Arzneimittel und Therapie

Neue Melatoninagonisten vor der Einführung

Das körpereigene Hormon Melatonin reguliert den Schlaf-Wach-Rhythmus und ist in einer retardierten Form (Circadin) zur Behandlung von Schlafstörungen auf dem Markt. Außerdem befinden sich mehrere Melatoninagonisten in der Entwicklung. Jetzt wurden neue Studiendaten für den Melatoninagonisten Tasimelteon zur Behandlung des Jetlag veröffentlicht. Ein weiterer Melatoninagonist in der Entwicklung ist Agomelatin, das zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden soll.

Melatonin (N-Acetyl-5-meth-oxytryptamin) ist ein endogenes Neurohormon, das in der Zirbeldrüse (Epiphyse) – einem Teil des Zwischenhirns – aus Serotonin produziert wird und den Schlaf-Wach-Zyklus im menschlichen Organismus reguliert. Physiologisch steigt die Melatoninsekretion nach Einsetzen der Dunkelheit, gipfelt um 2 bis 4 Uhr und fällt in der zweiten Nachthälfte wieder ab.

 

Melatonin ist an der Steuerung des zirkadianen Rhythmus und der Synchronisation der inneren Uhr mit dem Tag-Nacht-Zyklus beteiligt. Das Hormon spielt eine Rolle bei verschiedenen Körpervorgängen wie Schlaf, Stimmungslage, Geschlechtsreifung, Immunabwehr und Altern.

 

Bindung an Melatoninrezeptoren

 

Melatonin steuert über spezifische Rezeptoren im Hypothalamus den zirkadianen Rhythmus des Körpers. Das Hormon erhöht die Schlafneigung unter anderem durch Bindung an die Rezeptoren MT1, MT2 und MT3. Die beiden Rezeptoren MT1 und MT2 liegen im Nucleus suprachiasmaticus im Gehirn, wo der 24-stündige Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert wird. Der MT1-Rezeptor induziert die Schläfrigkeit, der MT2-Rezeptor hilft dem Körper, leichter zwischen Tag- und Nachtphasen zu wechseln. Gemeinsam dienen die Rezeptoren beim Menschen als Schlüsselmediatoren für den Schlaf und fördern den Schlafbeginn. Durch Bindung von Melatonin oder Melatoninagonisten an diese Rezeptoren wird der Schlaf-Wach-Zyklus reguliert.

 

Schlafstörungen und Depressionen

 

Bei Einfall von Tageslicht in das Auge wird die Ausschüttung von Melatonin eingestellt, in der Nacht (bei Dunkelheit) wird Melatonin abgegeben und wirkt schlaffördernd. Im Winter, wenn es nicht richtig hell wird, kann der Melatoninspiegel auch tagsüber erhöht bleiben, und der Schlaf-Wach-Rhythmus wird gestört. Die Folge können Müdigkeit und Winterdepressionen sein.

 

Ein zu niedriger Melatoninspiegel kann Schlafstörungen verursachen. Mit zunehmendem Alter produziert der Körper weniger Melatonin, was einer der Gründe für Schlafprobleme bei älteren Menschen sein könnte. Auch bei Fernreisen kann der Melatoninhaushalt durch die Zeitumstellung (Jetlag) gestört werden, ebenso bei Schichtarbeit.

 

Melatonin als Hypnotikum

 

Melatonin wird schon seit über zehn Jahren unter anderem als Schlafmittel und gegen Jetlag eingesetzt und ist in den USA als Nahrungsergänzungsmittel sehr populär. Als "Wunderdroge" soll es unter anderem die Alterung verlangsamen, freie Radikale fangen, Krebs bekämpfen und Arteriosklerose vorbeugen. Wegen seiner kurzen biologischen Halbwertszeit kann Melatonin jedoch nur begrenzt verwendet werden.

 

Im April 2008 wurde Melatonin in einer retardierten Form unter dem Warenzeichen Circadin zur Monotherapie für die kurzzeitige Behandlung der primären Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren eingeführt. Das Hormon wird in einer Dosis von einmal täglich 2 mg eingesetzt und ist sehr gut verträglich. Melatonin wird in der Leber abgebaut und über den Urin ausgeschieden.

 

Tasimelteon regelt die innere Uhr

 

Der neue Melatoninagonist Tasimelteon (Vanda Pharmaceuticals) kann nach den Ergebnissen einer Phase-II- und einer Phase-III-Studie eine durch Nachtschichtarbeit und Jetlag verursachte vorübergehende Schlaflosigkeit wirksam lindern. Möglicherweise kann Tasimelteon auch das Umstellen der inneren Uhr bei Reisen über mehrere Zeitzonen oder nächtlicher Arbeit erleichtern. Tasimelteon wirkt als Agonist an den beiden Melatoninrezeptoren M1 und M2.

