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Der Fall Hecken/DocMorris: "Juristisch geht es jetzt erst richtig los"

BERLIN (bra/cr). Nach geltendem deutschem Recht stellt die Erteilung der Betriebserlaubnis für die DocMorris-Apotheke in Saarbrücken einen Verstoß gegen das Apothekengesetz dar. Dennoch hat das Landgericht Saarbrücken am 9. August den Eilantrag einer Apothekerin auf Schließung der Saarbrücker DocMorris-Filiale abgewiesen. Damit bleibt die Filiale der niederländischen DocMorris AG zunächst weiterhin geöffnet. Doch die gerichtlichen Auseinandersetzungen im Fall Hecken/DocMorris stehen erst am Anfang.

Die DAZ sprach darüber mit Rechtsanwalt Dr. Claudius Dechamps, Prozessvertreter des Deutschen Apothekerverbandes, der Apothekerkammer des Saarlandes und von drei Apothekerinnen und Apothekern sowie Lutz Tisch, Geschäftsführer Apotheken- und Arzneimittelrecht, Berufsrecht bei der ABDA.

DAZ:

Die Saarbrücker DocMorris-Fililalapotheke darf, wie das Landgericht Saarbrücken in einem Eilverfahren im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes festgestellt hat, vorerst geöffnet bleiben. Die juristischen Auseinandersetzungen zum apothekenrechtlichen Fremd- und Vielbesitzverbot stehen damit jedoch erst am Anfang. Welche weiteren rechtlichen Schritte haben die Berufsvertretungen eingeleitet, um im Fall Hecken/DocMorris doch noch zu einer Schließung der Saarbrücker Filialapotheke zu kommen?

Dechamps:

Juristisch geht es jetzt erst richtig los: Wir haben beim Verwaltungsgericht des Saarlandes eine Klage mit mehreren Klägern anhängig gemacht, um allen prozessualen Eventualitäten vorzubeugen: Kläger sind der Deutsche Apothekerverband, die Apothekerkammer des Saarlandes und zwei saarländische Apotheker und eine Apothekerin. Klagegegner ist das Ministerium für Justiz, Soziales und Gesundheit, das DocMorris die Betriebserlaubnis erteilt hat. Mit den Klagen soll die Kernfrage geklärt werden, ob die Erteilung dieser Betriebserlaubnis an die niederländische Kapitalgesellschaft DocMorris N.V. nichtig, mindestens aber rechtswidrig ist.

DAZ:

In dem Eilverfahren vor dem Landgericht Saarbrücken ging es darum, die Nichtigkeit der Erteilung der Betriebserlaubnis feststellen zu lassen. Dies stellt im Rahmen eines Eilantrags eine sehr hohe Hürde dar. Welche Möglichkeiten bestehen nun, die Rechtswidrigkeit der Betriebserlaubnis überprüfen zu lassen?

Dechamps:

Die Nichtigkeit ist eine der Rechtswidrigkeit vorangehende Entscheidung. Sollte die Betriebserlaubnis, wie wir meinen, nichtig sein, würde sich die Frage, ob sie rechtswidrig ist, gar nicht mehr stellen. Eine hohe Hürde ist die Nichtigkeit aber eigentlich nur im Eilverfahren, weil die Gerichte sagen: Bevor wir vorschnell zu dem Schluss kommen, dass eine Betriebserlaubnis nichtig und eine Apotheke deshalb sofort zu schließen ist, muss die Betriebserlaubnis auch ohne eingehende juristische Prüfung "evident rechtswidrig" sein. Die Rechtswidrigkeit muss auch bei summarischer Prüfung offensichtlich sein, d.h. sie muss – wie es in der Rechtsprechung heißt – der Betriebserlaubnis, "auf die Stirn geschrieben sein". Deswegen liegt in einem Eilverfahren die Hürde sehr hoch. Dies war im Übrigen auch der Grund, warum das Landgericht Saarbrücken in seinem wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren den Antrag der Saarbrücker Apothekerin dem Antrag auf Schließung der DocMorris-Filialapotheke (vorerst?) nicht stattgegeben hat. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass aufgrund der auch europarechtlichen Dimension des apothekenrechtlichen Fremdbesitzverbotes von einer offensichtlichen Nichtigkeit der erteilten Betriebserlaubnis an die DocMorris N.V. nicht ausgegangen werden könne. Die Frage der Rechtswidrigkeit der Betriebserlaubnis hat das Landgericht ausdrücklich offen gelassen.

In den anstehenden Verwaltungsverfahren ist nun rechtlich en detail und nicht nur summarisch zu prüfen: Handelt es sich bei der Erteilung der Betriebserlaubnis um einen offensichtlichen und schwerwiegenden Rechtsverstoß des zuständigen Ministeriums - mit der Folge, dass der Verwaltungsakt nichtig ist und die DocMorris-Apotheke in Saarbrücken geschlossen werden muss. Die verwaltungsgerichtliche Klage ist so aufgebaut, dass in erster Linie beantragt wird festzustellen, dass die erteilte Betriebserlaubnis nichtig ist. Wenn diesem Antrag stattgegeben wird, dann erledigen sich die gestellten Hilfsanträge, mit denen festgestellt werden soll, dass die Betriebserlaubnis "nur" rechtswidrig ist. Aber auch in diesem Fall müsste die Betriebserlaubnis wieder zurückgenommen werden.

