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- DAZ 34/2006
- Die Seite 3
Die Seite 3
Es war mit ziemlichem Brimborium angekündigt worden – das Rechtsgutachten des Münchner Europa- und Lebensmittelrechtlers Rudolf Streinz und seines Mitarbeiters Christoph Herrmann: Zunächst gehütet wie ein Staatsgeheimnis, dann ausgewählten Hecken-Sympathisanten zugänglich gemacht, wurde es schließlich auf einer Pressekonferenz in Berlin der gemeinen Journaille vorgestellt. Auf dem Podium in der Saarländischen Landesvertretung saß die ganze DocMorris-Erlaubniserteiler-und-Betreiber-Riege: Hecken und sein Staatssekretär Schild zusammen mit ihrem Gutachter Herrmann (von ihm scheint das Rechtsgutachten "DocMorris N.V." vorrangig zu stammen) "Seit' an Seit'" (FAZ) mit dem DocMorris-Trio Däinghaus (Chef)/Schiffer (Vorstand)/Diekmann (Anwalt). Zunächst glich alles eher einer DocMorris-Roadshow, bei der von eifrigen Helferinnen wie selbstverständlich Werbematerialien "Europas größter Versandapotheke" verteilt wurden ("Bis zu 30 Prozent günstiger als in anderen Apotheken"). Auch dass der Herr Minister sich voll des Lobes über seinen neuen Arbeitsplatzbeschaffer äußern würde (wenn auch von 300 neuen Stellen nicht mehr die Rede war), konnte man erwarten.
Hecken zeigte sich überzeugt, dass "wir obsiegen werden" – zumal ja die strafrechtlichen Verfahren gegen ihn – Originalton – "abgefackelt" seien. (Wie zu hören war, sind Dutzende von Anzeigen gegen Hecken nach einer gemeinsamen Gesprächsrunde von Justizministerium und Staatsanwaltschaft in kaum mehr als einer Stunde niedergeschlagen worden).
Interessant wurde es, als Staatssekretär Schild in seinem Statement den Verfahrensgang der Erlaubniserteilung seines Dienstherrn an DocMorris nachzeichnete: Seit Mitte Februar hatte im Ministerium für Justiz, Soziales und Gesundheit des Saarlands eine Arbeitsgruppe getagt – von der Öffentlichkeit hermetisch abgeschottet und zu absolutem Stillschweigen vergattert.
Ihr Auftrag: Zu prüfen, mit welchen rechtlichen Argumenten dem niederländischen Versandhändler eine Erlaubnis für seine erste "Vor-Ort-Filialapotheken-AG" erteilt werden könne. Mit von der Partie:
- drei Juristen, u. a. DocMorris-Rechtsanwalt (!) Thomas J. Diekmann und Dr. Christoph Lafontaine, im Hecken-Ministerium zuständig für Kabinett, Bundesrat, Parlaments- und Europaangelegenheiten,
- eine Pharmazeutin,
- ein ehemaliger Richter und
- zwei aktive Richter.
Dabei sind mehrere Dinge bemerkenswert: Zunächst, mit welcher Nonchalance und bar jeden Unrechtsbewusstseins das Hecken-Ministerium im Vorfeld der Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis mit DocMorris gemeinsame Sache gemacht hat (und weiter macht). Deutlich wird dies auch im Streinz/Herrmann-Gutachten. Offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt (und gedruckt), wird dort an mehreren Stellen auf "Vermerke" und "Stellungnahmen" der Herren Dr. Lafontaine und Diekmann hingewiesen – außergewöhnlich für ein Rechtsgutachten, das den Anspruch erhebt, "in wissenschaftlicher Objektivität und Unabhängigkeit" erarbeitet worden zu sein. Gleichermaßen brisant ist, dass an dem inoffiziellen "Vor-Verfahren" neben einem ehemaligen auch zwei aktive (!) Richter beteiligt waren. Ihre Identität und Funktion wurde auf der Pressekonferenz verschwiegen. Man stelle sich vor, dass die beteiligten Richter im Zuge der gerichtlichen Aufarbeitung des Falls Hecken/DocMorris die von ihnen selbst (mit)entwickelten Rechtsausführungen zu beurteilen haben...
Ist es vor diesem Hintergrund erstaunlich, mit welcher politischen und rechtlichen Selbstsicherheit Hecken im Fall DocMorris agiert? Angefeuert von Däinghausschen Sympathiebekundungen ("Toll, wie Sie wie ein Fels in der Brandung stehen!") ist sein Sprachduktus martialisch ("Kriegserklärung an die deutschen Apotheker") und frei von Selbstzweifeln. Weiß Hecken mehr, als er sagt?
Mit dem vorgelegten Streinz/Herrmann-Gutachten kann sich sein Optimismus jedenfalls nicht begründen lassen. Der Inhalt der Expertise ist dünn. Der Europäische Gerichtshof hatte im letzten Jahr in einem äußerst kursorisch gehaltenen Urteil das "Fremd- und Mehrbesitzverbot" bei griechischen Optikergeschäften für gemeinschaftswidrig erklärt. Herrmann/Streinz meinen nun, dieses Urteil – so wörtlich – "Eins-zu-eins" auf das in Deutschland geltende apothekenrechtliche Approbationsgebot für Apothekeninhaber übertragen zu können.
Pille = Brille? Rechtlich relevante Unterschiede in den Gefahren eines Fehlgebrauchs bei Arzneimitteln und Sehhilfen scheinen die beiden Juristen nicht erkennen zu wollen – trotz der Geltung detaillierter europäischer Arzneimittel- und Apotheken-Richtlinien. Mehr noch: Das in Deutschland geltende Apothekenrecht soll, so Streinz/Herrmann, so "evident europarechtswidrig" sein, dass es dem Hecken-Ministerium "nicht zuzumuten" sei, DocMorris "entgegen der eigenen Rechtsüberzeugung abschlägig zu verbescheiden" und abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof die Rechtslage beurteilt.
Das alles ist wahrlich nicht sehr überzeugend. Wir sollten uns jetzt nicht irre machen lassen – weder von selbst ernannten Rechtspropheten noch von interessengeleiteten Systemüberwindern und ihren ordoliberalen Stichwortgebern in den Wirtschaftsredaktionen der veröffentlichten Meinung.
Wenn es mit rechten Dingen zugeht und uns die –Politik außerhalb des Saarlands nicht im Stich lässt, besteht kein Anlass, die Flinte ins Korn zu werfen. Noch ist alles offen. Die besseren Argumente sprechen für uns.
Wenn, ja wenn...
Dr. Christian Rotta
Pille = Brille?
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