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Europawahl
Apotheken sind unverzichtbar
Die Wahlprogramme der Parteien zur Europawahl sind vollmundig. Sie befassen sich mit Themen wie dem Finanzmarkt, der Beschäftigung, Sicherheit und Energie. "Stark und sozial" präsentiert sich dabei die SPD, die CDU zieht mit dem Slogan "Starkes Europa – Sichere Zukunft" in den Wahlkampf, die Grünen stehen mit "WUMS – für ein besseres Europa" im Wahlkampf und die FDP wirbt für "ein Europa der Freiheit". Wer in den Programmen nach dem Stichwort "Gesundheit" sucht, findet allerdings kaum mehr als die Aussage, dass der Gesundheitsschutz ein wichtiges Ziel sei. Lediglich bei den Grünen kommt die "Gesundheit" an mehreren Stellen vor, sie widmen sich sogar in einem etwas längeren Abschnitt der Gesundheitsversorgung. Als einzige Partei erwähnen sie auch die Apotheker in ihrem Wahlprogramm. Dass die Gesundheitspolitik im Wahlkampf eher ein Randthema ist, liegt sicherlich daran, dass die Regelungsbefugnisse der EU in diesem Bereich begrenzt sind. Dennoch hat das Straßburger Parlament immer wieder über Maßnahmen zu entscheiden, die den Gesundheitsschutz betreffen. So beschäftigen sich die Abgeordneten derzeit etwa mit dem EU-Pharmapaket, das sich unter anderem dem Problem der Arzneimittelfälschungen annimmt. Darüber hinaus wirken die Kommission und der Europäische Gerichtshof immer wieder auf die nationalen Gesundheitssysteme ein – bekanntlich auch auf die Apotheken.
Die DAZ hat bei Europa-Abgeordneten der sechs auch im Bundestag vertretenen Parteien nachgefragt, was gesundheitspolitisch von ihnen zu erwarten ist und wie sie zum deutschen Apothekensystem stehen.
Unsere Interviewpartner
Dr. Peter Liese (CDU/Fraktion der Europäischen Volkspartei und europäischer Demokraten – EVP-ED)
Peter Liese, Jahrgang 1965, ist Mediziner und vertritt die CDU seit 1994 in Straßburg. Er ist Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. Liese ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Bioethik der EVP/ED-Fraktion und überdies Vizevorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Der Südwestfale besetzt den vierten Platz der CDU-Landesliste Nordrhein-Westfalen.
Dr. Angelika Niebler (CSU/EVP-ED)
Die 46-jährige Münchnerin ist promovierte Juristin und seit 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments. Dort ist sie Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Industrie, Forschung und Energie und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. In der Vergangenheit hat sie sich in Straßburg immer wieder für den Erhalt der Freien Berufe stark gemacht.
Dagmar Roth-Behrendt (SPD/ Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament – PSE)
Die 56-jährige Juristin aus Berlin ist bereits seit 1989 Mitglied des Europäischen Parlaments. Von Anfang an war die Gesundheitspolitik ihr Terrain. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit. Zugleich ist sie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie im Rechtsausschuss. Seit 2006 ist Frau Roth-Behrendt zudem im EU-Arzneimittelforum aktiv. Sie steht auf Platz 9 der SPD-Bundesliste.
Jorgo Chatzimarkakis (FDP/ Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa – ALDE)
Der Liberale "Chatzi" stammt aus Duisburg und ist sowohl deutscher als auch griechischer Staatsbürger. Der 43-jährige Politikwissenschaftler sammelte seine ersten politischen Erfahrungen als Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten. Die nun zu Ende gehende Legislaturperiode war seine erste im Europäischen Parlament. Er ist Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Seit 2006 ist er zudem Mitglied des EU-Arzneimittelforums. Er steht auf der FDP-Wahlliste auf Platz 3.
Hiltrud Breyer (Grüne/Freie Europäische Allianz)
Die Diplom-Politologin (Jahrgang 1957) ist seit 1989 Abgeordnete im Europäischen Parlament. Frau Breyer ist unter anderem Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit. Die Saarbrückerin gehört zu dem 25-köpfigen Team der Grünen für die Europawahl.
