Rabattarzneimittel

Diskussion um Opioid-Austausch durch Apotheker

Gutachten: "Der Apotheker darf nicht austauschen!"
Ein Interview mit Harald G. Schweim, Bonn

"Ein Austausch von stark wirksamen Analgetika, ohne die Zusammenarbeit von Arzt und Patient, nur durch den Apotheker, darf nicht erfolgen. Er ist nicht vertretbar, stört das Arzt-Patienten-Verhältnis, ist Compliance-schädlich und kann den Patienten gefährden." Das ist die Quintessenz eines von Prof. Dr. Harald G. Schweim und Prof. Dr. Jürgen Wasem verfassten Gutachtens, das von der Firma Mundipharma in Auftrag gegeben wurde und in der Pharmazeutischen Zeitung [PZ 2008; 153(21) 62 - 66] veröffentlicht worden ist.

Prinzipiell sind Apotheker gesetzlich verpflichtet, auch bei stark wirksamen Analgetika eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel oder bei Vorliegen von Rabattverträgen ein Rabattarzneimittel abzugeben, wenn der Arzt aut idem nicht ausgeschlossen hat. Allerdings können Apotheker im konkreten Einzelfall pharmazeutische Bedenken anmelden und von der Abgabe des Rabattarzneimittels Abstand nehmen. Nach dem seit dem 1. April 2008 gültigen Rahmenvertrag – geschlossen zwischen den Spitzenverbänden der Gesetzlichen Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) – haben sie in diesem Fall die Möglichkeit, bei namentlicher Verordnung das verschriebene Präparat abzugeben. Bei nicht-namentlicher Verordnung können sie auf eines der drei preiswertesten Präparate ausweichen.

Vor diesem Hintergrund hat die Firma Mundipharma eine große Kampagne gestartet und weist die Apotheken unter anderem in Telefonaten und Briefen darauf hin, dass sie bei pharmazeutischen Bedenken Betäubungsmittel nicht substituieren müssten. Verwiesen wird auf den Kommentar zum Rahmenvertrag, in dem unter anderem pharmazeutische Bedenken angebracht sein können bei

  • einem hohen Nebenwirkungspotenzial problematischer Arzneistoffe (Opioide),
  • Teil- und Nichtteilbarkeit der Präparate,
  • Gefährdung des Therapieerfolgs oder der Arzneimittelsicherheit durch Non-Compliance bei älteren Patienten mit Polypharmazie,

  • problematischen Erkrankungen wie Tumorerkrankungen, Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz,

  • problematischen Patientengruppen, z.B. bei älteren multimorbiden Patienten.

Darüber hinaus hat Mundipharma ein Gutachten zur Austauschbarkeit von stark wirksamen Analgetika im Rahmen der Aut-idem-Regelung in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten befasst sich mit pharmakologischen und ökonomischen Aspekten und kommt zu dem Schluss, dass ein Austausch nur durch den Apotheker medizinisch nicht vertretbar und Compliance-schädlich sei. Eine verringerte Compliance könne zu höheren Kosten führen. Gerade bei Schmerzpatienten müsse der Wechsel der Medikation als potenzieller Kostentreiber gesehen werden. Jeder Austausch eines Opioids, auch des gleichen Wirkstoffs und gleicher Wirkstoffmenge, käme einer Neueinstellung gleich und könne nur durch den Arzt vorgenommen werden. Darauf sollte der behandelnde Arzt bestehen. Die Autoren des Gutachtens sehen fernerhin eine starke Gefährdung bzw. Unterlaufung der lückenlosen Dokumentationskette, die der Gesetzgeber mit der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung vorgegeben hat. Zudem seien haftungsrechtliche Fragen nicht geklärt (s. Kasten).


Schlussfolgerungen

"Der Austausch von stark wirksamen Analgetika, ohne die Zusammenarbeit von Arzt und Patient, nur durch den Apotheker darf nicht erfolgen. Er ist medizinisch nicht vertretbar, stört das Arzt-Patienten-Verhältnis, ist Compliance-schädlich und kann den Patienten gefährden.

