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- DAZ 17/2008
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Wechselwirkungen
Retardierte Opioide: Dose dumping durch Alkohol?
In einer offenen, vier-armigen Crossover-Studie war an je 24 gesunden Probanden (in der einen Gruppe unter Nüchternbedingungen, in der anderen nach dem Essen) der Einfluss gleichzeitig eingenommener alkoholischer Getränke mit unterschiedlichen Ethanolkonzentrationen und -mengen auf die Bioverfügbarkeit von PalladoneTM (12 mg) im Vergleich zur Applikation mit Wasser untersucht worden. Jeder Proband erhielt unter Komedikation mit Naltrexon, einem Opiatantagonisten zur Unterdrückung der Opiatwirkungen, jeweils eine PalladoneTM -Kapsel zusammen mit 240 ml 4%igem, 20%igem oder 40%igem Ethanol beziehungsweise mit 240 ml Wasser. Dabei kam es bei Applikation des Arzneimittels zusammen mit 40%igem Ethanol zu einer deutlichen Erhöhung der Hydromorphonkonzentrationen im Plasma mit im Mittel sechsfach höheren Maximalwerten (Cmax). In einem Fall wurde sogar eine 16-fache Steigerung beobachtet. Bei einigen Probanden führte auch die Einnahme zusammen mit 4%igem Ethanol zu einer Verdopplung der maximalen Plasmakonzentration im Vergleich zu Wasser [2]. Diese signifikante Erhöhung der Hydromorphon-Plasmakonzentrationen wurde als Dose dumping interpretiert und auf ein Versagen des Retardierungsmechanismus der Arzneiform unter dem Alkoholeinfluss zurückgeführt [1].
Um zukünftig bereits während der Entwicklung von Retardarzneiformen deren Anfälligkeit für die Anwendung zusammen mit Alkohol erkennen zu können, wurde von der FDA daraufhin die Durchführung geeigneter Untersuchungen gefordert. Da pharmakokinetische Studien zum Interaktionspotenzial von Alkohol ein unadäquates Risiko für den Probanden darstellen könnten, wurde zunächst die Durchführung umfangreicher In-vitro-Versuche zur Prüfung auf ein durch Alkohol induziertes Dose dumping empfohlen.
Dieser Vorschlag ging auf entsprechende Vorversuche der FDA zurück, in denen die Freisetzung aus Hydromorphon-Retardpräparaten in Gegenwart von 4%, 20% und 40% (V/V) Ethanol untersucht worden war. Dabei bewirkten Ethanolkonzentrationen von 20% und mehr eine deutlich beschleunigte Wirkstofffreisetzung (Abb. 1). Um für die Vorhersage eines durch Alkohol induzierten Dose dumping möglichst stark diskriminierende Prüfbedingungen zu schaffen, wurde daraufhin ein Freisetzungstest unter Verwendung von 40% (V/V) Ethanol als Freisetzungsmedium vorgeschlagen [3].
Ausnahme odergenerelles Problem?
Bei Anwendung von Arzneimitteln mit verlängerter Wirkstofffreisetzung (Retardprodukte), die normalerweise im Vergleich zu schnell freisetzenden Präparaten höhere Arzneistoffmengen enthalten, werden in der Literatur immer wieder Fälle von Dose dumping beschrieben. Hierunter versteht man eine unbeabsichtigte, unkontrolliert und sehr schnell erfolgende Wirkstofffreisetzung, die in einer nicht tolerierbaren hohen Wirkstoffexposition der Patienten resultiert [4]. In diesem Erklärungsansatz wird die pharmakokinetische Beobachtung sehr hoher maximaler Plasmakonzentrationen mit der mechanistischen Ursache eines Defektes des Retardierungsmechanismus kombiniert. Für eine solche Interpretation gibt es allerdings nicht viele überzeugende Beweise und somit birgt dieser Erklärungsansatz das Risiko, bei jedem Auftreten unerwartet hoher Plasmakonzentrationen möglicherweise fälschlich ein Versagen der Arzneiform zu vermuten.