Dr. André Brie (Die Linke/ Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken)
Der in Schwerin geborene Politikwissenschaftler André Brie (59) vertritt Die Linke seit 1999 im Europäischen Parlament. Derzeit ist er unter anderem stellvertretendes Mitglied im Ausschuss Binnenmarkt und Verbraucherschutz und hatte damit von den sechs Abgeordneten der Linken noch am ehesten Berührungspunkte mit der Gesundheitspolitik. Bei der nunmehr anstehenden Wahl kandidiert Brie nicht mehr. Dafür steht nun eine waschechte Gesundheitspolitikerin auf dem 7. Listenplatz der Linken, Sabine Lösing.
Vier Fragen an ...
DAZ Wofür steht Ihre Fraktion in der Gesundheitspolitik?Liese, CDU: Wir stehen für eine europäische Gesundheitspolitik, die sich am Wohl des Patienten orientiert. Dafür brauchen wir keine übertriebene staatliche Gängelung, sondern vor allen Dingen eine Unterstützung und Zusammenarbeit mit den im Gesundheitswesen tätigen Apothekern, Ärzten, Pflegepersonal und vielen anderen. Auch im Gesundheitswesen müssen wir die Chancen der europäischen Einigung nutzen und sollten nicht grundsätzlich kritisch an die Aktivitäten der Europäischen Union herangehen. Aber man muss immer aufpassen, dass die Kommission das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet.
Niebler, CSU: Weniger Zentralismus im Gesundheitswesen ist eines der großen Ziele der CSU, dem sich auch die CSU-Europagruppe verpflichtet fühlt. Wir brauchen eine Medizinstruktur, die das Wohl des Patienten in den Mittelpunkt stellt. Dafür haben wir uns in einer Reihe von Richtlinien und Verordnungen eingesetzt. Ganz aktuell: Erst vor wenigen Wochen haben wir im Parlament einen Richtlinienvorschlag zur Stärkung der Patientenrechte unterstützt. Dabei geht es um die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen im EU-Ausland, die jetzt berechtigterweise gestärkt werden sollen.
Ganz wichtig war uns auch die Verbesserung der Arzneisicherheit bei Kindern, damit diese nicht wie kleine Erwachsene behandelt werden, sondern es in Zukunft maßgeschneiderte Medikamente, gerade auch was die Dosierung betrifft, gibt. Auch das Thema "Forschung" ist ein wichtiger Bereich: So haben wir uns insbesondere für mehr Forschungsgelder bei der Bekämpfung seltener Krankheiten stark gemacht. Dieses sind Bereiche, in denen eine Bündelung der Interessen und Ziele, wie es die EU vermag, sinnvoll ist.
Roth-Behrendt, SPD: Im Rahmen der uns zustehenden Gestaltungsmacht in Europa setzen wir uns für sichere medizinische Produkte und Arzneimittel sowie zuverlässige Informationen ein. Unser Ziel ist die Sicherstellung einer gesundheitlichen Versorgung von hoher Qualität, die ohne soziale Schranken zugänglich ist und an deren Finanzierung sich alle nach ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit beteiligen.
Chatzimarkakis, FDP: Die ALDE-Fraktion im Europäischen Parlament steht für eine umfassende gesundheitliche Präventionspolitik, insbesondere um die Herausforderungen durch die großen europäischen Pandemien wie Diabetes, HerzKreislauf-Erkrankungen und Krebs zu bewältigen.
Breyer, Grüne: Auch wenn die EU für Gesundheit nur eingeschränkte Kompetenzen hat, gibt es viele Bereiche, in denen sie für Patientinnen und Patienten unerlässlich ist. Denn Patienten sind immer auch Verbraucher – und ihr Schutz bekommt zu Recht immer mehr Gewicht in der Europäischen Union. Die Sicherung der Rechte der Patienten ist für mich zentral, nicht etwa Interessenswahrung der Pharmaindustrie.
Gesundheitspolitik ist für die Grünen immer Umwelt- und Gesundheitsschutz. Allergien, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Krebserkrankungen nehmen rasant zu in Europa. In vielen Fällen entstehen sie erst durch Umweltbelastungen wie verschmutzte Luft, Pestizidcocktail im Essen oder Chemikalienbelastung in Alltagsprodukten. Fast alle EU-Bürgerinnen und Bürger fürchten, dass Umweltverschmutzung ihre Gesundheit beeinträchtigt. Die Aufmerksamkeit für diesen Zusammenhang überhaupt erst herzustellen bleibt weiter Herzensanliegen.
