DAZ aktuell

"Unzulässiger Austausch von Opioiden durch Apotheker"

(du). Am 28. Mai fand in Frankfurt der 3. Deutsche Schmerzgipfel mit Unterstützung der Firma Mundipharma statt. Die Botschaft, die von dieser Veranstaltung ausging, war klar: Starke Opioidanalgetika sollten nicht der Austauschpflicht durch den Apotheker unterliegen. Beklagt wurde unter anderem, dass Krankenkassen und Apotheker durch die seit den zum 1. April in Kraft getretenen neuesten Anpassungen des Rahmenvertrags wie nie zuvor in die Versorgung von Schmerzpatienten mit Arzneimitteln eingreifen würden (s. Kasten). Selbst vor einem unzulässigen Wirkstoffwechsel würden die Apotheker nicht zurückschrecken. Belegen lässt sich dieser Vorwurf nach unseren Recherchen jedoch nicht.

"Riskante Schmerztherapie durch Austauschpflicht"

Auszüge aus der Pressemitteilung zum 3. Deutschen Schmerzgipfel vom 28. Februar 2008, herausgegeben von der Mundipharma Vertriebsgesellschaft mbH, Limburg

 

"Starke Opioidanalgetika sollten nicht der Austauschpflicht durch den Apotheker unterliegen. Zu diesem Ergebnis kommen die Experten auf dem 3. Deutschen Schmerzgipfel am 28. Mai 2008 in Frankfurt unter dem Vorsitz von Dr. Gerhard Müller Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, Göppingen. Thema der Veranstaltung war die Sicherheit in der Schmerztherapie und die aktuelle Versorgungssituation der Patienten.

Wie nie zuvor greifen die zum 1. April 2008 in Kraft getretenen neuesten Anpassungen im gemeinsamen Rahmenvertrag der Krankenkassen und Apotheker in die Versorgung von Schmerzpatienten mit Arzneimitteln ein. Durch konsequente Umsetzung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes und Ausweitung der Rabatt-verträge sind nun auch die der besonderen Sorgfalt der Betäubungsmittel Verschreibungsverordnung unterliegenden starken Opioidanalgetika von der Austauschpflicht durch den Apotheker betroffen. Eine gut eingestellte Therapie wird allein aus Kostengründen und ohne medizinische Notwendigkeit ausgetauscht. Dies geschieht in der Regel ohne Rückmeldung an den verordnenden und weiter in der Haftung bleibenden Arzt. ‚Der Apotheker tauscht aus – Arzt und Patient tragen die Folgen‘, so Dr. Thomas Nolte, Wiesbaden. Selbst bei gleicher Substanz und Substanzmenge unterschiedlicher Präparate bestünden für den Patienten spürbare Unterschiede, die sich aus seiner Individualität ergäben, so Professor Harald G. Schweim, Bonn. Viele Patienten empfinden eine Schmerzzunahme und gravierende Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. Dies zeigt PD Dr. Michael Überall, Nürnberg, anhand einer Querschnittsbefragung von mehr als 424 chronisch schmerzkranken Patienten. Joachim Trauboth, Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP), Rosendahl, sieht in der Austauschpraxis eine eklatante Verletzung der Rechte von Schmerzpatienten.

… Ergebnisse einer aktuellen Querschnittbefragung von über 11.000 deutschen Ärzten haben nach Überall gezeigt, dass Apotheker in nicht unerheblichem Maße sogar medizinisch absolut unzulässige Wirkstoffwechsel (z. B. von Oxycodon, Hydromorphon, Fentanyl und Buprenorphin auf Morphin), Änderungen der Darreichungsform (von Pflaster auf Tabletten), der Galenik (von Tabletten zu Tropfen) und der Pharmakokinetik (von retardiert auf unretardiert) vornehmen. Die verordnenden Ärzte erhalten davon erst Kenntnis, wenn es zu Wirkungsverlusten, Überdosierungen oder sonstigen Nebenwirkungen gekommen ist …"

