Pharmakoökonomie

IQWiG-Methoden für die Kosten-Nutzen-Bewertung

Die Sparbemühungen auf dem Generikamarkt, allen voran die Rabattverträge, prägen den Apothekenalltag und sorgen immer wieder für Ärger. Doch erscheinen die noch erzielbaren Einsparungen geringfügig im Vergleich zur Ausgabenentwicklung bei den patentgeschützten Arzneimitteln. Die ab dem nächsten Jahr zu erwartenden Höchsterstattungsbeträge für Arzneimittelinnovationen dürften daher große Bedeutung für den Markt gewinnen. Die entscheidenden Weichen für die Festlegung dieser Höchstpreise werden derzeit gestellt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll bei der Festlegung der Höchsterstattungsbeträge für neue patentgeschützte Arzneimittel die Kosten-Nutzen-Bewertungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) berücksichtigen. Daher sind die Methoden des IQWiG zur Durchführung dieser Bewertungen ein wesentlicher Schlüssel zu den Höchstpreisen, die den Arzneimittelmarkt künftig prägen werden.

Im Januar hatte das IQWiG dazu ein erstes Methodenpapier veröffentlicht, das in der DAZ ausführlich analysiert wurde (siehe DAZ 8). Hier soll nun untersucht werden, welche Neuigkeiten die jüngste Fassung des Methodenpapiers (Version 1.1) vom 14. Oktober bringt und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind (siehe auch AZ 43).

Modelle gewünscht

Das IQWiG betonte bei der Veröffentlichung der Version 1.1 des Methodenpapiers, dass die Grundaussagen unverändert geblieben seien. Die eingearbeiteten Präzisierungen und die "Würdigung" der eingegangenen Stellungnahmen durch das IQWiG enthalten dennoch einige bemerkenswerte und teilweise neu anmutende Aspekte. So war das IQWiG bisher wegen seiner sehr zurückhaltenden Einstellung zu Modellierungen kritisiert worden. Denn der Einsatz von Modellen ist in der Pharmakoökonomie international etabliert. Mit dem neugefassten Methodenpapier wurde nun ein technischer Anhang zu "Modellierungen" veröffentlicht, in dem die gängigen Versionen der pharmakoökonomischen Modellbildung ausführlich beschrieben werden. Damit wendet sich das IQWiG explizit den Anforderungen an Modellen zu und erkennt demnach ihre Berechtigung an. Die Modellbildung wird insbesondere als Instrument für die Berücksichtigung der Kosten gewürdigt. Dabei favorisiert das IQWiG eine Simulation auf Patientenebene als aussagekräftigere Lösung gegenüber Top-down-Ansätzen. Doch auch die Nutzenseite wird thematisiert: "Bei der Berücksichtigung prognostischer Implikationen im Rahmen einer gesundheitsökonomischen Evaluation kann ein Modell erforderlich sein." Weiter heißt es dazu: "Valide Modelle können ggf. Vorhersagen darüber treffen, wie sich die in klinischen Studien ermittelten Nutzeneffekte unter anderen Zeitperspektiven darstellen würden." Doch setzt das IQWiG auch eine Grenze für den Einsatz von Modellen: "Modelle können jedoch in keinem Fall neue Nutzeneffekte generieren."

Außer zur Modellierung hat das IQWiG mit dem neugefassten Methodenpapier zwei weitere technische Anhänge veröffentlicht. Sie befassen sich mit der Kostenbestimmung und dem Umgang mit Unsicherheit. Auch diese Konkretisierungen dürften die Gestaltung pharmakoökonomischer Studien zur Vorlage beim IQWiG erleichtern und damit einen wichtigen Schritt in Richtung auf die praktische Umsetzung darstellen.


Glossar

Budget-Impact-Analyse: Analyseform, mit der ermittelt wird, wie sich der Einsatz eines Arzneimittels auf die Ausgaben eines Kostenträgers auswirkt. Sie ist von der Kosten-Nutzen-Bewertung (im weiteren Sinne) zu unterscheiden. Kosten-Nutzen-Bewertungen ermitteln eine relative Beziehung zwischen eingesetzten Mitteln und erzieltem Erfolg, Budget-Impact-Analysen hinterfragen die Finanzierbarkeit einer Maßnahme anhand absoluter Kostenbeträge ohne Rücksicht auf das Behandlungsergebnis.

Cost-offsets: Kostenverringerungen, hier gemeint als Einsparungen in irgendeinem Bereich des Gesundheitswesens, die erhöhte Ausgaben für teurere, aber wirksamere Arzneimittel ausgleichen.

Out-of-pocket-Ausgaben: (Gesundheits-)Ausgaben der Versicherten, die nicht von einem anderen Kostenträger übernommen werden, z. B. Selbstbeteiligungen und Zahlungen für nicht erstattungsfähige Arzneimittel.

Qualitätsadjustiertes oder qualitätsbereinigtes Lebensjahr – quality adjusted life year (QALY): Maßeinheit, mit der die Lebensdauer und die Lebensqualität in einer gemeinsamen Größe verbunden werden können. Ein QALY ist ein Lebensjahr mit der bestmöglichen gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Das Konzept setzt implizit voraus, dass Beeinträchtigungen der Lebensqualität bei verschiedenen Krankheiten miteinander vergleichbar sind. Dies wirft die problematische Frage nach den Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf.

Perspektive einer pharmakoökonomischen Analyse: Von der Perspektive einer pharmakoökonomischen Analyse hängt ab, welche Aspekte des Nutzens und der Kosten in die Analyse eingehen.