Auch von der FDA wurde der Begriff Dose dumping als "unerwartete und schnelle Freisetzung einer signifikanten Wirkstoffmenge aus einer Arzneiform mit veränderter Wirkstofffreisetzung innerhalb kurzer Zeit" definiert und – ebenfalls ohne wirklich schlüssigen Beleg – mit dem Zusatz versehen, dass diese Effekte im Normalfall auf eine Beeinträchtigung der Funktionalität des Freisetzungsmechanismus der Arzneiform zurückzuführen seien. Somit rückt der mechanistische Aspekt als Erklärungsansatz in den Vordergrund [3].
Food effects durch hochkalorische Mahlzeiten
Erstmals wurde ein Dose- dumping-Phänomen vor mehr als 20 Jahren nach Gabe eines Theophyllinpräparates mit verlängerter Wirkstofffreisetzung zusammen mit einer Mahlzeit beschrieben [5, 6]. Im Verlauf der folgenden Jahre wurde zunehmend erkannt, dass sich durch gleichzeitige Einnahme von Retardpräparaten mit Mahlzeiten, vor allem solchen mit hochkalorischer, fettreicher Zusammensetzung, die Wahrscheinlichkeit entsprechender Veränderungen der Bioverfügbarkeit erhöht (Food effects) [6]. Als Konsequenz werden heute für alle neuen Arzneimittel mit modifizierter Wirkstofffreisetzung entsprechende Untersuchungen verlangt. Die Rahmenbedingungen für die Durchführung solcher Studien sind in den gültigen Guidelines festgelegt worden [3, 4, 6].
Aber auch in jüngerer Zeit wurden wiederholt Fälle von ausgeprägten Food effects beschrieben, beispielsweise im Rahmen von Untersuchungen mit verschiedenen generischen Nifedipin-Retardpräparaten im Vergleich zum Referenzpräparat Adalat OROS (bzw. GITS). Auffällig war dabei, dass die verschiedenen generischen Nifedipinpräparate – ob Erosionstabletten oder Minitabletten – in allen Fällen ein deutliches Dose dumping zeigten. Im Gegensatz dazu wurden entsprechende Effekte mit dem OROS-System bei Einnahme nach einer fettreichen und hoch kalorischen Mahlzeit niemals beobachtet [7-9]. Aber auch bei Retardpräparaten mit anderen Wirkstoffen, beispielsweise Felodipin, wurden Dose-dumping-Phänomene festgestellt [10, 11].
Mechanistische Erklärungsversuche
Um ein solches Versagen eines Retardsystems erklären zu können, wurden diverse Mechanismen postuliert:
In einzelnen, wenn auch eher selteneren Fällen wurde eine mechanische Zerstörung monolithischer Retardarzneiformen während der Passage durch Zonen höheren Druckes innerhalb des Gastrointestinaltraktes beobachtet, zum Beispiel während der Passage durch den Pylorus [12].
Des Weiteren werden eine hohe Scherbeanspruchung im gefüllten Magen [13] sowie eine beschleunigte Wirkstofffreisetzung aus überzogenen Arzneiformen, beispielsweise in Gegenwart von Polyethylenglykol [14] oder Ethanol [3], für das Auftreten eines Dose dumping verantwortlich gemacht.
Schließlich wird auch die unzureichende Ausbildung einer Diffusionsmatrix in Retardsystemen auf Polymethacrylat-Basis [15] als Ursache diskutiert.
Wechselspiele zwischen Wirkstoff und GI-Trakt
Ein vollkommen anderer Erklärungsansatz für das Auftreten von Dose-dumping-Phänomenen beruht nicht auf Veränderungen des Freisetzungsmechanismus der Retardarzneiform, sondern basiert auf dem Wechselspiel zwischen Wirkstofffreisetzung und Physiologie des Magen-Darm-Traktes, wobei insbesondere der Funktion des Magens Bedeutung zukommt. Für das Verständnis dieser Zusammenhänge ist die Erkenntnis wichtig, dass es in weiten Bereichen des Magens nicht zu einer homogenen Durchmischung des Inhalts kommt [16, 17] und außerdem die Magenentleerung diskontinuierlich erfolgt. So findet beispielsweise im Fundus des Magens, dem in erster Linie eine Speicherfunktion zukommt, nur sehr wenig Bewegung statt (Abb. 2.). Folglich werden dort "zwischengelagerte" Materialien – wie Speiseanteile oder auch Tabletten – nicht kontinuierlich mit dem restlichen Mageninhalt durchmischt.