DAZ:

Unjuristisch gefragt: Bei Nichtigkeit muss am nächsten Tag die Tür zugemacht werden?

Tisch:

Ja. Schlichtweg, weil das deutsche Apothekenrecht besagt, dass eine Apotheke ohne Betriebserlaubnis nicht betrieben werden darf. Die Behörde ist verpflichtet, nach § 5 des Apothekengesetzes eine Apotheke sofort stillzulegen, die ohne Betriebserlaubnis betrieben wird. Schließlich macht sich strafbar, wer eine Apotheke ohne Betriebserlaubnis betreibt. Nichtigkeit heißt: Die Betriebserlaubnis ist von Anfang an unwirksam und "nicht existent".

DAZ:

Apropos: Strafbarkeit. Justiz- und Gesundheitsminister Hecken hat – mit durchaus geschwellter Brust – von 50 Strafanzeigen berichtet, die im Fall DocMorris gegen ihn erhoben worden sind. Wie ist der Stand?

Dechamps:

An den Strafanzeigen sind wir nicht beteiligt. Wenn ich richtig informiert bin, wird Hecken als dem für die Erteilung der Betriebserlaubnis zuständigen Justiz- und Gesundheitsminister neben Rechtsbeugung auch Beihilfe zum Betreiben einer Apotheke ohne Betriebserlaubnis vorgeworfen. Alle Anzeigen wurden, wie die Apotheker Zeitung ja auch berichtet hat, von der zuständigen Staatsanwaltschaft in Saarbrücken innerhalb von kaum mehr als 24 Stunden abgeschmettert.

DAZ:

War das zu erwarten?

Dechamps:

Das ist eine schwierige Frage. Es gibt Gründe, die dafür sprechen. Ich denke, der wesentliche Grund, den ich mir vorstellen kann, ist: Man soll die Frage der Zulässigkeit der Erteilung einer Apothekenbetriebserlaubnis in der Gerichtsbarkeit klären, die dafür zuständig ist, nämlich in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – und nicht versuchen, dies über den Umweg eines zwar publizitätsträchtigen, aber in der Sache nicht wirklich hilfreichen Strafverfahrens beurteilen zu lassen. Es ist ein völlig anderer Blickwinkel, mit dem ein Strafrichter einen Fall betrachtet. Natürlich ist es erstaunlich, wie schnell die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat – das lässt interessante Vermutungen über die Entfernung von Justizministerium und Staatsanwaltschaft zu - aber das sind Spekulationen.

DAZ:

Herr Hecken ist ja interessanterweise sowohl Justiz- als auch Gesundheitsminister im Saarland – und Vorgesetzter des Oberstaatsanwalts ...

Dechamps:

In der Tat hätte die Staatsanwaltschaft hier gegen den eigenen Dienstherrn vorgehen müssen. Die Staatsanwaltschaft ist – und darauf legen Juristen immer schmunzelnd wert – "die objektivste Behörde der Welt". Man sollte ihr also keine sachfremden Erwägungen bei ihren Entscheidungen zugunsten des eigenen Dienstherrn unterstellen. Jedenfalls tue ich das nicht.

DAZ:

Wie ist die aktuelle Situation im Saarland: Können weitere in- oder ausländische Kapitalgesellschaften mit Aussicht auf Erfolg bei Hecken eine Apothekenbetriebserlaubnis beantragen? Mit welchen Gründen könnte Hecken, so er denn überhaupt wollte, solche Anträge abschlägig bescheiden?

Tisch:

Der Ausgangsgedanke muss lauten, dass es keine Gleichbehandlung im Unrecht gibt. Die Frage ist nur: Wähnt sich der saarländische Minister im Unrecht? Nein, das tut er offensichtlich nicht. Hecken ist der Auffassung durch das von ihm in Auftrag gegebene Rechtsgutachten hinreichend munitioniert zu sein, um die Rechtmäßigkeit seines Tuns belegen zu können. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass er aufgrund seiner Einschätzung dann auch Anträgen Dritter, z. B. Antragstellern aus anderen EU-Mitgliedstaaten, nachkommt und weitere Betriebserlaubnisse an Kapitalgesellschaften erteilt. Aber man kann sich natürlich auch vorstellen, dass er bereit ist, den nächsten Schritt zu tun und sagt: Es liegt eine Inländerdiskriminierung vor, wenn nur Kapitalgesellschaften aus anderen EU-Mitgliedstaaten der Zugang zum deutschen Apothekenmarkt eröffnet wird. Mit dieser Begründung könnte er dann auch deutschen Kapitalgesellschaften eine Betriebserlaubnis erteilen.