 

In den klinischen Studien erhielten 39 und 411 gesunde Personen randomisiert 30 Minuten vor dem Zubettgehen 10 bis 100 mg Tasimelteon oder Placebo. In einer Schlafklinik wurde dann eine vorübergehende Schlaflosigkeit durch eine Zeitverschiebung um fünf Stunden induziert. Der Schlaf der Patienten wurde mit Polysomnographien aufgezeichnet. Die Taktverschiebung der biologischen inneren Uhr wurde anhand des Rhythmus der Melatonin-Plasmawerte bestimmt.

 

In beiden Studien verringerte Tasimelteon im Vergleich zu Placebo die Latenzzeit und verbesserte die Schlafeffizienz, wenn der zirkadiane Rhythmus verändert wurde. Auch die Melatonin-Plasmawerte passten sich unter der Behandlung mit Tasimelteon früher an als unter Placebo. Unter der höchsten Dosierung von 100 mg war die Latenz bis zum Einschlafen oder zum Tiefschlaf sogar kürzer als vor der Zeitverschiebung. Die Probanden schliefen unter der Behandlung mit Tasimelteon zwischen 30 Minuten und zwei Stunden länger als im Placebo-Arm. Schon am zweiten Tag war der Unterschied zu Placebo jedoch vermindert, was mit der beginnenden physiologischen Umstellung der inneren Uhr zusammenhängen könnte. Nebenwirkungen traten in den Tasimelteon- und in den Placebogruppen vergleichbar häufig auf.

 

Möglicherweise kann Tasimelteon Patienten mit vorübergehenden Schlafproblemen helfen, die mit Störungen des zirkadianen Schlafrhythmus verknüpft sind. Dazu gehören auch durch Jetlag beeinträchtigte Personen oder Nachtarbeiter und Frühaufsteher.

 

Agomelatin als Antidepressivum

 

Der Melatoninagonist Agomelatin (vorgesehener Handelsname Valdoxan, Servier) wird zur Behandlung von depressiven Patienten entwickelt. Agomelatin weist statt des Indol-Bausteins im Melatonin ein Naphthalin-System auf und ist dadurch metabolisch stabiler als Melatonin.

 

Agomelatin wirkt agonistisch an MT1- und MT2-Rezeptoren und zusätzlich als kompetitiver Antagonist an Serotonin-Rezeptoren (5-HT2C und 5-HT2B). Dadurch kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von Noradrenalin und Dopamin im frontalen Kortex. Die kombinierten melatonergen und 5-HT2C-antagonistischen Eigenschaften von Agomelatin könnten zu dessen antidepressiver Wirkung beitragen.

 

In klinischen Studien zeigte Agomelatin (25 bis 50 mg pro Tag) zum Teil eine antidepressive Wirkung, die mit der des selektiven Serontonin-Wiederaufnahme-Hemmers Paroxetin und der des Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers Venlafaxin (75 bis 150 mg pro Tag) vergleichbar war, ohne die Nebenwirkungen dieser Substanzen aufzuweisen. In diesen Studien hatte Agomelatin zusätzlich eine gute Wirkung auf den Schlaf und die Schlafarchitektur. Auch ältere depressive Patienten profitierten von Agomelatin, die Substanz wurde gut vertragen.

 

Ein europäischer Zulassungsantrag wurde 2006 abgelehnt, nachdem der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) aus den eingereichten Studienunterlagen keinen ausreichenden antidepressiven Effekt erkennen konnte. Im September 2007 wurde erneut ein Eintrag auf Zulassung bei der EMEA eingereicht, und am 20. November 2008 erhielt Agomelatin eine positive Empfehlung der Behörde. Nach Abschluss des Zulassungsverfahrens soll Valdoxan Anfang 2009 in Europa eingeführt werden.

 

Ramelteon ist zu schwach

 

Im Gegensatz zu Agomelatin hat die EMEA die Wirksamkeit des Melatoninagonisten Ramelteon als nicht ausreichend bewertet. Ramelteon bindet mit höherer Affinität an Melatonin-MT1- und MT2-Rezeptoren im Gehirn als Melatonin und weist eine längere Halbwertszeit auf als dieses. Die Substanz kam 2005 als erster Melatoninagonist unter dem Warenzeichen Rozerem (Firma Takeda) auf den Markt.

 

In klinischen Studien in den USA, Europa und Japan wurden mehr als 4200 Patienten zwischen 18 und 93 Jahren untersucht, die einzelne Tagesdosen von Ramelteon über verschiedene Zeiträume bis zu einem Jahr erhielten. Ramelteon verkürzte die Einschlafdauer um rund 15 Minuten und war nur schwach wirksam. Das Beratergremium der Europäischen Arzneimittelagentur hat Ende Mai 2008 wegen der geringen Wirksamkeit die Empfehlung abgegeben, dem Präparat die Zulassung für den EU-Raum zu verweigern.

 

Quelle Doghramji K.: Melatonin and its receptors: a new class of sleep-promoting agents. J Clin Sleep Med. 2007;3:S17-S23. Rajaratnam SMW, Polymeropoulos MH, Fisher DM, et al.: Melatonin agonist tasimelteon (VEC-162) for transient insomnia after sleep-time shift: two randomised controlled multicentre trials. Lancet 2008;372:61812-7.

 

Tasimelteon

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