Arzneimittel und Therapie

Männer mit Bluthochdruck

Angst vor Impotenz erzeugt Complianceprobleme

Für viele Hypertoniker reicht ein Blick in den Beipackzettel, um von der Einnahme des verordneten Antihypertensivums Abstand zu nehmen. Verantwortlich dafür sind Hinweise auf Impotenz oder Libidostörungen. Doch auch Männer, die sich zunächst nicht durch den Beipackzettel abschrecken lassen, verzichten im Laufe der Zeit gerade wegen sexueller Funktionsstörungen auf die blutdrucksenkenden Präparate. Wir haben mit Priv.-Doz. Dr. Thomas Mengden von der Medizinischen Universitäts-Poliklinik Bonn über die Problematik gesprochen und ihn nach Lösungsmöglichkeiten befragt.

Weltweit leiden mehr als 150 Millionen Männer unter den Folgen einer erektilen Dysfunktion. In Deutschland lag die mittlere Prävalenz in einer mit 8000 Männern im Alter von 30 bis 80 Jahren durchgeführten Studie bei 20%. Dabei wurde ein linearer Anstieg bis zum 60. und ein exponenzieller Anstieg ab dem 60. Lebensjahr verzeichnet. Begünstigt wird die Entwicklung dieser sexuellen Funktionsstörungen durch verschiedene Grunderkrankungen wie beispielsweise Diabetes mellitus oder Bluthochdruck. Doch gerade Männer, die wegen eines erhöhten Blutdrucks Antihypertensiva verordnet bekommen, werden durch einen Hinweis auf sexuelle Funktionsstörungen in den Beipackzetteln verunsichert.

DAZ

Herr Dr. Mengden, wie oft wird eine antihypertensive Behandlung wegen Impotenz und Libidoverlust abgebrochen?

Mengden: Hierzu gibt es keine zuverlässigen Zahlen. Aus der im Jahre 1981 publizierten MRC-Studie geht hervor, dass ca. ein Drittel aller Therapieabbrüche mit dem Auftreten einer Impotenz begründet waren. Impotenz war somit bei den Männern der häufigste Grund für einen Abbruch der antihypertensiven Therapie. Eine Extrapolierung auf die tägliche klinische Praxis ist jedoch problematisch, da die Abbruchquoten in kontrollierten Studien deutlich niedriger als in der Praxis liegen. Die geschätzten Abbruchquoten in der Praxis liegen bei ca. 50% ein Jahr nach Beginn einer antihypertensiven Therapie. Es kann somit nur vorsichtig geschätzt werden, dass ca. 16% aller Männer wegen Auftreten von Potenzstörungen nach einem Jahr die Hochdrucktherapie abbrechen. Die Abbruchrate fünf Jahre nach Beginn einer Therapie liegt bei fast 90%.

DAZ

Danach nimmt nach fünf Jahren also nur noch einer von zehn behandlungsbedürftigen männlichen Hypertonikern die notwendigen Medikamente ein. Liegen die Abbruchquoten unter allen Antihypertensiva ähnlich hoch?

Mengden: Am häufigsten werden Verschlechterungen der männlichen Sexualfunktion unter Diuretika, insbesondere Thiazid-Diuretika beobachtet. Die Häufigkeit dürfte zwischen 10 und 20% betragen. Unter Betablockade werden sowohl Störungen der erektilen Funktion als auch Libidoverlust angegeben. Die Häufigkeit dürfte niedriger als unter Diuretika liegen. Insbesondere ist zu beachten, dass mit steigender Kardioselektivität die Häufigkeit von Störungen der Sexualfunktion abnimmt. Bei Betablockern ist weiterhin zu beachten, dass gerade bei dieser Substanzgruppe das Wissen um mögliche unerwünschte Wirkungen (Beipackzettel) das Auftreten von Erektionsstörungen deutlich beeinflusst. Calciumantagonisten werden bezüglich erektiler Dysfunktion insgesamt als neutral betrachtet. ACE-Hemmer und AT1 -Rezeptorantagonisten scheinen gegenüber anderen antihypertensiven Substanzen einen Vorteil aufzuweisen, in dem sich unter diesen Substanzgruppen in der Langzeittherapie eine Erholung oder sogar Verbesserung der Sexualfunktion erzielen ließ.