DAZ:

Herr Hecken ist ja, wenn man ihm Glauben schenken darf, der Auffassung, dass das deutsche Fremd- und Vielbesitzverbot europarechtswidrig ist. Auf welche rechtstaatlich korrekte Weise hätte er diese Rechtsauffassung überprüfen lassen können?

Dechamps:

Er hätte DocMorris auffordern können, einen Antrag zum Betreiben der Filialapotheke in Saarbrücken zu stellen. Diesen Antrag hätte das Hecken-Ministerium aufgrund der glasklaren apothekengesetzlichen Rechtslage in Deutschland ablehnen müssen. Gegen die Ablehnung hätte DocMorris zunächst Widerspruch einlegen und dann Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht erheben können. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens wäre dann von den hierfür zuständigen Instanzen zu prüfen gewesen, ob das deutsche Apothekenrecht mit seinem Fremd- und Vielbesitzverbot tatsächlich gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt und deshalb nicht angewendet werden darf. Im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht die Möglichkeit, europarechtliche Fragen dem zuständigen Europäischen Gerichtshof zur Beantwortung vorzulegen. Generell ist es eine interessante Frage, ob und gegebenenfalls inwiefern das deutsche Apothekenrecht durch europäisches Recht "verdrängt" wird. Denn es gibt keine europäische Richtlinie oder dergleichen, die besagt, unter welchen Bedingungen eine Apothekenbetriebserlaubnis erteilt werden muss.

DAZ:

Eine interessante Frage ist auch, ob die Erlaubnis, die Hecken erteilt hat, für eine Filialapotheke gilt. Seit 1. Januar 2004 besteht in Deutschland die Möglichkeit, einen Apothekenverbund aus Hauptapotheke und maximal drei Filialapotheken zu betreiben. Hierfür wird eine gemeinsame Betriebserlaubnis erteilt. Bedeutet dies, dass Hecken deshalb auch für die "DocMorris-Hauptapotheke" in den Niederlanden eine deutsche Betriebserlaubnis erteilt hat?

Tisch:

Ich meine, die gibt es nicht. In der Tat ist es so, dass das Apothekengesetz nur zwei Arten von Genehmigungen vorsieht: das eine ist die Individualgenehmigung "traditioneller Prägung" und das zweite ist die Genehmigung für einen Filialverbund - nach meiner rechtlichen Einschätzung handelt es sich dabei um eine Betriebserlaubnis eigener Art ("sui generis"), die es erlaubt, eine Apotheke mit maximal vier Betriebsstätten zu führen, von denen eine Apotheke eine Hauptapotheke sein muss. Aber auch im Rahmen dieser Genehmigung müssen alle diejenigen Voraussetzungen erfüllt sein, die zum Betreiben einer Individualapotheke erforderlich sind. Das heißt: Auch eine solche Betriebserlaubnis darf nur individuell einer "natürlichen Person" mit Apothekerapprobation erteilt werden.

DAZ:

Zum Schluss noch eine unjuristische, spekulative Frage: Hecken ist Jurist. Er weiß, was er tut. Warum, meinen Sie, tut er, was er tut?

Dechamps:

Ich kann mir vorstellen, dass ihm die Rolle, in die er sich begeben hat, durchaus gefällt: Der Justiz- und Gesundheitsminister als Robin Hood – so wird er inzwischen ja auch von der Presse genannt - oder eines Verbündeten von Robin Hood, der auf zukunftsträchtigem Neuland den Aufbruch wagt. Hecken übersieht dabei jedoch, dass er Regeln verletzt, die ihre Begründung jenseits allen berufsständischen, allen Pfründedenkens haben, sondern allein darauf zielen, nach derzeitiger Vorstellung bestmöglich sicherzustellen, dass eine flächendeckende Arzneimittelversorgung durch Personen "aus Fleisch und Blut" erfolgt, die für ihr Tun adäquat ausgebildet und vor allem persönlich und ortsnah verantwortlich sind.

Tisch:

... und dass das wirtschaftliche Eigentum und die professionelle pharmazeutische Verantwortung in einer Hand liegen und nicht dergestalt auseinander laufen, dass ein kaufmännischer Geschäftsführer bzw. ein Vorstand Zielvorgaben zu Investment, Umsatzrendite oder dergleichen macht, die dann ein angestellter Apotheker zu erfüllen hat – so ähnlich, wie das der Filialleiter eines Großmarktes für seine Filiale tun muss.

DAZ:

Herr Dr. Dechamps, Herr Tisch, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Landgericht Saarbrücken hat am 9. August den Eilantrag einer Apothekerin auf Schließung der Saarbrücker DocMorris-Filiale abgewiesen. Damit bleibt die Filiale der niederländischen AG zunächst weiterhin geöffnet. Doch die gerichtlichen Ausein–andersetzungen stehen erst am Anfang. Die DAZ sprach mit dem ABDA-Justitiar und dem Prozessvertreter.

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