Arzneimittel und Therapie

Auch EMEA sieht Risiken

Atypische Neuroleptika wie Aripiprazol, Olanzapin und Risperidon können bei alten dementen Patienten die Sterberate erhöhen. Davor wird seit Jahren gewarnt. Neuere Studien haben gezeigt, dass dieses Risiko auch unter konventionellen Neuroleptika wie Haloperidol besteht. Im Juni 2008 hatte die FDA daher eine entsprechende Black-box-Warnung für die konventionellen Antipsychotika verfügt. Jetzt fordert auch die EMEA einen Hinweis auf das erhöhte Mortalitätsrisiko in den Produktinformationen konventioneller Neuroleptika.

Zwei kanadische Beobachtungsstudien aus dem Jahr 2007 haben den Stein ins Rollen gebracht [1, 2]. Sie hatten anhand von Stichproben bei insgesamt weit über 40.000 alten dementen Patienten festgestellt, dass das Mortalitätsrisiko unter konventionellen Antipsychotika nicht nur gleich hoch ist wie unter atypischen Neuroleptika, sondern sogar höher (s. Tab. 1). Das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der EMEA ist der Ansicht, dass sowohl atypische wie auch konventionelle Neuroleptika das Mortalitätsrisiko erhöhen können, sieht aber keine gesicherten Belege für Unterschiede weder zwischen den beiden Gruppen noch zwischen den einzelnen Arzneistoffen. Weitere Studien seien erforderlich, um die Risiken der einzelnen Arzneistoffe bewerten zu können.

Tab. 1: Erhöhte Mortalität unter konventionellen Neuroleptika

Die beiden retrospektiven kanadischen Studien, welche zur Warnung vor einem erhöhten Sterberisiko geführt haben, bedienten sich großer Stichproben alter Patienten und etwas unterschiedlicher Methodik. Die "Mortalitätsquotienten" über die ersten 180 Behandlungstage mit Neuroleptika (NL) werden in der Tabelle angegeben (Konfidenzintervalle in Klammern). [Förstl H: Dtsch. Apoth.Ztg. 2008; 148: 3059 ff]

Stichproben
Mortalitätsquotient konventionelle/atypische NL
Gill et al., 2007 [1]
6888 Ambulant
7235 Pflegeeinrichtungen
1,26 (1,06 – 1,51)
1,30 (1,13 – 1,49)
Schneeweiss et al., 2007 [2]
12882 konventionelle NL
24359 atypische NL
1,47 (1,39 – 1,56)

Was bei Halluzinationen und Erregung zu tun ist

Psychotische Störungen, also Wahnvorstellungen und Halluzinationen, die zu Angst, Aggression und Erregung führen können, belasten und gefährden Angehörige und Pflegekräfte von alten dementen Patienten. Mit Neuroleptika lassen sich solche Krisensituationen beheben. Professor Hans Förstl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar der TU München, hatte anlässlich der FDA-Warnung im Juni 2008 in der DAZ 28/2008, S. 51 - 54, folgende Empfehlungen zur Vermeidung und Behandlung von Halluzinationen und Erregungen gegeben:

  • Milieu- und verhaltenstherapeutische Interventionen, Vermeiden von kritischen Auslösesituationen.
  • Erkennen und Behandeln relevanter somatischer Grunderkrankungen (Hypoglykämie, Dehydrierung, Schmerzen).
  • Revision einer etwaigen Polypharmazie mit Übermedikation und unübersichtlichen Interaktionen.

Weitestgehender Verzicht auf anticholinerge und damit Delir-begünstigende Substanzen (Tab. 2).

Tab. 2: Wichtige Arzneistoffe, die psychotische Symptome hervorrufen können.

Viele der in der Roten Liste aufgeführten Substanzen haben eine zumindest geringfügige anticholinerge Wirkung, die beim älteren multimorbiden und polypharmazierten Menschen zu "psychotischen Symptomen" führen kann. Sie äußern sich nicht immer als leicht erkennbare Verwirrtheitszustände. Diesbezüglich besonders wichtige Medikamente sind in der Tabelle aufgeführt. [Förstl H: Dtsch. Apoth.Ztg. 2008; 148: 3059 ff]

Substanzklasse
Generika, z. B.
Analgetika
Codein
Antiarrhythmika
Digoxin, Lidocain
Antibiotika
Gyrasehemmer, Cephalosporine
Antidepressiva
Amitriptylin, Clomipramin, Imipramin,
Maprotilin, Opipramol, Trimipramin
Antihistaminika
Chlorphenamin, Dexchlorpheniramin,
Hydroxyzin
Bronchodilatatoren
Ipratropium, Theophyllin
Diuretikum
Furosemid
Gichtmittel
Colchicin
Neuroleptika
Phenothiazine, Levomopromazin, Promethazin
Parkinson-Therapeutika
Orphenadrin, Thrihexyphenidyl
Sedativa, Hypnotika
Benzodiazepine
Spasmolytika
Atropin, Oxybutynin

Falls der Patient unter einem Morbus Parkinson leidet und entsprechend behandelt wird, kann gerade diese Medikation psychotische Symptome hervorrufen und muss neu angepasst werden.

  • Gabe von Antidementiva (Cave Kontraindikationen und Nebenwirkungen).
  • Gabe von Antidepressiva wie z. B. nicht anticholinerge selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) zur Stimmungsaufhellung und verbesserten Impulskontrolle (Cave alte Substanzen mit anticholinerger Wirkung, siehe Tab. 2).
  • Nur falls alle anderen Interventionen versagen oder Gefahr im Verzug ist, muss akut auf die Neuroleptika zurückgegriffen werden.
  • Dabei sind nach aktuellem Kenntnisstand niedrige Dosen von Atypika gegenüber konventionellen Neuroleptika zu bevorzugen.
  • Auch die Gabe von atypischen Neuroleptika muss zunächst zeitlich begrenzt werden. Erst wenn wiederholte Absetzversuche zu einem Wiederauftreten der belastenden und gefährlichen Symptomatik führen, darf eine längerfristige Neuroleptika-Medikation erwogen werden.

Zur Behandlung dementer Patienten mit psychotischen Störungen ist derzeit allein Risperidon zugelassen. Falls keine orale Medikamentengabe möglich ist, kann auf konventionelle Neuroleptika wie Haloperidol zurückgegriffen werden.


Quelle

[1] Gill S S, et al.: Antipsychotic drug use and mortality in older adults with dementia. Ann Int Med 2007; 146: 775 –786.

[2] Schneeweiss S, et al.: Risk of death associated with the use of conventional versus atypical antipsychotic drugs among elderly patients. Canad Med Assic J 2007; 176: 627– 632.


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