DAZ

Ihre Äußerungen sind sehr vage. Lassen die Ergebnisse der zahlreichen Hochdruckstudien keine eindeutigeren Aussagen zu den einzelnen Substanzgruppen zu?

Mengden: In Hochdruckstudien mit Aussagen zum Auftreten von sexuellen Funktionsstörungen werden zum Teil erheblich unterschiedliche Methoden verwandt. Am häufigsten wurden Fragebögen benutzt, die jedoch bezüglich Standardisierung und Validierung erhebliche Unterschiede aufwiesen. Des weiteren wurde in den meisten Studien keine objektive Methode zur Beurteilung der erektilen Dysfunktion benutzt (Messung von Rigiditätsgrad, Zirkumferenzänderung sowie Häufigkeit und Dauer von Erektionsperioden). Die Zahlen bezüglich sexueller Funktionsstörungen beruhen somit auf subjektiven Angaben in einem hoch selektionierten Studienkollektiv und sind wahrscheinlich nur eingeschränkt auf die tägliche Praxis übertragbar.

DAZ

Sie haben das Problem der Beipackzettel-induzierten Störungen insbesondere bei Betablockern angesprochen. Wie groß ist es und wie könnte man es umgehen?

Mengden: Auf das Problem der Beipackzettel-induzierten Störungen der Sexualfunktion wies eine Studie aus dem Jahre 2003 (Silvestri et al.) hin. In dieser Studie erhielten alle Patienten den kardioselektiven Betablocker Atenolol. Die erste Patientengruppe war verblindet und wusste nichts über die Einnahme des Betablockers. Die zweite Patientengruppe wurde über die Gabe des Betablockers informiert, ohne jedoch auf die Nebenwirkungen hinzuweisen. Die dritte Patientengruppe schließlich wurde über Nebenwirkungen, insbesondere das Auftreten einer erektilen Dysfunktion unter Betablockade vor Therapiebeginn informiert. Nach drei Monaten Therapie betrug die Inzidenz der erektilen Dysfunktion 3,1% in der ersten, 15,6% in der zweiten und 31,2% in der dritten Gruppe. Alle Patienten, die eine erektile Dysfunktion unter Betablockade berichteten, erhielten in der zweiten Studienphase in einem Crossover-Design entweder 50 mg Sildenafil (Viagra®) oder Placebo. Sildenafil und Placebo waren in dieser Studie ohne Unterschied bezüglich Reversibilität der erektilen Dysfunktion. Hieraus geht hervor, dass das Wissen und die Angst vor erektiler Dysfunktion unter Betablocker-Therapie die Häufigkeit von Störungen der Sexualfunktion erheblich beeinflusst. Diesem Problem lässt sich von Seiten des Arztes oder Apothekers wahrscheinlich wenig entgegenwirken, da die Patienten über ihren Freundes- oder Bekanntenkreis meistens schon vorab über die spezifischen Nebenwirkungen der Betablocker-Therapie informiert sind. Maßgeschneiderte Lösungen auch zur Complianceverbesserung gibt es hier nicht. Für jeden Patienten sollte individuell der Therapieplan besprochen werden unter sorgfältiger Abwägung der NutzenRisiko-Analyse. Bei einem Patienten mit unkomplizierter Hypertonie ohne eine weitere Indikation für eine Betablockade (z. B. koronare Herzerkrankung) ist zu erwägen, die initiale Monotherapie mit einem AT1 -Blocker, einem ACE-Hemmer oder einem Calciumantagonisten zu beginnen.

DAZ

Herr Dr. Mengden, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Gespräch führte Dr. Doris Uhl

Priv.-Doz. Dr. Thomas Mengden, Medizinische Universitäts-Poliklinik, Abt. Angiologie, Hypertensiologie, Herzinsuffizienz, Wilhelmstr. 35 – 37, 53105 Bonn
Die MRC-Studie (Medical Research Council Working Party on Mild to Moderate Hypertension) ist eine Interventionsstudie, in der 9048 männliche Studienteilnehmer auch nach Impotenzproblemen befragt worden sind. Den 1981 veröffentlichten Daten ist zu entnehmen, dass die Inzidenz sexueller Funktionsstörungen unter einem Diuretikum um den Faktor 20 und unter einem Betablocker um den Faktor 5 höher war als in der Kontrollgruppe.

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