Eine verringerte Compliance kann aber ihrerseits Folgewirkungen nach sich ziehen, die zu höheren Kosten der Krankenkassen sowohl bei Arzneimitteln als auch in anderen Bereichen führen. Gerade bei Schmerzpatienten muss der Wechsel der Medikation als potenzieller Kostentreiber angesehen werden. Daher ist fraglich, ob durch eine Substitution auf rabattierte Arzneimittel gesamthaft Nettoeinsparungen erzielt werden können.

Die formalistische Betrachtungsweise der Austauschkriterien für übliche »aut idem« Substitution greift bei Analgetika der Stufe III WHO nicht.

Jeder Austausch eines Opioids, auch des gleichen Wirkstoffs und gleicher Wirkstoffmenge ist nach obigen Ausführungen einer Neueinführung [Red.: Neueinstellung] gleichzusetzen. Daher kann diese nur durch den Arzt vorgenommen werden. Darauf sollte der verantwortlich handelnde Arzt bestehen.

Bei Betäubungsmitteln handelt es sich um eine sensible Substanzklasse. Dem hat der Gesetzgeber durch die Schaffung einer BTMVV Rechnung getragen.

Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf einer lückenlosen Dokumentationskette durch den Arzt, die nicht unterbrochen werden darf.

Dies wird durch den aktuellen Rahmenvertrag stark gefährdet, wenn nicht sogar unterlaufen.

Ferner sind haftungsrechtliche Fragen, wie zum Beispiel die des »Haftungsübergangs auf den Apotheker« oder »muss der Arzt haften, wenn die Verordnung durch den Apotheker abgewandelt wurde« bisher nicht eindeutig beantwortet."


Quelle: Schweim HG, Wasem J: Gutachten zur Austauschbarkeit von stark wirksamen Analgetika im Rahmen der Aut-idem-Regelung. Pharm. Ztg. 2008; 153(21) 62-66.



Wir haben mit einem der Autoren des Gutachtens, Prof. Dr. Harald G. Schweim, Pharmazeutisches Institut der Universität Bonn, über einige entscheidende Punkte gesprochen.


DAZ:

Herr Professor Schweim, das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass ein Austausch von stark wirksamen Analgetika ohne die Zusammenarbeit von Arzt und Patient nur durch den Apotheker nicht erfolgen darf. Sie verweisen auf Compliance-Probleme und eine Störung des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Wie bewerten Sie generell den Austausch von Präparaten im Rahmen der Aut-idem-Regelung durch den Apotheker?


Professor Harald G. Schweim
Foto: BfArM

Schweim: Grundsätzlich ist aut idem in vielen Fällen möglich. So beispielsweise bei einer Antibiotikatherapie, wo das Ergebnis objektiv messbar ist. Aut idem ist immer dann abzulehnen, wenn eine Objektivierung der Messung nicht möglich ist, wie das bei der Behandlung von Schmerzpatienten mit Opioiden der Fall ist. Das Schmerzgeschehen ist sehr individuell und die Morphintoleranz sehr unterschiedlich, was eine exakte individuelle Dosisanpassung bei jedem Patienten erfordert.


DAZ:

Jeder Austausch eines Opioids, auch des gleichen Wirkstoffs und der gleichen Wirkstoffmenge, ist nach Ihrem Gutachten einer Neueinstellung gleichzusetzen, die nur durch den Arzt vorgenommen werden kann. Nun stammen aber gerade im Falle des retardierten Morphins viele Generika vom gleichen Lohnhersteller (s. Tabelle). Warum sollte der Apotheker in solchen Fällen nicht einfach austauschen dürfen?