Die Positionierung von Arzneiformen im Fundus kann dann zur Konsequenz haben, dass die dort freigesetzten Arzneistoffe kumulieren und nicht in andere Bereiche des Magens transportiert oder gar in den Darm entleert werden. Später kann es dadurch zu einer Bolusentleerung größerer Mengen gelösten Wirkstoffs in den Darm kommen, von wo aus sie rasch und nicht mehr durch die Retardarzneiform kontrolliert resorbiert werden und zu hohen Konzentrationsspitzen führen. Diese werden schließlich als Dose dumping missinterpretiert.
Tab. 1: Pharmakokinetische und pharmakodynamische Interaktionen von Ethanol und Arzneistoffen (nach [26]). | |
Arzneistoff |
Interaktion |
Benzodiazepine |
Wirkungsverstärkung |
Trizyklische Antidepressiva |
Wirkungsverstärkung
kardiale Arrhythmien
|
Opiate |
Wirkungsverstärkung |
H2
-Rezeptorenblocker |
Erhöhung des Alkoholspiegels |
Antibiotika
– Isoniazid
– Cephalosporine
|
Verstärkung der Alkoholwirkung
Erhöhung der Hepatotoxizität
Antabusähnliches Syndrom
|
Antiretrovirale Medikamente |
Erhöhung der Hepatotoxizität |
Paracetamol |
Erhöhung der Hepatotoxizität |
Acetylsalicylsäure |
Erhöhung des Risikos intragastraler Blutungen
Verstärkung der antikoagulatorischen Wirkung
|
Warfarin |
Wirkungsverstärkung |
Antihypertensiva |
Wirkungsverstärkung |
Orale Antidiabetika |
Erhöhung des Alkoholspiegels
Gefahr von Hypoglykämien
|
Die solchen Phänomenen zugrunde liegenden Mechanismen wurden in einer Studie mit Felodipin-Retardtabletten genauer untersucht. In dieser wurden die Plasmaprofile mit Informationen zur exakten Lokalisation der Tabletten im Magen, die mittels Magnetic Marker Monitoring (MMM) erhoben worden waren, sowie Befunden zur Wirkstofffreisetzung korreliert [10]. Dabei wurde offensichtlich, dass der bei einzelnen Probanden beobachtete steile Konzentrationsanstieg im Plasma nicht etwa auf Veränderungen der Arzneiform durch die gleichzeitig gegebene Mahlzeit oder gar eine Beschädigung des Freisetzungsmechanismus zurückzuführen war, sondern durch die Physiologie bedingt wurde und von der Positionierung der Arzneiform im Magen sowie der Dynamik von Magendurchmischung und -entleerung abhing.
Charakteristisch für ein solches durch die Magenphysiologie bedingtes Dose dumping ist eine ausgedehnte Zeitspanne zwischen der Applikation und dem sprunghaften Anstieg der Wirkstoffkonzentrationen im Plasma (lag-Zeit). Bei der Untersuchung mit den Felodipin-Retardtabletten konnte gezeigt werden, dass die Dauer der lag-Zeit direkt mit der Aufenthaltszeit der Tablette im Fundus des Magens korreliert [10] und dadurch die zeitlich verzögert auftretenden hohen Plasmaspiegel bedingt wurden.
