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Arzneimittel und Therapie
ADH-Analogon gegen nächtliche Polyurie: Ungestört in Morpheus Armen
Zwei Drittel des Harns werden während des Tages produziert, ein Drittel in den Nachtstunden. Eine erhöhte Produktion des antidiuretischen Hormons (ADH) führt nachts zu einer vermehrten Rückresorption von Wasser aus dem distalen Tubulus und damit zu einer geringeren Ausscheidung. Der Nachtschlaf ist gesichert. Wird mehr als ein Drittel des Harns nachts produziert, spricht man von nächtlicher Polyurie. Die Folge: eine unangenehme Nykturie, die den Schlafenden nachts aus seinen Träumen reißt.
Eine österreichische Studie zeigte, dass Inzidenz und Schweregrad der Nykturie ab dem vierzigsten Lebensjahr mit jeder Dekade konstant zunehmen. So stehen nur 3% der unter 30-Jährigen zwei oder mehrmals auf um auf die Toilette zu gehen. In der Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen sind es schon 30% und bei den über 70-Jährigen 40%. 60% der Männer und Frauen fühlen sich durch die Nykturie in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Außerdem gilt das nächtliche Aufstehen als signifikanter Risikofaktor für Stürze, die gerade bei Älteren weitreichende Folgen haben können.
Nach Nykturie fragen
Ältere Menschen sollten daher zwingend danach gefragt werden, ob sie nachts mehrmals zur Toilette müssen. Ist das der Fall und fühlen sie sich in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt, muss der Sache nachgegangen werden. Fragen zur Dauer der Beschwerden, zum Gefühl der unvollständigen Blasenentleerung und zu Anhaltspunkten für Diabetes, Herz- oder Nierenerkrankungen oder neurologische Störungen führen zunächst weiter.
Als entscheidendes diagnostisches Instrument zur Differentialdiagnose dient das Blasenentleerungsprotokoll: Der Patient zeichnet über 48 Stunden die Zeitpunkte der Blasenentleerung und die Harnmenge auf. Werden innerhalb von 24 Stunden mehr als 2,8 Liter Harn ausgeschieden, liegt eine Polyurie vor. Wird mehr als ein Drittel der 24-Stunden-Harnmenge in der Nacht produziert, handelt es sich um eine nächtliche Polyurie. Werden gehäuft kleinere Harnmengen entleert, ist von einer verminderten Blasenkapazität oder einer hyperaktiven Blase auszugehen. Abzugrenzen von der Nykturie ist nächtliches Wasserlassen von Patienten, die aufgrund anderweitig bedingter Schlafstörungen nachts "zum Zeitvertreib" zur Toilette gehen.
"Große abendliche Trinkmengen sind eine in ihrer Häufigkeit unterschätzte Ursache der Nykturie."
Prof. Dr. Helmut Madersbacher, Innsbruck
An erster Stelle: Ursachenforschung und deren Beseitigung
Wird eine nächtliche Polyurie als Ursache der Nykturie diagnostiziert, gilt es zuerst abwendbare Ursachen zu erkennen und zu beseitigen. Dazu gehören kardiale Rekompensation, bei venösen Stauungszuständen Stützstrümpfe und Hochlagern der Beine. Diuretika können am frühen Nachmittag gegeben werden, um die Harnausscheidung in die frühen Abendstunden zu verlegen. Liegt ein Diabetes vor, sollte die Therapie überprüft werden, bei Verdacht auf ein obstruktives Schlafapnoesyndrom sollte der Patient an ein Schlaflabor überwiesen werden.
Einfach verändern lässt sich das Trinkverhalten: Denn häufig sind große Trinkmengen am Abend ursächlich für die Nykturie. Persistiert die Nykturie dennoch oder liegt ein direkter Verdacht auf nächtlichen ADH-Mangel vor, kann die Gabe von Desmopressin versucht werden.
Nächtliche Urinproduktion bremsen
Unter Enuresis (Einnässen) versteht man das unfreiwillige Verlieren von Urin in der Nacht (nocturna) oder am Tag (diurna). Als eine Ursache für das Bettnässen gilt die verminderte Produktion des antidiuretischen Hormons (ADH), das normalerweise in der Nacht die Harnproduktion einschränkt.