Dr. André Brie, Die Linke: Unsere grundsätzlichen Ziele sind konstant und trotz sich verändernder Bedingungen – auch trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise – realistisch und durch eine schrittweise Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und ihre spätere Abschaffung finanzierbar:
- gleichberechtigter Zugang zu den Gesundheitsdienstleistungen als fundamentales Grundrecht jedes Menschen;
- alle Menschen müssen die gleichen Chancen auf Gesundheit haben; Grundlage dafür sind eine soziale und solidarische Finanzierung der Gesundheitsversorgung;
- die Gesundheit der Bevölkerung muss eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge bleiben und darf nicht dem Kommerz geopfert werden; zentrale Bedeutung linker Gesundheitspolitik haben Gesundheitsförderung und Prävention.
Liese, CDU: Eine ganz wichtige Herausforderung ist das von Kommissar Verheugen vorgelegte Arzneimittelpaket. Wir unterstützen die Forderung nach besserer Pharmakovigilanz und grundsätzlich auch die Pläne zur besseren Kontrolle gegen gefälschte Arzneimittel. Sehr kritisch sieht die CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament aber die Pläne zur Lockerung des Werbeverbots bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Die Erfahrungen aus den USA zeigen, dass dies keinesfalls zum Nutzen der Patienten ist. Der Vorschlag ist für mich und meinen Kollegen, Dr. Thomas Ulmer, ein weiterer Grund für unsere Forderung, die Kompetenz für Arzneimittelrecht aus der Generaldirektion Unternehmen herauszunehmen und in die Generaldirektion der zuständigen Gesundheitskommissarin zu verlagern.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die endgültige Verabschiedung der Richtlinie über Patientenrechte. Das Recht, im Ausland behandelt zu werden und die entstandenen Kosten von der nationalen Versicherung erstattet zu bekommen, steht jedem Bürger zu. Viele Mitgliedstaaten haben das aber noch nicht umgesetzt.
Nicht zuletzt ist mir die Verabschiedung einer Richtlinie und die Umsetzung eines Aktionsplans zur Organspende wichtig. Wir müssen die legale, freiwillige und unentgeltliche Organspende fördern, um Menschen auf der Warteliste zu helfen. Auf der anderen Seite müssen wir illegalen Organhandel mit allen Kräften bekämpfen.
Niebler, CSU: In der nächsten Legislaturperiode stehen einige Gesetzgebungsverfahren auf der Tagesordnung. So soll das sog. "Pharmapaket", bestehend aus den drei Bereichen Patienteninformation, Arzneimittelsicherheit und Pharmakovigilanz verabschiedet werden. Auch werden in 2. Lesung die Beratungen über Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung fortgesetzt.
Roth-Behrendt, SPD: Die Verabschiedung des Pharmapaketes steht an. Wichtig ist mir hier die Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen. Es besteht die berechtigte Furcht, dass Fälschungen zunehmen, wenn man keine weiteren Maßnahmen ergreift. Die hierzu im Pharmapaket vorgesehenen Regelungen finde ich sehr gut. So sollten etwa die Rückverfolgbarkeit und Versiegelung von Arzneimittelpackungen eine Selbstverständlichkeit sein. Der Ansatz für eine verbesserte Arzneimittelinformation – auch über die Hersteller – ist ebenfalls richtig. Dabei muss klar sein: Niemand möchte Werbung, nicht einmal die Industrie. Es geht um eine krankheitsorientierte Information, die über den Beipackzettel hinausgeht und die nicht nur in einer Internetgesellschaft stattfindet. Wenn europäische Bürger die gewünschten Informationen über US-amerikanische Webseiten beziehen, entspricht dies nicht meinem demokratischen Verständnis.
In der kommenden Legislaturperiode werden wir zudem die Regelungen zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung verabschieden. Zur Sprache bringen wollen wir auch andere Arten von Heilmethoden: Welchen Stellenwert haben etwa die Homöopathie und die anthroposophische Medizin? Auch das Thema Berufsqualifikationen wollen wir uns nochmals anschauen.
Chatzimarkakis, FDP: Die großen europäischen Pandemien sind insbesondere bei Diabetes auch auf eine falsche Ernährung zurückzuführen. Wir wollen deshalb das Bewusstsein für die Bedeutung einer richtigen Ernährung und einen richtigen Lebensstil wecken.
Wir möchten aber auch ganz klar die Rechte von Patienten stärken. Hier geht es vor allem auch um das Recht auf Zugang zu relevanten Informationen für den Patienten und Erleichterungen für eine wirkliche grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (Patientenpass). Zudem sollten endlich gemeinsame Standards bei Patientenrechten gefunden werden.
