Mikronährstoff-Interaktionen

Protonenpumpenhemmer und Vitamin B12

Arzneimittel und Mikronährstoffe benutzen im menschlichen Organismus bei der Resorption, Verteilung, Metabolisierung und Elimination die gleichen Transport- und Stoffwechselwege. Werden ein oder mehrere Arzneimittel eingenommen, besteht daher immer das Risiko für Interaktionen mit dem Stoffwechsel essenzieller Mikronährstoffe (Abb. 1). Hierdurch kann sowohl die Wirkung eines Arzneimittels (z. B. Wirksamkeitsverlust von Tetracyclinen) als auch die physiologische Funktion eines Vitamins oder Mineralstoffs (z. B. Folsäure-Antagonismus von Methotrexat) gestört werden.
Abb. 1: Störungen des Mikronährstoffstatus durch Arzneimittel.

Eine Beeinträchtigung des Mikronährstoffstatus bleibt langfristig im Intermediärstoffwechsel nicht ohne Folgen, da kaum ein physiologischer Prozess unseres Körpers ohne die Beteiligung eines dieser Biokatalysatoren abläuft. Im Hinblick auf die Häufigkeit und die stetig wachsende Anzahl von Arzneimitteln sollten vor allem die negativen Auswirkungen der Pharmakotherapie auf den Mikronährstoffhaushalt stärker als bisher beachtet und durch gezielte Intervention die potenziellen gesundheitlichen Risiken für den Patienten verringert werden [1]. Neben der Verlaufs- und Therapiebeurteilung der Pharmakotherapie bietet hierbei die moderne Labordiagnostik effiziente und innovative Möglichkeiten, den Mikronährstoffstatus eines Patienten zu objektivieren.

Der Mikronährstoffhaushalt eines gesunden Menschen mit ausgewogener Ernährung wird durch die kurzfristige Einnahme eines Medikaments in der Regel nicht beeinflusst. Bei bereits bestehender unzureichender Nährstoffversorgung sowie bei Langzeit- und Polypharmakotherapie sind Wechselwirkungen zwischen Mikronährstoffen und Arzneimitteln durchaus relevant und sollten daher zunehmend in die diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen einfließen. Insbesondere für chronisch Kranke (mit Dauermedikation) und ältere Menschen (mit Multimorbidität und Polypharmakotherapie) sowie Patienten, die sich ohne Rat des Apothekers oder Arztes selbst therapieren, besteht ein erhöhtes Risiko für arzneimittelinduzierte Störungen des Mikronährstoffstatus (s. Kasten).

 

Risikogruppen für arzneimittelbedingte Störungen des Mikronährstoffhaushalts

Ältere Menschen (> 60 Jahre):

  • Polypharmakotherapie aufgrund Multimorbidität
  • Unkontrollierte Selbstmedikation mit Antazida, Laxanzien oder Analgetika (→ Störung des Magnesium- und Kalium-Haushaltes, Resorptionsstörungen)
  • Pflegebedürftigkeit
  • Unzureichende diätetische Zufuhr an Mikronährstoffen bei erhöhtem Bedarf
  • Kau- und Schluckstörungen, Malabsorption
  • Verminderte Magensäuresekretion (→ Störung der Vitamin-B12 - und Folsäureresorption)
  • Eingeschränkte Stoffwechselleistung der Leber und Nieren (→ beeinträchtigte Synthese von stoffwechselaktivem Vitamin-D-Hormon)

Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere und Stillende:

  • Unzureichende diätetische Zufuhr an Mikronährstoffen bei erhöhtem Bedarf (z. B. Eisen, Iod, Zink, Vitamin B6 , Folsäure)
  • Geringe Speicherkapazität von Mikronährstoffen wie Vitamin B2 und Folsäure
  • Antiepileptika (→ Störungen der Folsäure- und Vitamin-D-Utilisation)
  • Prämedikation mit hormonellen Kontrazeptiva (→ Störung der Folsäure-Resorption und Vitamin-B6 -Utilisation)
  • Unkontrollierte Selbstmedikation mit Antazida oder Laxanzien (s. o.)