Langer Fundusaufenthalt birgt Risiko
Insgesamt kann festgestellt werden, dass ein verlängerter Aufenthalt von Arzneiformen mit verzögerter Wirkstofffreisetzung im Bereich des Fundus prinzipiell das Risiko des Auftretens eines Dose-dumping-Phänomens birgt [10]. Der in diesem Teil des Magens freigesetzte Wirkstoff wird mit zeitlicher Verzögerung in Lösung aus dem Magen entleert und dann so rasch resorbiert, dass hohe Konzentrationsspitzen resultieren können. Solche Effekte sind demnach grundsätzlich bei Einnahme von Retardprodukten nach einer schweren Mahlzeit mit hohem Fettanteil und die dadurch verzögerte Magenentleerung zu befürchten.
Ethanol und Magenverweildauer
Wie auch andere höher kalorische und osmotische Nahrungsmittel verändern alkoholische Getränke aufgrund des hohen Energiewertes des Ethanols (7 kcal/g) die Magenentleerung im Vergleich zu Wasser [18, 19]. Das Ausmaß und die Art der Beeinflussung hängen von vielerlei Faktoren wie Trinkverhalten, Geschlecht sowie Zusammensetzung des Getränks und Ethanolgehalt ab. Als Konsequenz werden feste Nahrungsbestandteile, aber auch Flüssigkeiten, nach gleichzeitiger Einnahme von alkoholischen Getränken verzögert aus dem Magen in den Dünndarm transportiert.
Dies gilt auch für Getränke mit vergleichsweise niedrigem Ethanolgehalt. So verlängerte sich die Magenentleerungszeit einer festen Mahlzeit durch gleichzeitige Einnahme von Bier (4%) oder Wein (9,5%) um ca. 30 Minuten [20]. Für diese Prozesse spielt offenbar auch die Art des alkoholischen Getränks eine Rolle: solche, die durch Destillation hergestellt wurden (Whisky, Cognac, Calvados), sollen die Magenentleerung in geringerem Maße beeinflussen als vergorene Getränke (Wein, Bier), bei denen der Effekt des reinen Ethanols durch nichtalkoholische Bestandteile verstärkt wird [20]. Man geht davon aus, dass für deren Wirkung auf die Motilität des Magens auch die Freisetzung von gastrointestinalen Hormonen eine Rolle spielt [21].
Eine solche Verzögerung der Magenentleerung ist aber auch bei höherprozentigen Alkoholika zu erwarten. Die nach deren Einnahme im Magen resultierenden Ethanolkonzentrationen sind infolge der sofort eintretenden Verdünnung mit Magensaft, der Resorption von Alkohol durch die Magenschleimhaut sowie dem enzymatischen Abbau durch die Alkoholdehydrogenase des Magens tatsächlich erheblich niedriger. So wurde in einer Studie an nüchternen Probanden festgestellt, dass der Ethanolgehalt einer 25%igen Testlösung im Magen bereits während der ersten halben Stunde nach Einnahme auf ca. 7% und innerhalb einer Stunde auf ca. 4% absank [22]. Bei einer anderen Untersuchung fiel der initiale Ethanolgehalt (13,5%) einer mit reinem Ethanol gemischten Testmahlzeit innerhalb der ersten Stunde um 50% [23].
Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass feste Arzneiformen bei Einnahme zusammen mit alkoholischen Getränken ebenfalls länger als bei Nüchterngabe im Magen verbleiben. Insofern sollten ähnliche Prozesse wie das oben geschilderte Dose dumping nach Gabe von Tabletten zusammen mit einer Mahlzeit auch für diese Fälle relevant sein.
Hypothese wird durchLiteratur untermauert
Diese Annahme wird auch durch Berichte aus der Literatur bestätigt. So stellten Bailey und Mitarbeiter in einer Untersuchung zum Einfluss von Rotwein (sowie verschiedenen Fruchtsäften) auf die Bioverfügbarkeit von Felodipin-Retardtabletten einen signifikanten Anstieg der Plasmakonzentrationen bei Einnahme der Tabletten zusammen mit 250 ml Rotwein fest [11]. Dieses Dose-dumping-Phänomen zeigte die typischen, durch die Magenphysiologie bedingten Charakteristika: nach einer durch das Verweilen der Arzneiform im Magen bedingten ausgeprägten lag-Zeit von 4 h, während der nur sehr geringe Felodipin-Konzentrationen im Plasma gemessen werden konnten, kam es bedingt durch die Magenentleerung des gelösten Wirkstoffs zu einem sprunghaften Anstieg der Spiegel (Abb. 3).