Tab. Retardierte Morphinpräparate und ihre Lohnhersteller (kein Anspruch auf Vollständigkeit) [aus DAZ 2008; 148(1/2) 69 - 73].
Morphin-
Retardpräparate
Lohnhersteller
Anbieter
M-beta® Tbl.
Pharmachemie
Betapharm Arzneimittel GmbH
Morphanton® Tbl.
Pharmachemie
Juta Pharma GmbH
Morphin AL retard Tbl.
Pharmachemie
Aliud Pharma GmbH & CoKG
Morphin-Puren® Tbl.
Pharmachemie
Actavis Deutschland GmbH & CoKG
Morphin-ratiopharm® retard Tbl.
Pharmachemie
Ratiopharm GmbH
Morph Sandoz® Tbl.
Pharmachemie
Sandoz Pharmaceuticals GmbH
Morphinsulfat-Gry® Tbl.
Pharmachemie
Gry-Pharma GmbH
Morphin Hexal® Tbl.
Salutas
Hexal AG
Capros® Kps.
Rottendorf Pharma GmbH, Ethypharm
Medac
M-long® Kps.
Ethypharm
Grünenthal GmbH
Morphin Hexal® Kps.
Ethypharm
Hexal AG

Schweim: Wenn die Generika aus dem gleichen Topf stammen und das gleiche Aussehen haben, dann ist hier sicher nicht von einem Austausch zu sprechen und damit auch keine Neueinstellung erforderlich. Allerdings ist die Datenlage darüber, wie sich ein Präparatewechsel stark wirksamer Analgetika generell bei Schmerzpatienten auswirkt, mangelhaft. Einer Patientenbefragung von Dr. Michael Überall aus Nürnberg zufolge scheint zumindest der Wechsel von einem Originalpräparat auf ein Generikum mit einer Verschlechterung der Situation der Schmerzpatienten einherzugehen. Wie sich der Wechsel von einem Generikum auf ein anderes auswirkt, darüber ist mir nichts bekannt. In jedem Fall ist der Austausch von Opioiden mit gleichen Wirkstoffen und gleicher Wirkstoffmenge immer dann abzulehnen, wenn unterschiedliche Herstellungsverfahren und Retardierungsverfahren angewendet werden.


DAZ:

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte scheint das anders zu sehen. In einer Mitteilung vom 24. April 2008 hat es festgestellt, dass für den Austausch Opioid-haltiger Schmerzpflaster alleine die Freisetzungsrate entscheidend ist. Damit hat es dem umstrittenen Austausch von Matrix- gegen Reservoirpflaster bzw. umgekehrt den Weg geebnet (s. DAZ 2008; Nr. 18, S. 38). Wie bewerten Sie diese Entscheidung?


Schweim: Ich halte diese Entscheidung für falsch. Gerade bei der transdermalen Applikationsform haben wir mit großen interindividuellen Unterschieden zu rechnen. Die Resorption bei Frauen ist anders als bei Männern, sie hängt von der Applikationsstelle und der Dicke des Unterhautfettgewebes ab, um nur einige Beispiele zu nennen. Einen Schmerzpatienten, der mit einem transdermalen System einmal gut eingestellt ist, sollte man keinesfalls ohne den Arzt auf ein anderes Präparat umstellen.

Zudem ist diese Empfehlung des BfArM nicht rechtskonform, weil eine Dokumentation durch den Arzt nicht vorgesehen ist.

Rein formal muss der Arzt beim Austausch eines Betäubungsmittels informiert werden, die Änderung müsste auf dem Betäubungsmittelrezept dokumentiert und auf allen Formularen durch den Arzt bestätigt werden. Das erfordert die lückenlose Dokumentation, wie sie in § 9 der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung festgelegt worden ist.