Chronisch kranke Patienten:

  • längerfristige Pharmakotherapie (z. B. mit Antazida, Diuretika, Antirheumatika, Lipidsenkern)
  • erhöhter Bedarf an Mikronährstoffen (z. B. bei Patienten mit Diabetes mellitus, HIV, Krebs, Magen-/Darmerkrankungen, Osteoporose)

Alkoholiker:

  • Alkohol-induzierte Störungen der Resorption, Metabolisierung und Elimination von B-Vitaminen, Magnesium und Zink

Interaktionen von Protonenpumpenhemmern und Vitamin B12

Antazida und Säureblocker gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten überhaupt. In den letzten zehn Jahren haben sich die Verordnungen von Ulkustherapeutika mehr als verdoppelt, vor allem durch den erfolgreichen Einsatz von Protonenpumpenhemmern (Tab. 1) zur Eradikation des Helicobacter pylori und zur Behandlung der Refluxösophagitis.
 

Tab. 1: Protonenpumpenhemmer (Auswahl)
WirkstoffHandelspräparat® (Beispiel)
OmeprazolAntra, Omebeta, Omep, Omeprazol Stada
EsomeprazolNexium
LansoprazolAgopton, Lansoprazol-CT, Lansoprazol-ratiopharm
PantoprazolPantozol, Rifun
RabeprazolPariet

Insbesondere die Ulkustherapie im höheren Lebensalter sowie der hohe Anteil der im Rahmen der Selbstmedikation abgegebenen Antazida sind für potenzielle Störungen des Mikronährstoffstatus von Bedeutung.

Auf Protonenpumpenhemmer entfallen über 60% des Umsatzes der Magen-Darm-Mittel. Bei Patienten, deren Säuregehalt des Magens wegen peptischer Erkrankungen längere Zeit medikamentös durch Protonenpumpenhemmer verringert wird, sollte ein besonderes Augenmerk auf die Vitamin-B12 -Versorgung gerichtet werden, denn die Verminderung der gastralen Säuresekretion verringert auch die intestinale Freisetzung von Vitamin B12 aus Nahrungsmitteln.

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass bis zu 40% der über 60-Jährigen nicht ausreichend mit Vitamin B12 (Cobalamin) versorgt sind (Vitamin-B12 -Serumspiegel < 300 ng/l). Als besonders problematisch erweist sich die Tatsache, dass ein Vitamin-B12 -Mangel häufig mit einer Folsäure-Unterversorgung assoziiert ist, was das Risiko einer Hyperhomocysteinämie (≥ 10 µmol/l) signifikant steigert. Homocystein entfaltet eine Reihe pathobiochemischer Effekte auf das Zentralnervensystem, die wesentlich für die Entstehung und Progression neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer oder vaskuläre Demenz verantwortlich gemacht werden [1, 3].

Bei älteren Personen ist ein Vitamin-B12 -Mangel überwiegend auf eine unzureichende Bildung von Magensaft (Achlorhydrie) zurückzuführen. Hauptursache sind entzündliche Prozesse der Magenmukosa, die primär auf dem Boden einer atrophischen Gastritis vom Typ B mit Sub- und Anazidität (Salzsäure- und Pepsinogen-Sekretion↓) sowie verminderter Intrinsic-Factor-Produktion entstehen.

Proteingebundenes Vitamin B12 kann dadurch nur noch unzureichend freigesetzt und resorbiert werden. Die an Protein gebundenen Cobalamine aus der Nahrung werden im Magen durch Salzsäure und Pepsin freigesetzt und pH-abhängig an Intrinsic Factor (IF-B12 -Komplex) gebunden. Im terminalen Ileum erfolgt die zelluläre Cobalamin-Aufnahme in das Mukosaepithel mithilfe spezifischer Rezeptoren der Bürstensaummembran. Der IF-B12 -Komplex bindet dabei an Cubilin, das zusammen mit einem weiteren Protein, dem Megalin, die Calcium-abhängige Rezeptor-vermittelte Endozytose einleitet. Vitamin B12 kann auch unabhängig vom Intrinsic Factor durch passive Diffusion im Dünndarm aufgenommen werden. Dieser Mechanismus ist jedoch wenig effektiv, da nur etwa 1% der eingenommenen Vitamin-B12 -Dosis resorbiert wird.

Protonenpumpenhemmer und Vitamin B12

Protonenpumpenhemmer vermindern die Vitamin-B12 -Resorption [2].