Im Fall der Dihydropyridine Nifedipin und Felodipin (oder anderer Antihypertensiva) sind diese Effekte von therapeutischer Relevanz, da durch den spontanen Konzentrationsanstieg physiologische Gegenreaktionen – vor allem eine Herzfrequenzsteigerung (Reflextachykardie) – induziert werden und damit die Ausbildung der therapeutisch gewünschten Effekte (Blutdrucksenkung) verhindert wird.
Opioid-Retardpräparate und Alkohol
Die von der FDA durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass bei manchen Opioide enthaltenden Retardpräparaten die Freisetzung des Arzneistoffs aus der Arzneiform durch höhere Alkoholkonzentrationen beschleunigt werden kann. Die für diesen Effekt erforderlichen relativ hohen Ethanol-Konzentrationen (> 20%) sind im Magen jedoch selbst nach Einnahme der Präparate mit hochprozentigen Alkoholika – wenn überhaupt – nur für kurze Zeit zu erwarten. Durch die rasch eintretende Verdünnung resultieren letztlich deutlich niedrigere Konzentrationen. Insofern wurde die mithilfe der In-vitro-Tests festgestellte raschere Arzneistofffreisetzung in Gegenwart von Alkohol unter Bedingungen ermittelt, die physiologisch eher nicht zu erwarten sind. Daher müssen solche In-vitro-Befunde mit Vorsicht interpretiert werden. Immerhin lassen sie aber Rückschlüsse auf die Robustheit der jeweiligen Arzneiform zu.
Die nach Einnahme von PalladoneTM mit alkoholhaltigen Getränken festgestellten Dose-dumping-Phänomene [2] sind also über die ethanolinduzierten Veränderungen der Freisetzung aus den Retardkapseln allein nicht schlüssig zu erklären. In diesem Zusammenhang kommt wahrscheinlich der Erkenntnis, dass die Magenverweilzeit von festen Arzneiformen durch Alkohol verlängert wird, die insgesamt eher größere Bedeutung als Ursache für die Veränderungen zu.
Ein solcher Dose-dumping-Effekt ist bei der Behandlung mit Opioid-Retardprodukten von hoher therapeutischer Relevanz, indem es durch die resultierenden hohen Konzentrationsspitzen zu einem relevanten Gefährdungspotenzial für die Patienten beispielsweise in Form einer Atemdepression kommen kann. Insofern sollte für die praktische Arzneimitteltherapie auch aus biopharmazeutischer Sicht geschlussfolgert werden, dass eine Anwendung von oralen Opioidpräparaten zusammen mit alkoholischen Speisen oder Getränken unter allen Umständen vermieden werden sollte.