Was bedeutet es für die Compliance und den Therapieerfolg, wenn ein Patient nur aus Kostengründen ein anderes Präparat als das gewohnte erhält? Das ist eine spannende Frage, zu der es je nach Interessenlage unterschiedliche Antworten gibt. Vor diesem Hintergrund ist es begrüßenswert, wenn versucht wird, sich mithilfe von wissenschaftlich anerkannten Verfahren ein objektives Bild zu verschaffen. So hat Priv.-Doz. Dr. Dr. Michael Überall, unter anderem Leiter des Nürnberger Instituts für Qualitätssicherung in Schmerztherapie und Palliativmedizin, eine "Querschnittbefragung zu den psychosozialen Folgen einer nicht-medizinisch indizierten Umstellung von stark wirksamen Opioidanalgetika (WHO-III) bei chronisch schmerzkranken Menschen im Rahmen einer stabilen/zufriedenstellenden Behandlungssituation" durchgeführt. Einen Teil seiner Ergebnisse hat er beim 3. Deutschen Schmerzgipfel am 28. Mai 2008 in Frankfurt vorgestellt. Unterstützt wurde diese Veranstaltung von der Firma Mundipharma, die naturgemäß vor allem die Problematik der Opioid-Umstellung von einem Originalpräparat auf ein Generikum im Visier hat und hierzu schon ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegebenen hat (s. DAZ Nr. 23/2008, S. 57ff). Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass ein Austausch von stark wirksamen Analgetika durch den Apotheker nicht vertretbar ist. Die Botschaft des 3. Schmerzgipfels, die in Form einer Pressemitteilung und Abstracts der Referenten auch unsere Redaktion erreichte, geht in die gleiche Richtung. Hier wird von "einer riskanten Schmerztherapie durch die Austauschpflicht des Apothekers" gesprochen. Besonders aufhorchen lassen hat uns allerdings folgender Absatz, der sich sowohl in der Pressemitteilung (s. Kasten oben) als auch in einem Abstract von Priv.-Doz. Dr. Dr. Michael Überall findet:

"Ergebnisse einer aktuellen Querschnittbefragung von über 11.000 deutschen Ärzten haben nach Überall gezeigt, dass Apotheker in nicht unerheblichem Maße sogar medizinisch absolut unzulässige Wirkstoffwechsel (z. B. von Oxycodon, Hydromorphon, Fentanyl und Buprenorphin auf Morphin), Änderungen der Darreichungsform (von Pflaster auf Tabletten), der Galenik (von Tabletten zu Tropfen) und der Pharmakokinetik (von retardiert auf unretardiert) vornehmen."

Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf. Apotheker sollen also in nicht unerheblichem Ausmaß gesetzeswidrig Betäubungsmittel aut simile substituieren! Da detailliertere Angaben weder dem Pressetext noch der beigefügten Pressemappe zu entnehmen waren, haben wir uns direkt an Herrn Überall gewandt und ihn gebeten, uns Näheres zu dem Design der Studie, zu der Anzahl der ausgewerteten Fragebögen und zu den konkreten Fällen, in denen Apotheker unzulässige Wirkstoffwechsel vorgenommen haben sollen, mitzuteilen. Die erste schriftliche Anwort war wenig zufriedenstellend:

"Die von Ihnen hinter-/angefragten Informationen werden in Kürze in Form mehrerer Publikationen veröffentlicht werden, die analog dem Prozess der Datenerhebung bei Ärzten und Patienten aufgebaut sein werden (Apotheker wurden nicht befragt!). In diesem Zusammenhang werden wir auch – wenngleich darauf nicht unbedingt der Schwerpunkt unserer Befragungen lag – auf das Problem der Aut-simile-Substitution zu sprechen kommen, die in der Tat seitens Patienten und Ärzten berichtet und die – auch wenn Sie das vielleicht nicht gerne hören – in nahezu jedem zweiten Gespräch, das ich mit Kollegen im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen führe – gar nicht mal so selten durchgeführt wird. Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich Ihnen vor erfolgter Publikation der Daten keinerlei weiteren Informationen als die Ihnen bereits vorliegenden geben kann/werde/will, sende Ihnen jedoch gerne das finale Manuskript der Publikationen zu, sobald diese angenommen wurden."