Ein anderes wichtiges Stichwort ist auch der Kampf gegen gefälschte Medikamente. Sie sind unwirksam bis gefährlich und müssen effektiv bekämpft werden. Laut einer Studie des Bundeskriminalamtes stammen gefährliche Arzneimittel zu 80 Prozent aus dem Internet, die restlichen 20 Prozent sind auf fehlende Grenzkontrollen zurückzuführen. Hier setzen wir uns für eine Liste sicherer, von entsprechender Stelle zertifizierter Internetapotheken ein. Auch spezielle Authentizitäts-Siegel können ein Weg sein. Wir haben hierzu der Kommission schon eine entsprechende Anfrage gestellt.
Breyer, Grüne: Eine starke EU-Umweltpolitik ist ganz klar präventiver Gesundheitsschutz. Der einzelne EU-Staat kann dies nicht leisten, da gerade Umweltprobleme nicht vor nationalen Grenzen halt machen. Es braucht deshalb weiter ambitionierte Gesetze, um unsere Gesundheit nachhaltig zu schützen und bestehende Lücken zu schließen, wie beispielsweise bei Feinstaub in Innenräumen.
Mehr "europäischer Mehrwert" ist notwendig für die Alternative Medizin. Über 100.000 Menschen nutzen alternative Heilverfahren, ohne dass sich dies in der entsprechenden Gesetzgebung niederschlägt. Das Mauerblümchendasein der holistischen Medizin sowohl bei der Zulassung als auch bei der EU-Forschungsfinanzierung muss beendet werden.
Brie, Die Linke:
- . Verhinderung einer auch nur irgendwie gearteten Einbeziehung der Gesundheitsdienstleistungen in den Geltungsbereich der EU-Dienstleistungsrichtlinie;
- alle auf die Kommerzialisierung des Gesundheitssystems hinauslaufenden Bestrebungen müssen konsequent unterbunden werden;
- ausgehend von der anerkannten Tatsache, dass Armut ein Schlüsselfaktor für Krankheit (bzw. schlechte Gesundheit) ist, muss diese Dimension in der Gesundheitspolitik endlich berücksichtigt und ihre Ursachen zurückgedrängt werden.
Liese, CDU: Weder noch. Europa muss dort, wo die Mitgliedstaaten allein nicht erfolgreich handeln können, engagiert tätig werden. Dies gilt zum Beispiel bei der Entwicklung von Arzneimitteln für Kinder und Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen. Dies kann nur europäisch geschehen. Auf der anderen Seite muss die Kompetenz der Mitgliedstaaten bei der Organisation ihres Gesundheitswesens erhalten werden. Bestehende und bewährte Strukturen dürfen nicht ohne Not zerschlagen werden. Bei diesen Kriterien muss man jeden Einzelfall prüfen.
Niebler, CSU: Prinzipiell bin ich wie meine Fraktion der Meinung, dass die EU sich nicht in die Organisation der nationalen Gesundheitssysteme einmischen darf. Die Organisationshoheit der Gesundheitssysteme sollte alleine im Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten liegen. Das heißt, dass die Art, wie etwa das Gesundheitssystem finanziert wird oder wie die Qualität der Versorgung am besten zu erhalten ist, am besten den Mitgliedstaaten überlassen werden sollte.
Bei grenzüberschreitenden Aspekten und binnenmarktrelevanten Themen hat die EU meiner Ansicht nach jedoch sogar die Pflicht Gesetzgebung zu erlassen. So sind die Sicherheit von Arzneimitteln, die Patientenrechte bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsvorsorge oder die medizinische Forschungsförderung auch Sache der Europäischen Union.
Roth-Behrendt, SPD: Es gibt bereits in vielen Bereichen eine Harmonisierung – etwa im Hinblick auf Diagnostika, Organe, Hygiene. Auch die Möglichkeit der freien Ausübung der Gesundheitsberufe nutzt allen Bürgern. Fragen der Finanzierung und Erstattung sind dagegen Sache der Mitgliedstaaten. Hier würde ich mir weitergehende Regelungen wünschen. Ich kann mir vorstellen, dass man auf Empfehlungsebene für ausgesuchte Behandlungen Goldstandards bestimmt.
