Medizin

Was steckt eigentlich hinter …übermäßigem Schwitzen?

Unter Hyperhidrose leiden Betroffene oft jahrelang, ohne ihren Haus- oder Facharzt damit zu "belästigen". Das Hyperhidrose-Zentrum Wien schätzt, dass 2,5% der Erwachsenen (in Deutschland also 2 Millionen) unter übermäßigem Schwitzen leiden, aber nur 40% damit zum Arzt gehen. Dabei ist qualifizierter Rat auch ohne große Diagnostik in der Regel leicht zu geben – wenn ein paar differenzialdiagnostische Fragen abgeklärt sind.

 

Schwitzen

ist lebenswichtig für unseren Organismus, nicht nur zur Regulation der Körpertemperatur. Eine Hyperhidrose oder übermäßiges Schwitzen liegt vor, wenn der Körper unabhängig von Wärme oder Kälte, Tages- oder Jahreszeit übermäßig und unkontrollierbar viel Schweiß produziert. Wissenschaftler definieren Hyperhidrose als eine Schweißproduktion von über 100 mg innerhalb von 5 Minuten in einer Achselhöhle – in der Praxis lässt sich dies aber nicht messen: Entscheidend ist deshalb vielmehr der Leidensdruck der Betroffenen.

 

Wichtigstes Anliegen der Erstanamnese ist, die örtliche Verteilung der Hyperhidrose in Erfahrung zu bringen: Studien zufolge betrifft sie zu 60% die Handinnenflächen oder Fußsohlen, zu 40% die Achselhöhlen, zu 10% Stirn oder Haaransatz und nur selten andere Körperstellen wie den Genitalbereich.

 

Primäre Hyperhidrosen

Primäre von sekundären Hyperhidroseformen abzugrenzen, ist die wichtigste differenzialdiagnostische Überlegung. Bei den primären Hyperhidrosen ist keine bestimmte Ursache für die vermehrte Schweißproduktion auffindbar. In diese Gruppe gehören die meisten fokalen Hyperhidrosen, die Handflächen, Fußsohlen oder Achseln betreffen. Bei diesen Formen nimmt man an, dass das Schweißzentrum im Hypothalamus sensibler auf Trigger wie Gewürze, Genussmittel, aber auch Stress oder Angst reagiert und dadurch schon frühzeitig und ohne thermoregulatorische Notwendigkeit das Schwitzen in Gang setzt. Primäre Hyperhidrosen sind erfahrungsgemäß nicht in allen Lebensabschnitten gleich ausgeprägt: Vor allem in hormonellen Umbruchphasen wie Schwangerschaft, Wechseljahren, aber auch Pubertät wird das Schwitzen als besonders unangenehm erlebt.

 

Den Lebensstil zu ändern, ist für den Patienten die erste Maßnahme. Dazu gehört das Meiden der Schweiß auslösenden Trigger, egal ob es der Alkoholkonsum oder der Verzehr bestimmter Gewürze ist.

 

Hilft das nicht, werden Präparate auf Basis von Aluminiumchlorid empfohlen. Dieses Aluminiumsalz dringt in die Haut ein, verbindet sich dort mit dem Keratin in den Schweißkanälen und blockiert so die Schweißdrüsenausführungsgänge. Das hilft meist spürbar und effektiv, zumindest in den ersten Wochen. Das Salz wird als Creme am Abend, anfangs täglich, dann zwei- bis dreimal die Woche, auf die schwitzenden Stellen aufgetragen. Ergänzend kann der Apotheker zu einem Deodorant mit hohem Aluminiumchlorid-Gehalt oder einem Gerbstoff-Präparat raten. Leider lässt die Wirkung mit der Zeit nach und oft reagieren auch die behandelten Hautareale auf das aggressive Salz.

 

Manche Ärzte verordnen auch Anticholinergika – meist rechtfertigen aber die Nebenwirkungen nicht ihren Einsatz. Konservativ nicht therapierbare Betroffene profitieren heute von mehreren invasiven Therapieoptionen: Relativ neu, aber erfolgreich bei intraktablem Achselschweiß ist die Injektion von Botulinumtoxin in die hyperhidrotischen Areale. Nachteilig ist hier die begrenzte Wirkung von nur wenigen Monaten und die – auf Dauer gesehen – recht hohen Kosten, die keine Kasse übernimmt.

 

Die radikale Lösung besteht in der chirurgischen Schweißdrüsenexzision. Auch diese wird vor allem bei axillärer Hyperhidrose angewandt. Allerdings sind Wundheilungsstörungen und Narbenkeloide häufig, weshalb viele Ärzte zögern, diesem Eingriff zuzuraten. Ähnliches gilt für die Entfernung von Sympathikusnervenfasern, bei der häufig Rückfälle auftreten. Effektiver ist da schon, zumindest bei geübten Operateuren, die minimalinvasive Entfernung von Schweißdrüsen in einer subkutanen Saugkürettage.

 

BeschwerdebildWas steckt dahinter?

