Mikronährstoffe

Methylphenidat und Zink

Das zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) eingesetzte Methylphenidat wirkt insbesondere über die Hemmung des Dopamin-Transporters (DAT) in den Zellmembranen des Striatums. Nachdem experimentelle Studien gezeigt hatten, dass auch Zink den DAT hemmt, wurde in einer placebokontrollierten Studie bei fünf- bis elfjährigen Kindern mit ADHS, die mit Methylphenidat therapiert wurden, der Effekt der zusätzlichen Gabe von Zink geprüft. Dabei ergab sich ein signifikanter positiver Effekt von Zink.
Abb. 1: Dopamin (rote Punkte) wird aus Vesikeln in der präsynaptischen Nervenzelle in den synaptischen Spalt freigesetzt. Von dort wird ein Teil über den Dopamin-Transporter (DAT) von derselben Zelle wieder aufgenommen, während ein anderer Teil über die Dopaminrezeptoren (DR) in die postsynaptische Nervenzelle gelangt. Methylphenidat blockiert den DAT und erhöht dadurch die Dopamin-Konzentration im synaptischen Spalt und die Aufnahme über die DR in die Postsynapse.

In den westlichen Industrienationen zählt das ADHS zu den häufigsten neurokognitiven Störungen bei Kindern. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 5 und 20% der Schulkinder an diesem Syndrom leiden, das bereits 1845 der Frankfurter Kinderpsychiater Heinrich Hoffmann im "Struwwelpeter" eindrucksvoll beschrieben hat.

Jungen sind häufiger von hyperkinetischen Verhaltensstörungen betroffen als Mädchen. Neben der motorischen Hyperaktivität lassen vor allem Konzentrationsschwäche und impulsives Verhalten die Kinder auffällig werden. Schlechte schulische Leistungen, soziale Isolation und ein geringes Selbstwertgefühl sind häufige Folgen.

Die Entstehung des ADHS ist komplex und bisher noch weitgehend unbekannt. Genetische Einflussfaktoren sowie Störungen im Neurotransmitter- (z. B. Dopamin, Serotonin) und Energiestoffwechsel des Gehirns (ATP-Produktion) sind jedoch von zentraler Bedeutung.

Hyperkinetische Verhaltensstörungen können sich aber auch auf dem Boden einer frühen Schädigung des Gehirns, Belastungen mit Umweltgiften (z. B. Blei), Infektionen, Autoimmun- und Schilddrüsenerkrankungen entwickeln.

Methylphenidat bei ADHS

Die Störung im Neurotransmitterstoffwechsel bildet das wesentliche therapeutische Rationale für den Einsatz von Methylphenidat bei Kindern mit ADHS. Methylphenidat (z. B. Ritalin®), dessen Verordnungshäufigkeit in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist, ist ein Psychostimulanz aus der Gruppe der Amphetamine. Es wirkt im Striatum, einem Teil des Großhirns, das eine wichtige Schaltstelle im motorischen System darstellt. Wirkort ist der synaptische Spalt, die Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen (Abb. 1). In diesem Bereich werden Nervenimpulse durch den Austausch der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin übertragen. Methylphenidat hemmt den Dopamin-Transporter und damit die Wiederaufnahme von Dopamin aus dem synaptischen Spalt in die präsynaptische Nervenzelle; es erhöht somit die Dopamin-Konzentration im synaptischen Spalt und verstärkt die Dopamin-vermittelte Signaltransmission von der Präsynapse auf die Postsynapse. Dadurch dämpft es den Bewegungsdrang der betroffenen Kinder.

Der Mechanismus, durch den Methylphenidat die kognitiven Effekte und Verhaltenseffekte hervorruft, ist nicht eindeutig nachgewiesen.

Zink unterstützt die Therapie hyperkinetischer Verhaltensstörungen

Mechanismus:

Modulierende Funktionen auf verschiedene Neurotransmitter (z. B. Dopamin) im Gehirn, Hemmung des Dopamin-Transporters, Regulierung der neuronalen Glucoseutilisation (→ psychologische Symptome bei Zinkmangel, z. B. Aggressivität, Reizbarkeit).