Top-down-Ansatz: Methode der Datengewinnung, die ausgehend von einer großen Gemeinschaft Daten für typische Einzelfälle gewinnen soll.

Versichertengemeinschaft als Perspektive

Das IQWiG hat auch präzisiert, was unter der Perspektive der "GKV-Versichertengemeinschaft" zu verstehen ist, die für die Kosten-Bewertungen gelten soll. Es wird "hervorgehoben, dass die empfohlene Perspektive nicht der der GKV entspricht, sondern der Versichertengemeinschaft". Damit seien auch die nicht erstattungsfähigen "Out-of-pocket"-Ausgaben der Versicherten selbst und die Ausgaben anderer Sozialversicherungsträger für die GKV-Versicherten als Kosten zu berücksichtigen. Die "Cost-offsets", also die Einsparungen, die beispielsweise teure Arzneimitteltherapien bei anderen Kostenträgern als der GKV verursachen, werden ausdrücklich erwähnt.

Damit hat das IQWiG auf die Kritik reagiert, die Perspektivenwahl würde die fragmentierte Betrachtung des Gesundheitswesens fördern. Allerdings stellt das IQWiG klar, dass eine gesamtgesellschaftliche Perspektive, die auch Gebiete außerhalb des Gesundheitswesens umfasst, nicht gewünscht ist. Dies sei nicht praktikabel, heißt es im Methodenpapier. Als Konsequenz aus dieser Klarstellung dürfte das IQWiG beim Einsatz eines teueren Arzneimittels, das Patienten schneller wieder arbeitsfähig macht, wohl eine reduzierte Krankentagegeldzahlung, aber nicht den Produktivitätsgewinn am Arbeitsplatz als Kostenminderung anerkennen.

Die Perspektive der GKV-Versichertengemeinschaft gilt nur für Kosten-Nutzen-Bewertungen, aber nicht für die ebenfalls im Methodenpapier dargestellten Budget-Impact-Analysen. Diese können begriffsnotwendig nur aus der Perspektive des Ausgabenträgers erfolgen. Auch dafür lässt das IQWiG Modellierungen zu. Im Zusammenhang mit Budget-Impact-Analysen wird aber auch auf die Grenzen des ganzen Bewertungsverfahrens hingewiesen. Es sei möglich, dass Technologien effizient sind, aber die Bezahlbarkeit problematisch wird. "In solchen Situationen gibt es keine wissenschaftliche Richtlinie zur Lösung dieses Dilemmas", heißt es im Methodenpapier.

Indikationsbezug statt QALYs

Während einige Präzisierungen in der neuen Fassung des Methodenpapiers durchaus als Entgegenkommen gegenüber kritischen Stellungnahmen gewertet werden können, macht das IQWiG keine Einschränkungen hinsichtlich seiner indikationsbezogenen Vorgehensweise. Diese sei durch den gesetzlichen Auftrag vorgegeben. Das gesetzliche Ziel sei die Festlegung von Erstattungshöchstbeträgen und eben gerade nicht die Einführung von Erstattungsprioritäten oder die Bewertung von Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen Mittelverwendungen innerhalb oder außerhalb des Gesundheitswesens. Daher würden keine qualitätsadjustierten Lebensjahre (QALYs) als generelles Maß für die Nutzen-Bewertung vorgesehen. Dies schließe jedoch ihre Verwendung in Einzelfällen nicht aus, wenn sie für eine Indikation angemessen sind. Gegen das Argument der weiten internationalen Verbreitung der QALYs führt das IQWiG die zunehmende Kritik an dem Konzept und die problematischen Werturteile beim Vergleich unterschiedlicher Krankheiten an. Dem wären Hinweise auf die unzureichende Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit von QALYs hinzuzufügen.

Während das IQWiG bei Fragen zur Modellierung und zur Perspektive nun offenbar auf die international üblichen Vorgehensweisen zurückgreift, könnte sich mit der streng indikationsbezogenen Bewertung eine spezielle deutsche Variante der Pharmakoökonomie etablieren. Dies könnte zu einer methodisch interessanten Bereicherung des wissenschaftlichen Spektrums führen, liefe aber den Bestrebungen der Pharmaindustrie für ein möglichst einheitliches internationales Vorgehen zuwider.

Konsequenzen für BAH-Konzept

Die Klarstellung des IQWiG dürfte auch dem am 24. September veröffentlichten Vorschlag des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH) für ein Preisbildungsmodell (siehe AZ 40) entgegenstehen. Das maßgeblich von dem Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Jürgen Wasem entwickelte Modell sieht einen zentralen Erstattungspreis für Arzneimittel vor. Die Preise für einzelne Arzneimittel sollten dann aus relativen Nutzenvergleichen zwischen Arzneimittel-indikationsgruppen hergeleitet werden. Dabei wird sogar eine konsistente Preisbildung für patentgeschützte und generische Arzneimittel angestrebt. In der praktischen Umsetzung sollte sich das Modell auf die Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG stützen. Wenn aber das IQWiG den Kern seines Konzepts in einem indikationsbezogenen Ansatz sieht und die Festlegung von Austauschbeziehungen unter Verweis auf seinen gesetzlichen Auftrag explizit ausschließt, dürfte dem Gedanken an einen zentralen Erstattungspreis und eine relative Nutzenbetrachtung zwischen den Arzneimittelgruppen jegliche praktische Grundlage entzogen sein.


Apotheker und Dipl.-Kfm. Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel, Redakteur der Deutschen Apotheker Zeitung,


E-Mail: mueller-bohn@t-online.de

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