Chatzimarkakis, FDP: Für uns gilt das Subsidiaritätsprinzip: Europa kann viel, muss aber nicht alles machen: viele Probleme lassen sich besser vor Ort regeln, unter Berücksichtigung der nationalen Eigenheiten. Die sind jedoch mancherorts sehr starr. Der richtige Ansatz wäre, wenn national dennoch flexibel auf die Herausforderungen der heutigen Zeit reagiert wird, wie es etwa die Umgestaltung des "National Health Service" in Großbritannien zeigt.
Breyer, Grüne: Gesundheit ist ganz klar ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, aber dennoch müssen die grenzüberschreitende Patientenmobilität und die Rechte der Patienten gewährleistet sein. Bedauerlicherweise ist dieser Punkt in der neuen Richtlinie zu grenzüberschreitenden Gesundheitsdiensten vernachlässigt worden. Die Richtlinie gibt keine Garantien für Rückerstattungen. Mehr Patientenmobilität darf auch nicht bedeuten, dass nationale Gesundheitssysteme untergraben werden. Deshalb sind die Grünen für eine Vorabgenehmigung für aufwendige Behandlungen.
Brie, Die Linke: Ich bin ein entschiedener Anhänger europäischer Integration. Dafür gibt es nach wie vor große Möglichkeiten und Erfordernisse. Aber Gesundheitspolitik muss in der Zuständigkeit der Mitgliedsländer bleiben. Die EU kann das mit Erfahrungs- und Informationsaustausch und Verallgemeinerung guter Praxis begleiten. Insbesondere darf Europa nicht benutzt werden, um durch die Hintertür eine sukzessive Privatisierung dieser Dienstleistungen vorzunehmen und sie dem EU-Binnenmarkt zu unterwerfen.
DAZ Welchen Stellenwert messen Sie den Apotheken bei? Glauben Sie, dass sich die öffentlichen Apotheken auch in Zukunft in Europa behaupten können? Oder gehört die Zukunft den Ketten?Liese, CDU: Ich glaube, dass sich die Rolle der Apotheken in Europa grundsätzlich behaupten wird. Jedoch werden, wie in den letzten Jahren schon zu beobachten, einige Veränderungen auftreten. Ich glaube nicht, dass die Zukunft den Ketten gehört, sondern dass die eigentümergeführte Apotheke weiter eine wichtige Bedeutung hat. Persönlich halte ich die Apotheken für einen wichtigen Teil des Gesundheitswesens. Ich habe in den letzten Jahren Beschlüsse und Initiativen unterstützt, die Freiberuflichkeit, insbesondere das Apothekenwesen in Europa, zu erhalten. Ich bin auch sicher, dass meine Kollegen im zuständigen Ausschuss den nächsten Wettbewerbskommissar/die nächste Wettbewerbskommissarin bei der Befragung im Europäischen Parlament auch bezüglich dieser Problematik sehr genau unter die Lupe nehmen werden.
Niebler, CSU: Apotheken haben für mich einen sehr hohen Stellenwert: Sie stellen die Versorgung der Bürger mit Medikamenten flächendeckend und rund um die Uhr sicher und beraten die Patienten umfassend. Sie sind ein wichtiger Teil der allgemeinen Daseinsvorsorge und können somit nicht dem "Supermarkt um die Ecke" gleichgestellt werden.
Ich hoffe sehr und setze mich mit Nachdruck dafür ein, dass sich kleine inhabergeführte Apotheken behaupten können. Denn eine flächendeckende medizinische Versorgung und eine qualitativ hochwertige Beratung der Patienten ist meiner Meinung nach nur mit unabhängigen und gut ausgebildeten Apothekern möglich, die sich nicht den Profitmaximierungsbestrebungen von Kapitalgesellschaften unterwerfen müssen. Arzneimittel sind nun mal kein Konsumartikel, sondern ein besonderes Gut, für das es auch besondere Regeln geben muss, um die Verbraucher zu schützen.
Dagmar Roth-Behrendt (SPD): Das deutsche Apothekensystem ist gar nicht hoch genug einzuschätzen; es wäre ein Drama, wenn wir es verlören. Apotheken sind die erste Anlaufstelle bei Befindlichkeitsstörungen und können Arztbesuche oftmals überflüssig machen. Die Menschen wollen sachkundige Berater, die gut aus- und fortgebildet sind und denen sie vertrauen können. Während einer Krankheit sind Apotheker für viele Patienten eine wichtige Bezugsperson.