Mechanismus:

Protonenpumpenhemmer: gastrale Säuresekretion und Freisetzung von proteingebundenem Vitamin B12

Vitamin B12: orale Bioverfügbarkeit ↓

Folgen:

Vitamin B12: Vitamin-B12 -Serumspiegel ↓ (Mangel: < 300 ng/l)

Folsäure: Intermediäre Verarmung an biologisch aktivem Tetrahydrofolat

Homocystein: Milde Hyperhomocysteinämie (Hcy-Plasmaspiegel ≥ 10 µmol/l)

Langfristig kann ein erhöhtes Risiko für neurokognitive Störungen, vor allem bei älteren Personen (z. B. Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit, Demenz und Neigung zu Depressionen), nicht ausgeschlossen werden.

Hinweise

1. Unter Langzeitmedikation mit Protonenpumpenhemmern ist eine regelmäßige Supplementierung von Vitamin B12 (z. B. 50 µg Vitamin B12 /Tag, p. o.) – auch in Kombination mit Folsäure und Vitamin B6 – zu empfehlen.

2. Die labordiagnostische Objektivierung des Homocysteinplasmaspiegels sowie des Vitamin-B12 - und Folsäurestatus ist in jedem Fall sinnvoll, insbesondere bei Risikogruppen wie älteren Personen und Diabetikern (auch Metformin stört die Vitamin-B12 -Resorption).

3. Bei Vitamin-B12 -Mangel empfiehlt sich initial die parenterale Applikation (intramuskulär, subkutan oder langsam intravenös) von Hydroxocobalamin (z. B. 1500 µg Hydroxocobalamin, 2× pro Woche über einen Zeitraum von 1 bis 2 Wochen).

Die eingeschränkte Säureproduktion des Magens im höheren Lebensalter führt zu einer Alkalisierung des Dünndarmmilieus, wodurch die physiologische Barriere gegenüber Mikroorganismen aufgehoben wird. Bakterien aus tieferen Darmabschnitten, können dadurch vermehrt ins Jejunum und Ileum übertreten. Die bakterielle Überwucherung mit Clostridien und Campylobacter geht sowohl mit einem Mehrverbrauch an Vitamin B12 (Umwandlung in unwirksame Cobalamide) als auch mit der bakteriellen Synthese von Substanzen einher, die in der Ileumschleimhaut mit dem Vitamin um Rezeptoren konkurrieren. Die Verfügbarkeit von Vitamin B12 nimmt dadurch weiter ab. Bei Personen im höheren Lebensalter (> 60 Jahre) beruht die Atrophie der Magenschleimhaut häufig auf einer Infektion mit Helicobacter pylori • Bis zu 60% der älteren Menschen weisen einen vermehrten Befall der Magenschleimhaut mit H. pylori und hierdurch bedingt ein hohes Risiko für die Entwicklung einer chronisch atrophischen Gastritis auf.

Apotheker sollten Patienten, die regelmäßig Protonenpumpenhemmer zur Senkung der Magensäuresekretion einnehmen – vor allem ältere Menschen mit Polypharmakotherapie – aktiv auf die Bedeutung der Vitamin-B12 -Versorgung und die potenziellen Störungen durch Säureblocker hinweisen. Generell ist bei diesen Personen die Vitamin-B12 -Versorgung engmaschig zu kontrollieren und eine regelmäßige Supplementierung von Vitamin B12 (≥ 50 µg Vitamin B12 /Tag, p. o.) in Kombination mit Folsäure und Vitamin B6 zu empfehlen. Wegen der verminderten Intrinsic-Factor-Produktion im Alter ziehen einige Autoren zum Teil eine medikamentöse Hochdosierung von Vitamin B12 (z. B. 1000 µg/Tag, p. o.) in Betracht, damit geringe Mengen mittels passiver Diffusion aufgenommen werden können [3–5].

 

Literatur

[1] Gröber U. Arzneimittel und Mikronährstoffe. Medikationsorientierte Supplementierung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2007.

[2] Gröber U. Checkliste: Arzneimittel und Mikronährstoffe – Medikationsorientierte Supplementierung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2008 (im Druck).

[3] Pietrzik K, Golly I, Loew D. Handbuch Vitamine. Urban & Fischer Verlag, München 2008.

[4] Clarke R. Prevention of vitamin-B12 -deficiency in old age. Am J Clin Nutr 2001;73(2):151–152.

[5] Ubbink JB, et al. Vitamin requirements for the treatment of hyperhomocysteinemia in humans. J Nutr 1994;124:1927–1933.


 

Anschrift des Verfassers:

Uwe Gröber,
Akademie & Zentrum für Mikronährstoffmedizin,
Zweigertstraße 55,
45130 Essen

 

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.