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Ökonomie
Rabattverträge – ökonomische Folgen für Apotheken
Seit dem Inkrafttreten des GKV-WSG am 1. April 2007 sind Rabattverträge zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern ein wichtiger Bestandteil der Arzneimittelversorgung von GKV-Patienten geworden. Seit Vereinbarung der ersten Rabattverträge sind diese allerdings auch Gegenstand intensiver und oftmals kritischer Diskussionen. Dennoch – trotz aktueller juristischer Unsicherheiten bezüglich spezifischer Rabattvertragskonstruktionen und Vergabemodalitäten – ist davon auszugehen, dass Rabattverträge auch in Zukunft die Versorgungsrealität im Arzneimittelmarkt mitbestimmen werden. Einer der wesentlichen Gründe hierfür ist, dass sie aus Krankenkassenperspektive einen im Vergleich zu anderen Modellen sehr direkten Weg darstellen, Einsparpotenziale zu realisieren. Dies ist aus Kassensicht umso wichtiger, da in 2007 mit 23,5 Mrd. Euro ca. 16,6% der gesamten GKV-Leistungsausgaben durch Arzneimittel im ambulanten Bereich verursacht wurden.
Unstrittig ist die Senkung der durchschnittlichen Tagestherapiekosten der verhandelten Wirkstoffe durch Rabattverträge. Christopher Hermann, Vertreter der AOK Baden-Württemberg, schätzte das Einsparpotenzial durch die Rabattverträge für die AOK auf 600 Mio. Euro – laut Aussage vom 29. Januar in Wiesbaden. Aus der Praxis der Apotheken wird allerdings auch berichtet, dass die "Abwicklung" des Versorgungsauftrags seit Einführung der Rabattverträge komplizierter und aufwendiger geworden ist. Gleiches gilt auch für den Großhandel, der sinkende Margen bei zugleich steigendem Aufwand konstatiert. Fraglich ist deshalb, ob durch Einführung der Rabattverträge im deutschen GKV-System die Abwicklungskosten in der Arzneimittel-Supply Chain gestiegen sind. Eine derartige Steigerung könnte auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen sein:
Gesunkene Rohertragsmargen für Apotheken und/oder Großhandel;
Erhöhter Erklärungsaufwand gegenüber Patienten und Verschreibern in der Apotheke;
Erhöhter Verwaltungsaufwand bei technischer Umsetzung von Rabattverträgen in Apotheken und beim Großhandel;
Erhöhte Sortimentskomplexität aufgrund einer Vielzahl unterschiedlicher Rabattverträge mit der Folge höherer Lagerbestände, höherer Prozesskosten bei Einkauf und Kommissionierung sowie höherer Defektquoten.
Die Hypothese, dass seit Einführung der Rabattverträge die Abwicklungskosten in der Arzneimittel-Supply Chain gestiegen sind, war Thema einer Studie des IPAM an der Hochschule Wismar. Auf Basis einer Prozessaufnahme in einer exemplarischen Apotheke und einer Prozesskostenanalyse am Beispiel der Gehe Pharma Handel wurde versucht, etwaige Kosteneffekte zu quantifizieren. Es sei darauf verwiesen, dass durch Rabattverträge ausgelöste Kosteneffekte bei anderen Teilnehmern des Marktes – z. B. verschreibenden Ärzten oder Patienten – nicht betrachtet wurden.
Apothekenperspektive
Die Umsetzung der Rabattverträge in Apotheken löst Prozesse aus, die in dieser Form vor Einführung der Rabattverträge – inhaltlich und/oder in Bezug auf ihre Häufigkeit – nicht vonstatten gingen. Die Aufnahme dieser Prozesse erfolgte exemplarisch in einer ländlich geprägten Apotheke, die in 2007 einen Jahresumsatz von ca. 1,7 Mio. Euro bei einem GKV-Umsatzanteil von ca. 70,5% realisierte. Ein Großteil des Verschreibungsvolumens wurde in dieser Apotheke durch zwei in der geographischen Nähe zur Apotheke lokalisierte Arztpraxen generiert. Hinzuweisen ist darauf, dass in diesen Arztpraxen praktisch zu 100% eine namentliche Verschreibung von Arzneimitteln erfolgte. Im betrachteten Monat bearbeitete die Apotheke 3163 Rezeptpositionen.
Abbildung 1 zeigt, welche Prozesse regulär bei der Einlösung eines Rezeptes vor dem Hintergrund der Rabattverträge in der Apotheke ablaufen. Abbildung 1 zeigt auch, mit welcher Häufigkeit diese Prozesse im betrachteten Monat in der untersuchten Apotheke stattfanden.