Was die Zukunft der Apotheken betrifft, so hängt einiges von der nun anstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ab. Ich kann mir vorstellen, dass sich Apotheken zu kleinen Gesundheitszentren entwickeln, viele machen das schon jetzt. Eine Freundin von Versandapotheken und Ketten war ich noch nie. Dort geht es nur um Geld – und darunter leidet die Beratung. Doch der Druck, billig zu sein, darf die Beratung und die Effizienz nicht kaputt machen. Die Apotheker müssen selbstbewusst auftreten und ihren Platz im Gesundheitswesen verteidigen.
Chatzimarkakis, FDP: Apotheken sind entscheidende Dienstleister bei einer gemeinsamen Prävention. Wenn sie diese Rolle professionell und effizient ausbauen und angehen, dann gehört ihnen die Zukunft. Der Trend bewegt sich ganz klar weg vom "Verkäufer" hin zu einem kompetenten Gesundheitsberater. Hier könnten Individual-Apotheker aufgrund ihrer hochwertigen Ausbildung durch ihre Kompetenzen klare Wettbewerbsvorteile gegenüber Internetapotheken oder "Discountern" haben. Qualität wird sich immer durchsetzen.
Hierzu gibt es in Europa interessante Entwicklungen. Erste Apotheken bieten bereits Dienstleistungsangebote an. Es gibt auch sogenannte "Schwerpunkt-Apotheken", die sich explizit der Versorgung von HIV-, Krebs- oder Diabetes-Patienten widmen. Hier könnten echte Synergieeffekte erzielt werden, die allen Beteiligten am Gesundheitsmarkt nur nützen würden.
Breyer, Grüne: Apotheken sind ein unerlässlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Ich denke, mehr Wettbewerb würde dem Apothekenmarkt gut tun. Durch einen stärkeren Wettbewerb ergeben sich zahlreiche Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher, z. B. durch größere Auswahlmöglichkeiten und niedrigere Preise. Verbraucher schätzen kompetente Beratung vor Ort und werden sich dementsprechend orientieren, um ihr Recht auf Information in der Apotheke einzufordern.
Gleichzeitig darf mehr Wettbewerb aber nicht zu Versorgungsengpässen in strukturschwachen Regionen führen. Problematisch finde ich auch, wenn mehr Wettbewerb nur zu Kettenbildung führen würde. Damit entstünde die Gefahr einer neuen Monopolisierung was sich zum Nachteil für die Verbraucher auswirken kann.
Brie, Die Linke: Die inhabergeführte Präsenzapotheke garantiert eine patientennahe und sichere Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten. Besonders für ältere Menschen und jeden, der persönliche Beratung braucht und will, ist die Apotheke vor Ort unerlässlich.
Die Zukunft der Apotheken hängt nicht zuletzt von der Politik, teilweise aber auch von den Kunden ab. Wir wären sehr gut beraten, die inhabergeführte Präsenzapotheke zu bewahren. Dieses System hat sich bewährt. Ketten und der zunehmende Versandhandel sind kein Ersatz für sie. Kostentreiber bei Arzneimitteln sind ohnehin in erster Linie die Pharmakonzerne. Die Öffnung für in Deutschland nicht zugelassene Medikamente durch die kürzlich verabschiedete EU-Richtlinie über die "Anwendung von Patientenrechten bei grenzüberschreitenden Gesundheitsdiensten" sehe ich daher auch in diesem Zusammenhang äußerst kritisch.
Kirsten Sucker-Sket
Am 7. Juni ist Wahl
Rund 375 Millionen Unionsbürgerinnen und -bürger sind in der ersten Juniwoche dieses Jahres aufgerufen, das Europäische Parlament zu wählen. In Großbritannien und den Niederlanden wird bereits am Donnerstag dem 4. Juni zur Wahlurne geschritten. Die übrigen Mitgliedstaaten folgen bis zum 7. Juni – dann ist auch Wahlsonntag in Deutschland. Die Wahlergebnisse werden aber allesamt erst am Sonntagabend bekannt gegeben.
Deutschland wird erneut 99 Abgeordnete nach Straßburg senden. Insgesamt gibt es 736 Sitze im Parlament, die die Abgeordneten aus 27 EU-Mitgliedstaaten unter sich aufteilen. Deutschland ist das Land mit den meisten Sitzen; 32 Parteien hoffen hier auf Plätze. Echte Chancen dürften angesichts der bundesweit geltenden Fünf-Prozent-Hürde aber nur die bekannten großen Parteien haben. Einzelbewerber sind im Europawahlkampf ausgeschlossen; wer EU-Parlamentarier werden will, muss auf der Liste einer Partei oder politischen Vereinigung stehen.
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