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- DAZ 26/2008
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Arzneimittel und Therapie
Ist die Diabetologie am Wendepunkt?
Dass dies gelingt, zeigte eine weitere große Untersuchung, die in San Francisco vorgestellt wurde: die Act-now-Studie.
Strenge Blutzuckereinstellung ohne Einfluss auf makrovaskuläre Risiken
Je schlechter die Blutzuckerkontrolle bei Typ-2-Diabetikern, je höher also der HbA1c -Wert, umso mehr steigt das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis. Da scheint es nur logisch, den Blutzucker möglichst streng einzustellen mit dem Ziel Herzinfarkt, Apoplex und kardiovaskulären Tod zu verhindern. Doch die großen Endpunktstudien mit insgesamt mehr als 20.000 Typ-2-Diabetikern und einem Follow-up über bis zu sechs Jahren, deren Ergebnisse aktuell auf dem Jahreskongress der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft vorgestellt wurden, lassen an dieser Strategie Zweifel aufkommen, zumindest für einen Teil der Typ-2-Diabetiker. Deshalb lohnt der genaue Blick auf die Details allemal.
• In der VA-DT(Veterans affairs diabetes trial)-Studie erhielten 1700 nahezu ausschließlich männliche Typ-2-Diabetiker mit einer mittleren Diabetesdauer von 11,5 Jahren und einem Ausgangs-HbA1c -Wert von 9,5% über 6,25 Jahre entweder eine antidiabetische Standardtherapie oder eine intensivierte Therapie. Etwa 40% hatten bereits ein kardiovaskuläres Ereignis in der Anamnese. Innerhalb von etwa einem Jahr lag der mittlere HbA1c -Wert bei 8,4% beziehungsweise 6,9% und blieb über den gesamten Beobachtungszeitraum konstant. Die strengere Blutzuckereinstellung hatte jedoch keinen günstigen Effekt auf das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse (primärer gemischter Endpunkt: akuter Myokardinfarkt, kardiovaskulärer Tod, Apoplex, Herzinsuffizienz, Gefäßeingriff, Amputation). Dagegen kam es unter der intensivierten Blutzuckerkontrolle deutlich häufiger zu Hypoglykämien, insbesondere auch schwerer Formen (0,04 versus 0,12 pro Patient/Jahr).
• Im offen geführten Blutzuckerarm der Advance (Action in diabetes and vascular disease: Preterax and diamicron MR controlled evaluation)-Studie wurde bei insgesamt 11.140 Typ-2-Diabetikern mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko (z. B. makrovaskuläre Ereignisse in der Anamnese, Diabetesdauer über zehn Jahre) eine antidiabetische Standardtherapie mit einer intensivierten Blutzuckersenkung (Gliclazid als fester Bestandteil der Therapie) über 5,5 Jahre verglichen. Der erreichte HbA1c -Wert lag bei 6,5% gegenüber 7,3%. Auch hier hatte die glykämische Kontrolle keinen Einfluss auf makrovaskuläre Ereignisse (p = 0,32), kardiovaskuläre Todesfälle oder die Gesamtmortalität. Schwere Hypoglykämien waren insgesamt selten, unter intensivierter Therapie aber deutlich höher (2,7% versus 1,5%). Vorteilhaft war die strenge Blutzuckereinstellung auf die Entwicklung einer diabetischen Nephropathie (Auftreten oder Verschlechterung: -22%). Die Retinopathie wurde nicht beeinflusst.