Die Messung der Häufigkeit wurde ergänzt um eine Erfassung der Prozesszeiten pro Prozessschritt. Auf Basis der damit möglichen Prozesskostenrechnung konnten drei konkrete Prozesse identifiziert werden, die ursächlich mit der Einführung von Rabattverträgen in Verbindung stehen (Abb. 2):
- Suche abgabefähiger Artikel im Sinne von Rabattverträgen:
Jede Apotheke, insbesondere jedoch Apotheken, die Versicherte zahlreicher Krankenkassen versorgen (z. B. an Bundeslandgrenzen, aber auch in eher städtisch geprägten Gebieten), sind aufgrund der unüberschaubaren Vielfalt an krankenkassenspezifisch verordnungsfähigen Wirkstoffen und Arzneimitteln auf eine detaillierte krankenkassenspezifische Recherche der Abgabefähigkeit eines Artikels angewiesen. Liegt diese nicht vor, ist ein Alternativartikel zu bestimmen. In 32,8% der Fälle fand auf Basis eines verordneten nicht abgabefähigen Artikels, der vorrätig war, in der betrachteten Apotheke eine derartige Suche statt. Sie beanspruchte inklusive notwendiger Zusatzwege durch ein zweites Holen der Ware im Durchschnitt ca. 0,47 Minuten. Hochgerechnet auf Basis der Prozesshäufigkeit und einem Personalkostensatz von 0,53 Euro pro Minute entstanden der betrachteten Apotheke durch diesen Zusatzprozess Prozesskosten in Höhe von ca. 253 Euro.
- Rabattberatung von Kunden:
In der exemplarischen Prozessanalyse konnte festgestellt werden, dass in ca. 50% der Fälle, in denen ein ursprünglich verordneter Artikel nicht abgabefähig war, also in 16,4% der Fälle, Kunden diesen Sachverhalt nicht "wortlos akzeptierten". Insofern war bei diesen Kunden zusätzlich zur ohnehin gewährten pharmazeutischen Beratung eine separate Rabattberatung notwendig, die im Monat Prozesskosten in Höhe von 221 Euro in der Apotheke auslöste.
- Erhöhung Prozesskosten Wareneingang:
Rabattverträge erhöhen die Sortimentsvielfalt innerhalb der betroffenen Wirkstoffklassen. Eine Analyse der Entwicklung der eingekauften Zeilen der betroffenen Wirkstoffe zeigte, dass die betrachtete Apotheke pro Wirkstoff nach Einführung der Rabattverträge eine steigende Anzahl von Artikeln einkaufte und lagerte. Dies impliziert direkt eine Verringerung der durchschnittlichen Losgröße im Wareneingang und damit eine steigende Anzahl von Wareneingangsprozessen. Die hierdurch ausgelösten Prozesskosten in der betrachteten Apotheke – basierend auf einer durch Rabattverträge ausgelösten Erhöhung der Zahl der Wareneingangszeilen um 10% – betrugen ca. 108 Euro im betrachteten Monat.
In Summe kann davon ausgegangen werden, dass die betrachtete und exemplarisch analysierte Apotheke zusätzliche Prozesskosten durch die Umsetzung der Rabattverträge in Höhe von ca. 583 Euro im Monat zu tragen hat. Bezogen auf die Verordnung müssen in der Apotheke pro Position 0,18 Euro zusätzliche Prozesskosten aufgewendet werden (Abb. 2).
Perspektive des pharmazeutischen Großhandels
Die Umsetzung der Rabattverträge löst beim Großhandel potenziell sowohl rohertragsmindernde als auch prozesskostenerhöhende Effekte aus:
Niedrigere Roherträge pro Packung durch Senkung der Einkaufspreise;
Höhere Prozesskosten durch gesunkene Losgrößen im Wareneingang vor dem Hintergrund einer größeren Sortimentsvielfalt;
Erhöhung der Lagerbestände von Artikeln, da größere Sortimentsvielfalt zusätzliche Sicherheitsbestände auslöst;
Erhöhung Defektquoten gegenüber Apotheken;
Senkung Losgröße der Bestellung von Apotheken mit der Folge einer Erhöhung der zu kommissionierenden Zeilen für ein gegebenes Packungsvolumen.
