und der Bevölkerung den engen Zusammenhang zwischen angemessener Reinlichkeit und Gesundheit zu vermitteln. Pettenkofer entwickelte ein umfassendes Hygienekonzept, das auch die Technik und die städtische Infrastruktur mit einbezog. So ist es unter anderem sein Verdienst, dass in München eine Kanalisation und eine zentrale Trinkwasserversorgung gebaut wurden. Ende des 19. Jahrhunderts galt die bayerische Metropole als sauberste Stadt Europas.
Erziehung zur Sauberkeit
Zusehends erzog der Staat die Bevölkerung zur Hygiene. In der Gründerzeit wurden preußische Kasernen erstmals mit Duschbädern ausgestattet. Nur wenig später eröffneten die Städte Volksbäder, in denen die Wannenbäder zu Körperreinigung anfangs wichtiger waren als die Schwimmbäder. Auch in den Schulen wurden die Kinder zur Sauberkeit erzogen und ihr entsprechendes Verhalten streng kontrolliert. Für Frauen und Mütter als "Hauptverantwortliche" für die häusliche Sauberkeit wurde Aufklärungsliteratur publiziert. Hauswirtschaftsschulen vermittelten den Schülerinnen die neuesten Erkenntnisse über Hygiene. Auf dem Land widmeten sich häufig engagierte Pfarrer- oder Lehrerfrauen dieser Aufgabe.
Das zunehmende Hygienebewusstsein inspirierte auch die industriellen Unternehmer. Es kamen Fliesen, Putz, Tapeten und viele andere moderne Baumaterialien auf den Markt, die eine gründliche Reinigung der Wohnräume ermöglichten. Parallel entwickelte die chemische Industrie ein breites Sortiment an Haushaltschemikalien und Schädlingsbekämpfungsmitteln. Moderne Waschmittel ersetzten die bis dahin übliche Holzasche. Zudem erleichterten fließendes Wasser, Waschkessel, Waschbretter, Wringgeräte und schließlich Waschmaschinen die Wäschepflege.
Insbesondere die kosmetische Industrie profitierte vom zunehmenden Körperbewusstsein in breiten Bevölkerungsschichten. Seitdem werden immer wieder neue Körperpflegeprodukte entwickelt – von Seifen über Zahnpasta, Shampoos, Hautcremes, Schminke und Parfums bis zu Einwegwindeln, Produkten der Intimhygiene und Inkontinenzartikeln.
Nach heutigem Verständnis ist die tägliche Körperpflege nicht mehr nur Hygiene zur Gesunderhaltung, sondern auch zur Steigerung des Wohlbefindens. In diesem Zusammenhang ist häufig von "Wellness" und "Beauty-Kult" die Rede.
Man kann‘s auch übertreiben
Bei aller Sorge für eine sinnvolle Hygiene werden zuweilen die Gefahren einer übertriebenen Hygiene, die auch krankhaft sein kann (Waschzwang), übersehen: Dabei kann sich der erwünschte Effekt leicht ins Gegenteil verkehren. So nimmt in den Industrieländern die Anzahl der Menschen, die auf an sich harmlose Substanzen allergisch reagieren, stetig zu, und zwar gerade in den Städten. Dagegen leiden Personen, die auf Bauernhöfen aufgewachsen und häufiger mit Schmutz in Berührung gekommen sind, deutlich seltener an Allergien.
Reinhard Wylegalla
Deutsches Landwirtschaftsmuseum
Das Deutsche Landwirtschaftsmuseum in Schloss Blankenhain ist das ostdeutsche Pendant des gleichnamigen Museums in Stuttgart-Hohenheim. Es befindet sich auf einem ehemaligen Rittergut mit elf Hektar Fläche und achtzig Gebäuden. Die Dauerausstellungen dokumentieren die ländliche
Lebens- und Arbeitswelt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Neben dem Schloss können u. a. eine Dorfschule, eine Brauerei und andere ländliche Produktionsstätten, ein Umgebindehaus sowie ein Neubauernhaus besichtigt werden.
Deutsches Landwirtschaftsmuseum Schloss Blankenhain,
08451 Crimmitschau/Sachsen
OT Blankenhain
Tel. (036608) 2321, Fax 2332, www.deutsches-landwirtschaftsmuseum.de
Geöffnet: Bis 15. Oktober täglich
9 bis 18 Uhr, danach bis 15. November nur für Gruppen nach Voranmeldung
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