Folgen:

Harmonisierung der Signalübertragung im Neurotransmitterstoffwechsel (z. B. Dopamin), Unterstützung des neuronalen Energiestoffwechsels → Verminderung der hyperkinetischen Verhaltensstörungen (z. B. Impulsivität, Hyperaktivität).

Hinweise:

1. Die Supplementierung von Zink (z. B. 10 –15 mg/d, p.o.) kann die Wirksamkeit von Methylphenidat bei hyperkinetischen Verhaltensstörungen verbessern (und teilweise den Bedarf an Psychostimulanzien verringern).

2. Kinder mit hyperkinetischer Verhaltensstörung weisen häufig einen diätetischen Mangel an Zink auf. In Studien hatte die Supplementierung von Zink einen günstigen Einfluss auf die ADHS-Symptomatik (z. B. Hyperaktivität, Impulsivität, kognitive Leistungsfähigkeit) und die Wirksamkeit von Methylphenidat.

3. Die labordiagnostische Objektivierung des Mikronährstoffstatus sowie die Kompensation von individuellen Mikronährstoffdefiziten sollte bei hyperkinetischen Verhaltensstörungen die Grundlage jeder Therapie sein. Auswahl von Laborparametern: Omega-3-Fettsäuren (Omega-3-Index), Magnesium (Erythrozyten), Eisen (Ferritin), Zink (Vollblut) und Vitamin B6 (Vollblut). [10]

Zinkdefizit tritt bei ADHS häufig auf

Neben den Imbalancen im Neurotransmitterhaushalt scheint nach aktuellen Studien eine unzureichende diätetische Versorgung mit langkettigen maritimen ω-3-Fettsäuren (DHA, EPA) [1] sowie mit den Mikronährstoffen Magnesium, Eisen und Zink wesentlich zur Entstehung und Ausprägung der hyperkinetischen Verhaltensstörungen beizutragen [2 – 4].

Das Spurenelement Zink ist ein unabdingbares Substrat und Cofaktor für die gesunde Entwicklung und Reifung des zentralen Nervensystems, des Immunsystems und des Hormonsystems. Zink ist Bestandteil von mehr als 300 Enzymsystemen (u. a. Dehydrogenasen, Hydroxylasen, Transferasen) und übernimmt insofern eine wichtige Rolle bei einer Vielzahl elementarer Reaktionen im Intermediärstoffwechsel. Zinkhaltige Enzyme sind am Stoffwechsel der Kohlenhydrate, Lipide und Proteine sowie an der Nucleinsäuresynthese beteiligt.

Der neuronale Energiestoffwechsel ist auf eine ausreichende Verfügbarkeit von Zink angewiesen. Zinkmangel ist mit erhöhter Neigung zu Aggressivität und Reizbarkeit assoziiert. Zink besitzt eine entscheidende Rolle bei der Regulation der exzitatorischen und inhibitorischen Neurotransmission. Eine Störung der neuronalen Transmission führt zu Nervosität, Gedächtnisstörungen und motorischer Unruhe, den bekannten Symptomen des ADHS (s. Kasten). Kontrollierte Studien haben gezeigt, dass Kinder mit ADHS im Vergleich zu gesunden Kindern häufig erniedrigte Zinkkonzentrationen im Serum, den roten Blutkörperchen, den Haaren und den Nägeln aufweisen. Einige Untersuchungen deuten auch auf einen direkten Zusammenhang zwischen der Ausprägung des Zinkdefizits und der Schwere der ADHS-Symptomatik hin [5 – 6].