Pharmakokinetik von Hydromorphon-HClBei Hydromorphon-HCl, dem wirksamen Bestandteil von PalladoneTM, handelt es sich, wie bei Morphin, um einen reinen Opioid-Agonisten mit ausgeprägter µ-Selektivität. Wie Morphin wirkt auch Hydromorphon vorrangig analgetisch, anxiolytisch, antitussiv und sedativ, besitzt jedoch eine etwa achtfach stärkere Wirksamkeit als Morphin. Hydromorphon unterliegt nach oraler Gabe einem ausgeprägten First-Pass-Metabolismus, so dass seine orale Bioverfügbarkeit nur bei ca. 40% liegt. Als Hauptmetaboliten wurden Hydromorphon-3-Glucuronid, Hydromorphon-3-Glycosid und Dihydroisomorphin-6-Glucuronid identifiziert. Daneben werden aber auch Dihydroisomorphin und Dihydromorphin als Metaboliten beschrieben. Eine Metabolisierung durch CYP-Isoenzyme konnte bis jetzt in vivo nicht nachgewiesen werden. Da Hydromorphon in vitro nur eine geringe Hemmung (IC50 > 50 µM) humaner rekombinanter CYP450-Isoformen (hauptsächlich CYP1A2, 2A6, 2C8, 2D6, 3A4) zeigte, scheint eine Interaktion mit Arzneistoffen, die über diese CYP-Isoenzyme metabolisiert werden, unwahrscheinlich. Die Ausscheidung der unveränderten Substanz sowie der Metaboliten erfolgt überwiegend renal [27, 28]. |
Zusammenfassung
Die Einnahme von Opioid-Retardarzneimitteln zusammen mit alkoholischen Getränken kann zu einem steilen Anstieg der Analgetikaspiegel auf Konzentrationen führen, die – zusammen mit der pharmakodynamischen Wechselwirkung – eine Gefährdung für die Patienten darstellen (Atemdepression). Als Ursache für dieses Dose-dumping-Phänomen werden verschiedene Effekte diskutiert, nämlich einerseits die Beeinflussung der Wirkstofffreisetzung aus der Arzneiform durch den Alkohol und andererseits die Verlängerung der Magenverweildauer der Tabletten oder Kapseln infolge der Einnahme des kalorienreichen Getränks.
Ein Rückschluss von der in vitro beobachteten Empfindlichkeit bestimmter Retard-Opioide gegenüber Ethanol in höheren Konzentrationen (über 20%) auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für die Einnahme dieser Darreichungsformen zusammen mit alkoholischen Getränken ist schwierig. Ethanol-Konzentrationen von 20% und mehr werden im nüchternen Magen nur nach Gabe großer Mengen hochprozentiger Alkoholika und in diesem Fall auch nur für kurze Zeiträume (< 1 h) erreicht. Die Verdünnung durch Magensaft sorgt nämlich zusammen mit dem Abbau durch die Alkoholdehydrogenase und dem Abtransport durch Magenentleerung sehr schnell für ein Absinken der Alkoholkonzentration. Folglich repräsentieren Freisetzungsstudien in 20%igem oder höher konzentriertem Ethanol eher keine physiologisch realistischen Bedingungen beim Menschen.
Die Einnahme ethanolhaltiger Speisen und Getränke kann zu einer beträchtlichen Verzögerung der Magenentleerung fester oraler Darreichungsformen führen. Der während der so verlängerten Verweildauer im Magen freigesetzte Wirkstoff wird nicht direkt resorbiert, sondern erst nach bolusartiger Entleerung der Lösung in den Darm, als deren Folge es zu einem steilen Konzentrationsanstieg im Blut kommt. Solche Effekte werden als Dose dumping bezeichnet und wurden auch nach Gabe von anderen (z. B. Nifedipin oder Felodipin enthaltenden) Retardprodukten zusammen mit Alkohol festgestellt.
Die bei Opioidanalgetika nach Gabe zusammen mit alkoholhaltigen Getränken beobachteten Dose-dumping-Effekte sind wahrscheinlich in erster Linie auf die Verzögerung der Magenentleerung der Arzneiformen und eher nur sekundär auf eine Interferenz des Alkohols mit deren Freisetzungsmechanismus zurückzuführen. Insofern können die Interaktionen zwischen Opioid-Retardpräparaten und Alkohol durch In-vitro-Freisetzungsprüfungen in ethanolhaltigen Medien nur unzureichend simuliert werden. Die Befunde aus solchen Untersuchungen sollten daher mit Vorsicht interpretiert werden, um falsche Schlussfolgerungen zum In-vivo-Verhalten zu vermeiden.
Literatur
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Anschrift der Verfasser:
Dr. Ulrike Adam, Dr. Konstanze Aurich,
Prof. Dr. Werner Weitschies,
Universität Greifswald,
Institut für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie,
Friedrich-Ludwig-Jahn-Str. 17,
17487 Greifswald
Prof. Dr. Henning Blume, Socratec R&D, Oberursel, Feldbergstr. 27-29, 61440 Oberursel
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