Zur Behandlung wird häufig Desmopressin (DDAVP, Desmogalen, Minirin®, Nocutil®) eingesetzt. Desmopressin ist ein synthetisches Analogon zum natürlichen, humanen L-Arginin-Vasopressin und unterscheidet sich von diesem formal dadurch, dass die Aminogruppe des Cysteins in Position 1 entfernt und das L-Arginin durch das stereoisomere D-Arginin ausgetauscht ist. Durch diese Veränderungen geht die vasopressorische Wirkung des Moleküls weitgehend verloren, während die antidiuretische Wirkung um ein Vielfaches gesteigert und prolongiert wird.
Desmopressin erhöht in den distalen Nierentubuli und den Sammelrohren der Niere die Permeabilität für Wasser und damit die Wasserrückresorption aus dem Primärharn. Die orale Gabe von 0,2 mg Desmopressin Tabletten führt zu einem antidiuretischen Effekt von ca. acht Stunden Dauer, wobei erhebliche inter- und intra-individuelle Unterschiede möglich sind.
Das Anwendungsgebiet für Desmopressin wurde jetzt um die Indikation nächtliche Polyurie erweitert. Bisher war Desmopressin zugelassen
- zur Behandlung der Enuresis nocturna (unwillkürliches Harnlassen während der Nacht) – im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes, wie z. B. bei Versagen anderer nicht medikamentöser Therapiemaßnahmen oder bei Indikation für eine medikamentöse Therapie, - verursacht durch nächtlichen ADH-Mangel
- zur Behandlung von Polyurie und Polydipsie bei Vorliegen eines passageren ADH-Mangels unterschiedlicher Genese;
- bei zentralem Diabetes insipidus
Mit Desmopressin den ADH-Mangel kompensieren
Die Therapie mit dem ADH-Analogon Desmopressin (Minirin®) basiert auf der Überlegung, dass der zirkadiane Rhythmus der ADH-Ausschüttung bei Nykturie möglicherweise gestört ist und es nachts vorübergehend zu einem ADH-Mangel kommt. Dadurch wird weniger Wasser aus dem distalen Tubulus rückresorbiert. Bei kindlichem Bettnässen lässt sich der nächtliche ADH-Mangel nachweislich durch Desmopressin kompensieren. Klinische Studien zeigen die Wirksamkeit des ADH-Analogons auch bei erwachsenen Männern und Frauen.
In einer Doppelblindstudie wurden 144 Frauen mit einem Mindestalter von 18 Jahren wegen einer Nykturie entweder mit Desmopressin oder Plazebo behandelt. Unter Verum ging die Zahl der nächtlichen Toilettengänge von 2,9 auf 1,6 um 46% zurück, unter Plazebo von 2,9 auf 2,4 um 17%. Die Dauer des ersten Schlafintervalls verlängerte sich um 130 Minuten auf 272 Minuten, unter Plazebo um 37 Minuten auf 181 Minuten. Diese Differenz von 93 Minuten war statistisch signifikant. Zudem hatten 33% gegenüber 6% mehr als fünf Stunden ungestörten Schlaf. Eine zweite Doppelblindstudie bestätigte, dass Männer in ähnlicher Weise profitieren.
Nicht für jeden!
Doch nicht alle Patienten können von diesem Therapieprinzip profitieren. So soll Patienten über 65 Jahre wegen des ansteigenden kardialen Risikos die Einnahme nicht empfohlen werden. Sollte es dennoch verordnet werden, müssen die Serum-Natriumspiegel engmaschig kontrolliert werden. Auf keinen Fall behandelt werden sollten Patienten mit Polydipsie, Hyponaträmie oder mit einem Herzinfarkt innerhalb der letzten sechs Monate. Als Kontraindikation gelten auch andere Herzerkrankungen sowie ein unbehandelter Hypertonus.
Dr. Beate Fessler, München
Quelle
Prof. Dr. Helmut Madersbacher, Innsbruck; Dr. Daniela Marschall Kehrel, Oberursel: Pressegespräch „Tagaktiv – statt nachtaktiv: Nächtliche Polyurie wirksam behandeln“, München, 3. September 2004, veranstaltet von der Ferring Arzneimittel
GmbH, Kiel.
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