Störungen im Gehirn bei Zinkmangel

  • Beeinträchtigung der exzitatorischen und inibitorischen Neurotransmission
  • Aktivitätseinschränkung von Enzymen der Catecholaminbiosynthese (z. B. Dopamin-β-Hydroxylase)
  • Erhöhte Vulnerabilität des Dopamin-Transporters und Glutamat-(NMDA)-Rezeptors
  • Reduktion der GABA-Spiegel im Hippocampus
  • Störungen des neuronalen Glucose- und Energiestoffwechsels
  • Fehlbildungen im ZNS

Zink verbessert Wirksamkeit von Methylphenidat

Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass ein Mangel an Zink beispielsweise die Aktivität der Dopamin-β-Hydroxylase (wandelt Dopamin in Noradrenalin um) und der Phenylethanolamin-N-methyltransferase (wandelt Noradrenalin in Adrenalin um) im Cortex, Cerebellum und Hippocampus beeinträchtigt [7]. Zink ist darüber hinaus an der Synthese von Melatonin beteiligt, welches eine bedeutende Rolle im Dopamin-Haushalt spielt. Als natürlicher Inhibitor des Dopamin-Transporters scheint die Supplementierung von Zink einen direkten positiven Effekt auf die ADHS-Symptome zu haben [8].

In einer doppelblinden und placebokontrollierten Studie mit 44 an ADHS erkrankten Kindern (Alter: 5 – 11 Jahre) wurde der Effekt einer sechswöchigen Gabe von Zink (15 mg/d, p. o.) zusätzlich zur Therapie mit Methylphenidat (1 mg/kg KG/d, p. o.) geprüft (Abb. 2). Die Einschätzung der Eltern ergab, dass die Schwere der ADHS-Symptomatik durch die zusätzliche Gabe von Zink signifikant verbessert wurde (Parents ADHS Rating Scale, p < 0,001) [9].

 

Literatur 
[1] Stevens L, et al. EFA supplementation in children with inattention, hyperactivity, and other disruptive behaviors. Lipids 2003;38(10):1007–1021. 

[2] Toren P, et al. Zinc deficiency in attention deficit hyperactivity disorder. Biol Psychiat 1996;40: 1308 –1310. 

[3] Bekarglu M, et al. Relation between serum free fatty acids and zinc, and attention deficit hyperactivity disorder: A research note. J Child Psychol Psychiat 1996;37:225 – 227. 

[4] Kirby K, et al. Diagnosis and management of attention-deficit hyperactivity disorder in children. Curr Opin Pediatr 2001;13:190 –199. 

[5] Arnold LE, DiSilvestro RA. Zinc in attention-deficit/hyperactivity disorder. J Child Adolesc Psychopharmacol 2005;15(4):619 – 627. 

[6] Bilici M, et al. Double blind, placebo-controlled study of zinc sulfate in the treatment of attention deficit hyperactivity disorder. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 2004;28:181–190. 

[7] Wenk GL, Stammer KL. Activity of enzymes dopamine-beta-hydroxylase and phenylethanolamine-N-methyltransferase in discrete brain regions of the copper-zinc deficient rat following aluminium ingestion. Neurotoxicology 1982;43:93 – 99. 

[8] Krause J. SPECT and PET of the dopamine transporter in attention-deficit/hyperactivity disorder. Expert Rev Neurother 2008;8(4):611–625. 

[9] Akhondzadeh S, et al. Zinc sulfate as an adjunct to methylphenidate for the treatment of attention deficit hyperactivity disorder in children: A double blind and randomized trial. BMC Psychiatry 2004;4:1– 6. 

[10] Gröber U. Interaktionen: Arzneimittel und Mikronährstoffe. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2009.

 

Anschrift des Verfassers:
Uwe Gröber
Akademie & Zentrum für Mikronährstoffmedizin
Zweigertstraße 55
45130 Essen

Literaturtipp

Uwe Gröber
Arzneimittel und Mikronährstoffe – Medikationsorientierte Supplementierung
XX, 280 S., 23 Abb., 54 Tab., geb. 42,– Euro
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2007
ISBN 978-3-8047-2261-3
Dieses Buch können Sie einfach und schnell bestellen unter der Postadresse:
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Abb. 2: Zink (15 mg/d, p.o.) steigerte in einer placebokontrollierten Studie signifikant den Effekt von Methylphenidat (1 mg/kg KG/d, p.o.) bei fünf- bis elfjährigen Kindern mit ADHS [9]. Nach Einschätzung der Eltern (Parents ADHS Rating Scale) sank die Schwere der ADHS-Symptomatik in der Verumgruppe (rot) viel stärker als in der Placebogruppe (grün).

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