• Die Accord(Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes)-Studie, die verschiedene Therapiestrategien bei Typ-2-Diabetikern prüft, untersuchte in einem Blutzuckerarm den Nutzen einer normnahen Blutzuckerkontrolle (HbA1c -Zielwert < 6,0%) bei Typ-2-Diabetikern mit einem Ausgangs-HbA1c -Wert von 8,1%. Unter intensivierter Blutzuckerkontrolle wurde letztlich ein HbA1c -Wert von 6,4% (n = 5128) gegenüber 7,5% unter dem Standardregime (n = 5123) erreicht. Nach 3,5 Jahren wurde die Studie abgebrochen, weil es unter dem intensivierten Blutzuckermanagement zwar zu einer nicht-signifikanten Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse kam, die Mortalität aber signifikant um 22% (p = 0,04) anstieg. Das Mortalitätsrisiko erhöhte sich vor allem für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen in der Anamnese (35% der Studienteilnehmer) sowie bei Patienten mit einem hohen Ausgangs-HbA1c -Wert, der dann innerhalb kurzer Zeit stark gesenkt wurde.
Viel Raum für Diskussionen
Mit der Präsentation dieser so nicht erwarteten Daten begannen intensive Diskussionen darüber, wie die Studienergebnisse zu bewerten sind und welche Konsequenzen sich daraus für die HbA1c -Einstellung in der Praxis ergeben. So wurde in San Francisco diskutiert, ob das kardiovaskuläre Risiko der eingeschlossenen Typ-2-Diabetiker möglicherweise schon zu hoch und die Intervention zu spät kam, ob die jeweils eingesetzten Wirkstoffe eine Rolle spielen und ob die sehr rasche und extreme Senkung des HbA1c -Wertes in der Accord-Studie für die erhöhte Mortalität von Bedeutung war. Angesichts der eingeschlossenen Studienpopulationen mit langer Diabetesdauer und hohem kardiovaskulären Risiko lassen sich die Ergebnisse laut Dr. Christoph Terkamp von der medizinischen Hochschule Hannover nicht auf Typ-2-Diabetiker mit niedrigem Risiko ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren oder Vorerkrankungen übertragen. Dhuly et al. weisen in ihrem Editorial im New England Journal of Medicine darauf hin, dass generell mikrovaskuläre Komplikationen, wie Nephropathie und Retinopathie, enger mit der glykämischen Kontrolle assoziiert seien als makrovaskuläre Ereignisse. Als ein Grund für das schlechte Abschneiden des intensivierten Regimes wird das höhere Hypoglykämierisiko angeführt. Antidiabetika mit einem niedrigen Risiko für eine Unterzuckerung sollte daher der Vorzug gegeben werden. Der geringe Einfluss der glykämischen Kontrolle auf das makrovaskuläre Risiko wird auch als Hinweis interpretiert, dass andere Risikofaktoren wie Hypertonie oder Hyperlipidämie wesentlich am kardiovaskulären Risiko von Typ-2-Diabetikern beteiligt sind und entsprechend konsequent behandelt werden sollten. Dennoch bleibe die glykämische Kontrolle ein wichtiges Ziel. Dhuly et al. schlagen einen HbA1c -Zielwert von 7% vor, räumen aber ein, dass für die Primärprävention makrovaskulärer Erkrankungen auch niedrigere Werte günstig sein könnten. Dann müsse im Einzelfall entschieden werden.
Den Marsch in den Diabetes verhindern
Noch besser ist es allerdings eine wirksame Prävention zu betreiben und die Manifestation eines Typ-2-Diabetes von vornherein zu verhindern. Besonders gefährdet sind Patienten, bei denen die Glucosetoleranz bereits gestört ist. Prof. Dr. Ralph DeFronzo, San Antonio, verwies auf dem ADA-Kongress auf Daten aus dem Diabetes Prevention Program, nach denen pro Jahr 11% der Patienten mit gestörter Glucosetoleranz (IGT; impaired glucose tolerance) einen Typ-2-Diabetes entwickeln. "Diese Patienten haben bereits eine ausgeprägte Insulinresistenz und einen 80%igen Beta-Zell-Verlust", so DeFronzo. Dass Glitazone vor einem manifesten Typ-2-Diabetes schützen können, zeigt die Act-now(Actos now for prevention of diabetes)-Studie, eine große Präventionsstudie, deren Ergebnisse erstmals in San Francisco präsentiert wurden. Schon früher hatten kleine Präventionsstudien gezeigt, dass Glitazone dieser Entwicklung vorbeugen können. In der Pipod(Pioglitazone in prevention of diabetes)-Studie bei Frauen mit Gestationsdiabetes senkte Pioglitazon das Risiko um 62%. Ähnlich effektiv war Rosiglitazon in der Dream-Studie.