 

Sicher haben wir Verständnis dafür, wenn wir noch keine Details zu einer geplanten Veröffentlichung erhalten. Wenn aber im Vorfeld die Ergebnisse schon in seriös anmutenden Pressemitteilungen und Pressekonferenzen verbreitet werden und damit Politik gemacht wird, dann möchten wir doch, dass Ross und Reiter genannt werden. Wir haben Herrn Überall daher noch einmal gebeten, uns doch zumindest mitzuteilen, in wie vielen Fällen von wie vielen Apothekern unzulässige Aut-simile-Substitutionen vorgenommen worden sind und welche Belege dafür vorliegen. Die zweite Antwort war sehr aufschlussreich:

"Mit vollem Verständnis für Ihre Fragen und das Problem der ‚Aut-simile-Substitution‘ – welches jedoch nicht primäres Ziel unserer Querschnittbefragungen war – kann ich Ihnen akut folgende Informationen geben: Alle Angaben zu den Umstellungen wurden durch Ärzte unter Verwendung standardisierter Fragebogen vorgenommen. Ob und wie und in welchem Umfang die betreffenden Kollegen in den jeweiligen Fällen gegen die – wie Sie schon sagten – unzulässige Aut-simile-Substitution vorgegangen sind und diese de facto auch wirklich vom Apotheker vorgenommen wurde und nicht vom Arzt (was für den Patienten mitunter nicht immer ganz eindeutig nachvollzogen werden kann), kann ich Ihnen nicht sagen. Daten hierzu wurden nicht erfasst, da wir diesen Punkt ehrlich gesagt – aufgrund der doch strengen gesetzlichen Vorgaben – gar nicht in Erwägung gezogen haben und die Daten quasi als ‚Abfallprodukt‘ einer auf die Aut-idem-Substitution fokussierenden Befragung angefallen sind. Auch ist es im Einzelfall schwierig, die Daten nachzuvollziehen, da ein nicht unerheblicher Teil der Rücksendungen ohne Namensbezug erfolgte, womit sich die Kollegen wohl einer möglichen aktiven Rückfrage entziehen wollten.

 

 

 

Zum Download

DPHG-Leitlinie: Gute Substitutionspraxis

Schon im Jahr 2002 hat sich die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft mit der Problematik des Austauschs von wirkstoffidentischen Präparaten (Aut-idem-Substitution) auseinandergesetzt. In einer Leitlinie hat sie Wege aufgezeigt, wie die Arzneimittelsicherheit bei einem Austausch zwischen wirkstoffgleichen Arzneimitteln nicht gefährdet wird und die Interessen des Patienten gewahrt bleiben. Diese Leitlinien wurden in der Deutschen Apotheker Zeitung Nr. 10/2002 veröffentlicht und haben nach wie vor hohe Aktualität. Sie stehen im Download-Bereich der DAZonline zum Herunterladen bereit.

Bei den in unserem Institut direkt betreuten Patienten sind bzgl. der Behandlung mit stark-wirksamen Opioidanalgetika weder Aut-idem- noch Aut-simile-Substitutionen vorgenommen worden. Als Pädiater habe ich jedoch wiederholt erleben müssen, dass die Aut-idem-Regelung bei anderen Präparategruppen seitens (zumindest) einiger Apotheker sehr frei ausgelegt wird und hier sehr wohl aut simile substituiert wird, was in den Fällen, in denen ich davon Kenntnis erlangt habe, sehr wohl zu einer Aussprache mit den Betroffenen geführt hat.

 

 

 

Da dieser Punkt jedoch nicht im Fokus unserer Arbeiten liegt, habe ich die zugehörigen Daten aktuell nicht parat, werde mich jedoch darum kümmern, sobald ich wieder etwas Luft habe und Ihnen gerne eine Darstellung der uns vorliegenden Informationen zu Aut-simile-Substitutionen senden. ..."

