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Fortbildung
Palliativmedizin: Ein schützender Mantel am Ende des Lebens
"Jetzt kann ich nichts mehr für Sie tun." Dieser Satz, den viele Krebspatienten nach erfolgloser Behandlung von ihrem Arzt hören, ist für sie äußerst niederschmetternd. Sie fühlen sich dann etwa so, als ob sie in ein tiefes Loch fallen. Während Patienten früher nach Versagen der ärztlichen Hilfe Trost in der Religion suchten und fanden, erwarten sie heute bis zur letzten Lebensstunde ärztlichen Beistand, und wenn sie den nicht bekommen, wenden sie sich in ihrer Verzweiflung nicht selten an unseriöse Heiler.
Dem erweiterten Anspruch, den die Patienten heute an die Ärzte stellen, werden viele von ihnen nicht gerecht, zumal sie in ihrer Ausbildung nicht darauf vorbereitet werden. Doch hat die Medizin als ganzes diese Herausforderung aufgegriffen, indem sie die Fachrichtung der Palliativmedizin geschaffen hat.
Nach 20 Jahren 100 Stationen
1983 wurde in einem Kölner Krankenhaus die erste Palliativstation Deutschlands errichtet, zehn Jahre später unterhielt jedes Bundesland mindestens eine Palliativstation, und heute gibt es insgesamt ungefähr hundert Palliativstationen in Krankenhäusern der Bundesrepublik. Allerdings ist deren weitere Entwicklung ungewiss. Sie hängt wesentlich davon ab, wie die Öffentlichkeit und die Gesundheitspolitiker zu diesen Einrichtungen stehen und ob es gelingt, die Palliativmedizin in die rationale – und damit erstattungsfähige – Medizin zu integrieren oder zumindest als deren unverzichtbare Ergänzung zu positionieren.
"Sterben ist einsam und macht einsam."
Dr. Elisabeth Bürger
In der Öffentlichkeit ist die Palliativmedizin weitgehend unbekannt. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass – repräsentativen Umfragen zufolge – 60 bis 80% der Bevölkerung für den Fall, dass sie unheilbar erkranken und einem großen Leidensdruck ausgesetzt sind, die aktive Sterbehilfe befürworten. Dieser Wunsch bleibt ihnen zwar in der Regel aus juristischen Gründen versagt, aber sie können schriftlich festlegen, dass bei ihnen intensivmedizinische lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, was der Arzt dann respektieren muss. Solche Patientenverfügungen können allerdings auch bestimmte palliativmedizinische Maßnahmen verhindern. Dies ist den Betroffenen meistens nicht bewusst, weil sie die Möglichkeiten der Palliativmedizin nicht kennen.
Aufgaben der Palliativmedizin
Die palliativmedizinische Behandlung dauert bei den meisten Patienten länger als ein Jahr. Sie ist also viel mehr als eine Sterbebegleitung. Im Idealfall beginnt die palliative Behandlung nicht irgendwann nach Beendigung der kurativen Behandlung, sondern es gibt einen fließenden Übergang. Schon der Krebspatient, der potenziell heilbar ist, sollte lernen, mit der Krankheit zu leben, da er sie möglicherweise bis zu seinem Tod nicht mehr loswird. Er sollte eine persönliche Beziehung zu einem Arzt aufbauen, der auch dann noch für ihn da ist, wenn er im engeren Sinne "nichts mehr für ihn tun kann".
Wenn kurative Maßnahmen nicht mehr sinnvoll erscheinen, wird der Patient rein symptomatisch behandelt und supportiv betreut. Alle Anstrengungen richten sich nun darauf, die Lebensqualität zu erhalten, ein relatives und zugleich realistisches Ziel, weil mit fortschreitender Krankheit die Ansprüche an das Leben naturgemäß abnehmen. Da nun die Entlassung des Patienten nach Hause und seine Aufnahme auf Station mehrmals miteinander wechseln, ist auf eine möglichst enge Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Betreuung zu achten, an der auch der Apotheker als Ansprechpartner des Patienten mitwirken kann. Der Patient soll wissen, dass er auch zu Hause jederzeit medizinische Hilfe im Rahmen des Möglichen erwarten kann. Er soll das Gefühl haben, von einem schützenden Mantel umgeben zu sein. Wichtig ist es, die Angehörigen des Patienten mitzubetreuen, denn von ihrem Zustand hängt es ab, wie gut es dem Patienten zu Hause geht.
"Morphin, richtig eingesetzt, ist das beste Schmerzmittel."
Dr. Elisabeth Bürger
Die Aufgaben der Palliativmedizin sind vielfältig. Am wichtigsten ist zweifellos eine von Fall zu Fall angemessene Schmerztherapie, wobei frühere Vorurteile über das Suchtpotenzial von Betäubungsmitteln unbegründet sind. Bei besonders schweren Tumorschmerzen kann Morphin sogar in einer Dosis von 800 mg i.v. verabreicht werden. Auch bestimmte intensivmedizinische Maßnahmen wie z. B. eine Tracheotomie können unter Umständen die Lebensqualität des Patienten verbessern und folglich palliativmedizinisch indiziert sein.
Die Betreuung geht über den rein medizinischen Bereich hinaus und umfasst auch die angemessene Ernährung, die Krankengymnastik, die psychologische Betreuung sowie Kunst- und Musiktherapie. Dabei sind die individuellen Wünsche des Patienten zu berücksichtigen. Denn der Patient will bis zuletzt als individuelles Subjekt wahrgenommen und respektiert werden.
Wie geht es weiter?
Etwa 70% aller Krebspatienten sind ein Fall für eine palliativmedizinische Behandlung. Angesichts dieses hohen Prozentsatzes sollte die Gesellschaft öffentlich diskutieren, ob sie die oben skizzierte Behandlung zu Lasten der GKV befürwortet und bereit ist, dafür die Kosten aufzubringen, oder nicht. Denn bei der fortschreitenden Katalogisierung aller für die Krankenversicherten erbrachten Leistungen und der Erstellung strukturierter Behandlungsprogramme entscheidet sich auch, ob die Palliativmedizin im zukünftigen Leistungsspektrum der GKV einen Platz hat oder nicht. Der öffentlichen Diskussion muss jedoch eine umfassende Information über die Leistungen der Palliativmedizin vorausgehen.
Dr. Wolfgang Caesar
Quelle:
„Palliativmedizin – Chancen und Grenzen“, Vortrag von Oberärztin Dr. Elisabeth Bürger, Stuttgart, auf einer Fortbildungsveranstaltung von IntegraCare e.V. am 9. Dezember 2004 in Stuttgart.
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