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DAZ aktuell
Impfexperten fordern mehr Aufklärung
Dr. Michael Bröker von Novartis Behring stellte die Umfrageergebnisse am 12. Dezember in Berlin vor. Danach rechnen 80 Prozent der befragten Experten damit, dass es in Deutschland in den nächsten fünf Jahren zu einem Anstieg von Infektionskrankheiten kommen wird insbesondere bei HIV, Influenza und Tuberkulose. Aber auch an Masern und der durch Zecken übertragenen Hirnhautentzündung (FSME) werden nach Einschätzung der Experten hierzulande immer mehr Menschen erkranken. Als Hauptfaktoren für diese Entwicklung nannten sie vor allem Impfmüdigkeit, zunehmende Reisetätigkeit, Migration, klimatische Veränderungen, leichtsinniges Verhalten und die Entwicklung von Resistenzen bei den Erregern. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in den nächsten fünf Jahren zu einer Influenza-Pandemie kommen wird, schätzen die Experten im Schnitt auf rund 30 Prozent ein. Dabei sehen sie die Gefahr eher von Vogelgrippestämmen als von herkömmlichen Grippestämmen ausgehen. Mehr als die Hälfte der Befragten glaubt, dass Deutschland für den Pandemiefall gut aufgestellt ist. Dennoch sehen 82 Prozent Verbesserungspotenzial und fordern hierzu beispielsweise verstärkte Aufklärung, Katastrophenpläne, Bevorratung mit Impfstoffen sowie höhere Impfraten.
Sorgenkind Masern Höhere Impfquoten wünschen sich die Experten zudem vor allem bei Masern (74 Prozent). Bröker verwies darauf, dass die Weltgesundheitsorganisation das Ziel formuliert hat, die Masern bis 2010 in Europa auszurotten. 94 Prozent der Umfrageteilnehmer glauben jedoch nicht daran, dass dies in Deutschland zu schaffen ist. Das größte Hindernis zur Verbesserung der Impfraten ist in ihren Augen ein generelles Informationsdefizit der Bevölkerung. Bemängelt wird auch, dass es unter Kinderärzten noch immer Impfgegner gebe. Um der Impfmüdigkeit wirkungsvoll zu begegnen, setzen die Experten vor allem auf mehr Aufklärung sowie eine bessere Fortbildung der Ärzte. Rund jeder dritte Experte befürwortet auch die Einführung einer Impfpflicht, etwa als Voraussetzung für die Aufnahme in Krippen, Vorschulen und Schulen.
Wichtige Verbesserungen Dass der Impfschutz in den letzten zehn Jahren auf weitere Krankheiten ausgedehnt werden konnte, ist für die Experten der größte Fortschritt in der Impfstoffforschung. So wurden Schutzimpfungen gegen drei Krankheiten zugelassen, vor denen man sich bisher nicht schützen konnte: schmerzhafte Gürtelrose, Brechdurchfälle durch Rotaviren und Gebärmutterhalskrebs. Insbesondere von einer Impfung gegen humane Papillomviren (HPV), die die häufigste Ursache für Gebärmutterhalskrebs darstellen, erwarten die befragten Experten in den nächsten fünf Jahren die größten Verbesserungen bei der Vorbeugung von Infektionskrankheiten. 86 Prozent von ihnen sprechen sich deshalb dafür aus, dass HPV-Impfstoffe für junge Mädchen und Frauen als Standard-impfung empfohlen werden.
Herausforderung HIV und Malaria Langfristig erwarten viele Experten auch bei HIV und Malaria Fortschritte durch die Impfstoffforschung. Eine zuverlässige Schutzimpfung gegen HIV innerhalb des nächsten Jahrzehnts erscheint den meisten allerdings unrealistisch. 38 Prozent hoffen aber auf einen Impfstoff, der das Infektionsrisiko bei HIV senkt, 45 Prozent erwarten einen, der im Falle einer späteren Infektion den Ausbruch der Krankheit verzögert oder den Krankheitsverlauf mildert. Bei Malaria gegen die in den letzten Jahrzehnten viele Impfstoffprojekte verfolgt, aber ergebnislos geblieben sind rechnet jeder dritte Experte in den nächsten zehn Jahren mit großen Fortschritten bei der Entwicklung von Impfstoffen.
VFA fordert verbesserte Rahmenbedingungen Als wichtigste Voraussetzungen für optimale Bedingungen zur Impfstoffforschung und -entwicklung gaben die Befragten am häufigsten finanzielle Unterstützung und den Abbau bürokratischer Hürden an. Auch eine Stärkung der Grundlagenforschung und mehr politische Unterstützung wünschen sich die Experten. VFA-Geschäftsführer Dr. Siegfried Throm räumte ein, dass hohe Produktionskosten und teure Qualitätskontrollen bei vergleichsweise niedrigen Preisen dazu geführt hätten, dass sich die Pharmaindustrie in den vergangenen 20 Jahren weniger mit Impfstoffforschung beschäftigt hat als zuvor. Erst in den letzten Jahren sei es zu einer Trendumkehr gekommen. So habe sich eine Reihe von Biotech-Firmen der Impfstoffforschung verschrieben. Wir müssen das vorhandene Potenzial an Impfstoffentwicklung und -produktion in Deutschland sowohl im Interesse der Patienten als auch des Standortes Deutschland nutzen , mahnte Throm. Hierfür bedürfe es vor allem einer Gesundheitspolitik, die innovationsoffen agiert und sich stärker für den Bereich Impfstoffe einsetzt . Zudem müsse bei allen Beteiligten im Gesundheitswesen ein Konsens über die Bedeutung von Impfungen erreicht werden. Auch die Politik müsse sich klar zum Nutzen von Impfungen für Mensch und Gesellschaft bekennen. Notwendig sei insbesondere eine transparente Kostenübernahmeregelung bei den Krankenkassen.
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