Alles klar? In jedem Fall scheint es wohl bislang zunächst keinen einzigen dokumentierten Fall zu geben, in dem ein Apotheker in unzulässiger Weise eine Aut-simile-Substitution von Opioidanalgetika vorgenommen hat. In einem Telefonat bekräftigte Überall noch einmal, dass ihm kein konkreter Fall vorliegen würde und mit dem "medizinisch nicht vertretbaren unzulässigen Austausch" in erster Linie der Austausch durch Ärzte gemeint war. Sollte in der Pressemitteilung der Eindruck entstanden sein, dass Apotheker aut simile substituiert hätten, so müsse das klargestellt und korrigiert werden. Wir haben daraufhin bei Mundipharma nachgefragt, ob eine entsprechende Korrektur der Pressemitteilung (Auszüge s. Kasten) geplant sei. Antwort erhielten wir von der von Mundipharma beauftragten Agentur Dorothea Küsters Life Science Communications GmbH, Frankfurt. Sie teilte mit, dass in der Pressemitteilung aus dem Abstract von Priv.-Doz. Dr. Dr. Michael Überall zitiert worden sei und dieses Zitat nicht mehr verwendet werden würde. Weitere Maßnahmen seien nicht geplant.

 

 

Doris Uhl
KOMMENTAR

Ein rufschädigendes Spiel

Wenn man sich die Vorgänge rund um den 3. Deutschen Schmerzgipfel und die dazugehörigen Presseinformationen anschaut, kann man sich nur verwundert die Augen reiben. Da gibt es eine Kurzfassung des Vortrags von Priv.-Doz. Dr. Dr. Michael Überall, Nürnberg, in der er über eine von ihm geleitete, beeindruckende Befragung von über 11.000 Ärzten berichtet. Sie soll unter anderem gezeigt haben, dass Apotheker in nicht unerheblichem Maße auch medizinisch absolut unzulässige Wirkstoffwechsel von Opioidanalgetika vornehmen. Dieses Ergebnis ist ein zentrales Argument für die im Rahmen der Veranstaltung geäußerte Forderung, Opioidanalgetika aus der Austauschpflicht des Apothekers herauszunehmen. Penetrantes Nachfragen bringt jedoch zu Tage, dass sich dieses Ergebnis zumindest zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht belegen lässt. Dem Studienleiter und Autor des Abstracts, Priv.-Doz. Dr. Dr. Michael Überall, ist kein einziger konkreter Fall bekannt: Sollte durch die Presseunterlagen der Eindruck entstehen, dass Apotheker unzulässig ausgetauscht haben, so seine telefonische Mitteilung, müsse das richtiggestellt und korrigiert werden.

Mundipharma lässt auf unser Nachfragen nach Konsequenzen die mit der Pressearbeit betraute Agentur erklären, dass sie die entsprechende Passage des von ihr zitierten Überall-Abstracts nicht mehr verwenden wird. Da allerdings die Botschaft über die zum 3. Deutschen Schmerzgipfel geladenen Journalisten und das Versenden der auch uns vorliegenden Presseunterlagen schon breit gestreut worden ist, reicht es nicht, das Zitat nicht mehr zu verwenden. Es muss sichergestellt werden, dass weder der rufschädigende Passus aus dem Abstract von Überall noch die entsprechende Pressemitteilung in dieser Form zitiert und verwendet werden. Eine Richtigstellung muss zumindest an alle Teilnehmer und Journalisten des 3. Deutschen Schmerzgipfels sowie an alle Empfänger der besagten Presseunterlagen gehen. Auch schon publizierte Berichte müssen gegebenenfalls korrigiert werden.

Sollte das nicht geschehen, untermauert es den Verdacht, dass bewusst in der Öffentlichkeit ein Bild von einem eigenmächtig gesetzeswidrig agierenden Apotheker gezeichnet werden soll, der der großen Verantwortung von Rabattverträgen und Aut-idem-Regelungen nicht gerecht werden kann. Interessierte Kreise können damit überzeugend nicht nur die Herausnahme einzelner Präparategruppen aus der Austauschpflicht des Apothekers fordern, sie können damit das ganze Rabattvertrags- und Aut-idem-System in Frage stellen. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Denn unser pharmazeutischer Sachverstand ist unentbehrlich, wenn es um sinnvolle kostensparende Aut-idem-Substitutionen geht. Das müssen wir mit Nachdruck auch der Öffentlichkeit vermitteln.


Doris Uhl
Redakteurin der Deutschen Apotheker Zeitung

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