Eine auf das Gesamtsortiment des Großhandels bezogene Analyse der Entwicklung der obigen Kennzahlen im Jahresvergleich ist aufgrund der Vielzahl von Einflussfaktoren nicht sinnvoll. Deshalb wurde die Analyse dieser Kennzahlen am Beispiel von zwei Wirkstoffgruppen durchgeführt, die Gegenstand zahlreicher Rabattverträge sind: Ciprofloxacin (insgesamt 325 relevante PZN) und Diclofenac (insgesamt 164 relevante PZN). Um Marktanteilsverschiebungen zwischen Anbietern nicht irrtümlich als Effekte, die Rabattverträgen zuzuordnen sind, zu interpretieren, wurden obige Kennzahlen nur gesamthaft für die Wirkstoffgruppen ausgewertet. Abbildung 3 zeigt die Ergebnisse, die von der Gehe Pharma Handel GmbH im Jahresvergleich abgeleitet werden konnten.
Abbildung 3 zeigt deutlich, dass zahlreiche, allerdings nicht sämtliche der vermuteten Prozesskosteneffekte aus den Daten ablesbar sind:
Ein eindeutiger Effekt auf die Losgröße im Wareneingang des Großhandels konnte nicht identifiziert werden.
Der Rohertrag pro Packung – basierend auf Sortimentsumschichtungen in Richtung günstigerer Artikel – ist in beiden Wirkstoffgruppen deutlich zurückgegangen.
Der Lagerbestand – gemessen in Packungen – ist gestiegen. Der wertmäßig gemessene Lagerbestand ist allerdings gesunken, da die positiven Mengen- von den negativen Durchschnittspreiseffekten überkompensiert wurden.
Die Defektquote gegenüber Apotheken – stets bezogen auf die gesamte Wirkstoffgruppe und nicht auf die spezifische PZN – ist deutlich gestiegen.
Durch die gestiegene Sortimentsvielfalt sank die durchschnittliche Größe einer für eine Apotheke in den betrachteten Wirkstoffgruppen kommissionierten Zeile um bis zu 15%.
In Summe wird deutlich, dass Rabattartikel für den pharmazeutischen Großhandel Artikel darstellen, deren Margenattraktivität sinkt, für die zugleich jedoch höhere Prozesskosten aufzuwenden sind.
Zusammenfassung
Abbildung 4 zeigt – exemplarisch am Beispiel der Wirkstoffgruppe Diclofenac – welche Implikationen die aufgezeigten Prozesskosteneffekte für eine Apotheke haben. Neben den eigentlichen Prozesskosteneffekten, die auf 0,18 Euro pro Position zu beziffern sind, sind rohertragsmindernde Effekte durch die Preissenkung zu berücksichtigen. In Summe sinkt dadurch der Deckungsbeitrag der betrachteten Apotheke pro Packung um 35% auf ca. 0,94 Euro pro Packung.
Vergleichbare Effekte werden – wiederum am Beispiel der Wirkstoffgruppe Diclofenac – beim Großhandel sichtbar (Abb. 5): Angesichts der niedrigen Rohertragsmarge gehörten Artikel dieser Indikationsgruppe ohnehin zu Artikeln, die nur an Apotheken geliefert werden können, wenn die mit ihrer Lieferung verbundenen negativen Deckungsbeiträge durch andere Sortimente quersubventioniert werden. Abbildung 5 zeigt, dass sich dieser Effekt nach Einführung der Rabattverträge weiter verstärkt.
Welche Schlussfolgerungen sind aus der Analyse zu ziehen? Rabattverträge können grundsätzlich ein sinnvolles Instrument der Arzneimittelkostensteuerung darstellen. Allerdings wurde deutlich, dass sie ganz offensichtlich einen relevanten Zusatzaufwand in der Kette der Arzneimittelversorgung auslösen, der zahlreiche Marktteilnehmer – in der Regel die nicht an den Rabattverhandlungen Beteiligten – vor große logistische und finanzielle Herausforderungen stellt. Um gesundheitspolitisch den Eindruck zu vermeiden, dass im Rahmen zukünftiger Rabattverhandlungen – in welcher konkreten Form auch immer ausgestaltet – wiederum Verträge zu Lasten unbeteiligter Dritter geschlossen werden, sollte in Zukunft stärker auf diese Effekte Rücksicht genommen werden. Ob dies im Rahmen eines alternativen Vergütungsmodells für diese Artikelgruppen geschieht, wird die Zukunft zeigen.
Anschrift der Verfasser
Prof. Dr. Thomas Wilke
Prof. Dr. Kai Neumann,
Institut für Pharmakoökonomie und Arzneimittellogistik (IPAM),
Hochschule Wismar,
Postfach 12 10, 23952 Wismar
www.ipam-wismar.de
DAZ 2008, Nr. 14, S. 75
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