Übermäßiges Schwitzen bei Stress, Angst, Schmerzen

 

• Vornehmlich an Achseln, Handflächen, Fußsohlen, Stirn

 

 • Hände oft blau-weißlich verfärbt

 

 • An den Füßen oft Warzen und/oder Hornhauterweichungen

Primäre Hyperhidrose 
(erbliche Schwitzneigung)

Vermehrtes Schwitzen kombiniert mit Hitzewallungen bei Frauen

 

• Vor oder während der Menstruation

 

 • In Schwangerschaft und Wochenbett

 

 • In den Wechseljahren

Effekt schwankender Sexualhormonspiegel z. B. bei

• prämenstruellem Syndrom

 

 • Schwangerschaft

 

 • Menopause

Übermäßiges Schwitzen mit muffigem, käsig-säuerlichem Geruch

 

• Vornehmlich Achsel- und/oder Fußschweiß ("Stinkfüße")

Bromhidrose
Starkes Schwitzen bei Konsum scharfer Gewürze, größerer Mengen Kaffee, Zigaretten oder AlkoholGustatorisches Schwitzen
Übermäßiges Schwitzen bei
Medikamenteneinnahme
Medikamenten-Nebenwirkung von z. B. Betablockern, Antidepressiva, Schilddrüsenhormonen, Cortison-Präparaten
Übermäßiges Schwitzen bei starkem ÜbergewichtGestörte Wärmeregulation durch 
vermehrtes Unterhautfettgewebe bei 
Adipositas
Vermehrtes Schwitzen, Herzklopfen
und Kurzatmigkeit bei geringen
Anstrengungen

• Herzinsuffizienz

 

 • Anämie

 

 • Mangelernährung, z. B. bei
Anorexia nervosa

Schwitzen bei sinkendem FieberAbgabe überschüssiger Körperwärme
bei akuter Infektion

Schwitzen, v. a. nachts (Nachtschweiß), mit Abgeschlagenheit und Leistungsminderung

 

• Evtl. mäßiges Fieber

 

 • Evtl. Gewichtsverlust

 

 • Evtl. Hautausschlag

 

 • Evtl. Lymphknotenschwellungen

"B"-Symptomatik bei konsumierender Grunderkrankung wie

• Tuberkulose

 

 • (Hämatologischer) Tumor 
z. B. Leukämie oder Plasmozytom

 

 • Maligne Lymphome

 

 • Rheumatologische Erkrankung

 

 • Neurologische Erkrankung
(z. B. Sympathikusschädigung)

Übermäßiges Schwitzen bei Wärmeüberempfindlichkeit

 

• Nervosität, Händezittern

 

 • Gewichtsverlust trotz Appetit

Schilddrüsenüberfunktion

(Hyperthyreose)

Sekundäre Hyperhidrosen

Aber zurück zur Differenzialdiagnose: Die Bromhidrosis (griechisch "Bocksgestank des Schweißes") steht am Übergang zwischen primärer und sekundärer Hyperhidrose. Hier ist die Schwitzneigung Folge einer übermäßigen Besiedlung der Haut mit Bakterien und Pilzen. Dabei unterhält die Schweißübersekretion einen Teufelskreis, indem sie die Hornschicht durchgängig feucht hält und so das Wachstum der Hautkeime maximal begünstigt. Diese bauen Schweiß und Talg zu unangenehm riechenden kurzkettigen Fettsäuren ab. Und die, so sagen Lebensmittelchemiker, riechen nicht nur wie billiger Käse, sondern kommen auch tatsächlich im Limburger Käse vor. Kurzfristig sind hier Einreibungen mit 70%igem Alkohol recht wirksam, außerdem stehen alle Maßnahmen der primären Hyperhidrose zur Verfügung.

 

Sekundäre Hyperhidrosen

sind definitionsbedingt Folge einer – meist internistischen – Grunderkrankung. Klassisch ist die vermehrte Schweißbildung als sog. B-Symptomatik, als Nebenbefund konsumierender Grunderkrankungen also. Früher steckte meist eine Tuberkulose dahinter, heute, da die Tb selten ist, findet sich in der Praxis am häufigsten ein Tumor als Auslöser. Gerade hämatologische Tumoren wie das Plasmozytom machen sich nicht selten durch übermäßige Schweißbildung bemerkbar. Aber auch eine HIV-Infektion kann sich so zeigen.

 

Schwierig ist manchmal die Abgrenzung zum "normalen" nächtlichen Schwitzen: hier hilft es, den Betroffenen nach dem Langzeitvergleich sowie nach der Notwendigkeit, nachts die Bettwäsche zu wechseln zu fragen. Letzteres ist ein ernstes Zeichen – und ein noch ernsteres ein gleichzeitig beobachteter Gewichtsverlust. Diese Beschwerdekombination muss aber nicht auf einen Tumor hinweisen – sondern ist auch typisch für die Hyperthyreose, die Überfunktion der Schilddrüse. Oft schwerer zu greifen sind Hyperhidrosen, die mit eher vagen weiteren Leitsymptomen wie Leistungsabfall oder Kurzatmigkeit einhergehen. Hier ist eine ausführlich internistische Diagnostik unerlässlich.

 

Vielleicht die häufigste sekundäre Hyperhidrose betrifft nur Frauen. Sie leiden unter hormonell (mit-)bedingtem übermäßigem Schwitzen. Hier helfen – neben den genannten Maßnahmen – pflanzliche Präparate aus Salbei (Salvia) oder Traubensilberkerze (Cimicifuga).

 

 

Dr. med. Arne Schäffler, Augsburg

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