Act now: Prädiabetiker vor der Eskalation schützen
In der prospektiven, doppelblinden Act-Now(Actos now for prevention of Diabetes)-Studie wurden insgesamt 407 prädiabetische Hochrisikopatienten eingeschlossen. Bei ihnen lag nicht nur eine gestörte Glucosetoleranz vor, sondern auch ein erhöhter Nüchtern-Glucosespiegel sowie mindestens ein weiterer Risikofaktor für einen Typ-2-Diabetes, etwa eine Insulinresistenz oder eine positive Familienanamnese. Sie wurden im Mittel über 2,6 Jahre (maximale Beobachtungsdauer: vier Jahre) randomisiert entweder mit Pioglitazon oder Placebo behandelt. 95% der Patienten aus der Verumgruppe erhielten die maximale Pioglitazon-Tagesdosis von 45 mg. Die Ergebnisse waren signifikant: Innerhalb des Beobachtungszeitraums reduzierte Pioglitazon die Zahl der Patienten mit einer gestörten Glucosetoleranz, die einen Typ-2-Diabetes entwickelten, im Vergleich zu Placebo um 81% von 6,8 auf 1,5%. Daraus errechnet sich eine NNT von 3,5, sprich: Es müssen 3,5 prädiabetische Patienten behandelt werden um einen manifesten Diabetes zu verhindern. Zudem kam es unter Pioglitazon bei deutlich mehr Studienteilnehmern zu einer Normalisierung der Glucosetoleranz (42% versus 28%). Günstig war auch der Effekt auf Insulinsensitivität, gemessen anhand des Matsuda-Index, der sich unter Pioglitazon während des Beobachtungszeitraums besserte, unter Placebo dagegen unverändert blieb. Der Blick auf die Nebenwirkungen belegt die Verträglichkeit von Pioglitazon bei prädiabetischen Patienten über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren. Ödeme und chronische Herzinsuffizienz waren nicht häufiger als unter Placebo. Gleiches galt für kardiovaskuläre Ereignisse und Todesfälle. Auch die Frakturrate lag mit 2,8% in beiden Studiengruppen vergleichbar niedrig.
Welche konkreten Konsequenzen die Outcome-Studien nun in der konkreten Behandlung von Typ-2-Diabetikern und möglicher Präventionsstrategien haben, bleibt abzuwarten. Im nächsten Jahr tagen die Diabetologen in New Orleans. Vielleicht gibt es bis dahin bereits erste Empfehlungsänderungen. Oder neue Daten, die alles wieder auf den Kopf stellen.
Quelle
The Advance Collaborative Group: Intensive Blood Glucose Control and Vascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes. N. Engl. J. Med (2008) 358: 2560-2572.
The Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes (Accord) Study Group: Effects of Intensive Glucose Lowering in Type 2 Diabetes. N. Engl. J. Med (2008) 358: 2545-2559.
Dhuly, R. G.; et al.: Intensive Glycemic Control in the Accord and Advance Trials. N. Engl. J. Med (2008) 358: 2630-2633.
Cefalu, W.: Glycemic Targets and Cardiovascular Disease. N. Engl. J. Med (2008) 358: 2633-2635.
Prof. Dr. Ralph DeFronzo, San Antonio; Dr. Christoph Terkamp, Hannover: Jahreskongress der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft ADA, San Francisco, California, 6. bis 10. Juni 2008.
Apothekerin Dr. Beate Fessler
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