DAZ:

Herr Professor Schweim, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Gespräch führte Dr. Doris Uhl, Stuttgart
Dr. Kuno Güttler, Köln

Kein Austausch bei Dauertherapie

Dem Gutachten von Prof. Dr. Harald G. Schweim und Prof. Dr. Jürgen Wasem zur Austauschbarkeit stark wirksamer Analgetika ist in vielen Punkten zuzustimmen. Besonders, wenn man die Aussagen auf die Therapie chronischer Schmerzen bezieht. Das Gutachten unterscheidet leider nicht klar zwischen Akut- und Dauertherapie. Bei einer Akuttherapie mit starkwirksamen Analgetika ist gegen eine Aut-idem-Regelung an sich nichts einzuwenden. Ein wichtiger Faktor, der bei der Dauertherapie chronischer Schmerzen immer wieder unterschätzt und nicht hoch genug geschätzt werden kann, ist die Compliance. Jeder Austausch und damit jede anders aussehende Packung gefährdet die Compliance und kann bei Patienten mit Dauerschmerzen unvorhersehbare Auswirkungen haben. Er sollte daher unterbleiben, auch wenn die Präparate vom gleichen Lohnhersteller kommen.

Aus pharmakologischer Sicht ist essenziell, dass die spezielle Galenik retardierter Arzneiformen unter anderem auf Grund unterschiedlicher Kinetiken ärztlicherseits eine differenzierte Verordnung erfordert: Filmtablette ist nicht gleich Filmtablette, Retardkapsel nicht gleich Retardkapsel und Pflaster nicht gleich Pflaster, wenn unterschiedliche Herstellungs- und Retardierungsverfahren angewendet wurden. Es gibt keinen Aut-idem-Topf gefüllt mit wirkstoffgleichen Retardopioiden! Um chronische Schmerzpatienten vor Schäden zu bewahren, sollten im Rahmen einer Dauertherapie retardierte stark wirksame Analgetika prinzipiell nicht ausgetauscht werden dürfen.


Dr. med. Kuno Güttler, Pharmakologe, Institut für Pharmakologie, Uniklinik Köln, Gleueler Str. 24, 50931 Köln


Dr. Doris Uhl
KOMMENTAR

Patientengefährdender Arzt


Die Aut-idem-Regelung ist zweifelsohne für viele Indikationsgebiete, Arzneistoffe und Arzneiformen unproblematisch. Aber in der Behandlung chronischer Schmerzen verbietet in vielen Fällen schon der pharmazeutische Sachverstand den einfachen Austausch durch den Apotheker ohne Einbeziehung von Arzt und Patient. Wenn jetzt Professor Schweim und Professor Wasem in ihrem Gutachten in der Pharmazeutischen Zeitung (PZ 21/2008) zu dem Schluss kommen, dass ein Austausch stark wirksamer Analgetika nur durch den Apotheker das Arzt-Patienten-Verhältnis störe, Compliance-schädlich sei und den Patienten gefährde, erregt das Widerspruch. Denn nicht der Austausch durch den Apotheker, zu dem er ja gesetzlich verpflichtet ist, sondern der verordnende Arzt ist das Problem. Denn er kann mit einem einfachen Kreuz den Austausch ausschließen. Tut er das bei einem auf starke Analgetika angewiesenen Patienten nicht, nimmt er bewusst eine Therapieverschlechterung in Kauf. Schon hier muss von einem gestörten Arzt-Patienten-Verhältnis gesprochen werden. Richtig ist, dass die Aut-idem-zulassende Verordnung von Opioiden durch den Arzt medizinisch nicht vertretbar ist, das Apotheker-Patienten-Verhältnis stört, Compliance-schädlich ist und den Patienten gefährdet! Die Schlussfolgerung von Schweim und Wasem gibt dem Gutachten einen einseitigen Zungenschlag. Denn nicht der Apotheker ist in erster Linie für die Konsequenzen des Austauschs von stark wirksamen Analgetika verantwortlich, sondern der verordnende Arzt. Die entscheidende Frage ist die, warum ein Arzt in solch heiklen Fällen die Aut-idem-ausschließende Verordnung scheut. Sollte dies aus Angst vor Regressen geschehen, dann muss an dieser Stelle angesetzt werden.


Dr. Doris Uhl, Redakteurin der DAZ

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