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DAZ aktuell
Pieck rät zu Vorbereitungen für eine Systemöffnung
Pieck diagnostizierte einen parteiübergreifenden politischen und gesellschaftlichen Mainstream, das Apothekenwesen zu liberalisieren und den unlimitierten Fremd- und Mehrbesitz zuzulassen. Es sei offen, ob die Standespolitik diese Entwicklung aufhalten könne. Aufgrund von Äußerungen aus der Regierungskoalition sei sogar eine kurzfristige Änderung noch in dieser Legislaturperiode vorstellbar, zumal die Aussagen des Bundeskanzlers zu den Apotheken in jüngster Zeit drängender geworden seien.
Außerdem habe Dr. Gerhard Schorn aus dem Gesundheitsministerium schon bei einer Euroforum-Veranstaltung im November 2003 in München gesagt, der limitierte Mehrbesitz sei nur die abgeschwächte Dosis des Geplanten, weil "Ulla Schmidt ein Herz für die 50 bis 60jährigen Apotheker hat". Eine ähnliche Einschätzung habe auch ABDA-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Rainer Braun erkennen lassen, als er seinen diesjährigen Geschäftsbericht mit "GMG als Zwischenstation" betitelte.
Seine Ausführungen wollte Pieck als vorurteilsfreie Darlegung der Situation und nicht als Kritik an der ABDA verstanden wissen. Er identifiziere sich nicht mit den erwarteten Änderungen und wolle auch nichts herbeireden, aber die Apotheker hätten Anspruch auf offene Worte, um sich auf die Zukunft vorbereiten zu können. Dies wecke auch keine "schlafenden Hunde", denn "die Hunde sind bereits hellwach", meinte Pieck.
Filialapotheken eröffnen Fremd- und Mehrbesitz
Es sei berufspolitisch legitim, die Filialapotheken nicht als Mehrbesitz, sondern als "freiberuflichen closed shop" darzustellen. Doch enthalte das Gesetz keine persönliche Verpflichtung des Erlaubnisinhabers gegenüber der Filiale. Der Hauptapotheker habe keine anderen Funktionen als der Erlaubnisinhaber einer Krankenhausapotheke. Daraus würden nahezu alle Juristen folgern, dass diese Position auch vom berufsfremden Inhaber einer Kette eingenommen werden könnte.
Er wisse nicht, ob schon diesbezügliche Klagen anhängig seien, aber die in der Welt am Sonntag vom Chef der dm-Drogeriemärkte angekündigten Musterprozesse müsse man äußerst ernst nehmen. Im schlimmsten Fall müssten dann die Gesetze ohne Anpassungsfrist sofort geändert werden, wie 1958 nach dem Urteil zur Niederlassungsfreiheit. Somit sei die Situation ernster als dies vielfach in der Berufsöffentlichkeit wahrgenommen und in der Fachpresse dargestellt werde.
Neue Regeln höhlen das System aus
Der Versandhandel sei nicht wegen des angeblichen Einsparpotentials eingeführt worden, sondern diene als politisches Mittel, um das bestehende System aufzubrechen. Die fehlende Wettbewerbsgleichheit zwischen deutschen und ausländischen Versandapotheken aufgrund der nur national wirksamen Preisbindung erhöhe den politischen Druck auf den Gesetzgeber. Weitere Probleme würden sich aus der kürzlich vorgeschlagenen detaillierten Verordnung zur Durchführung des Versandhandels ergeben, die auch den werblich angepriesenen Botendienst umfasse. Die perfektionistischen Regelungen, die tendenziell nur Großbetriebe erfüllen könnten, stünden im Widerspruch zur sonst angestrebten Wettbewerbsfreiheit.
Aufgrund der geplanten Neuregelungen der Krankenhausversorgung würde die Krankenhauspharmazie zur "Papierpharmazie" schrumpfen. Dann wären nur noch Krankenhausapotheker, aber nicht versorgende Offizinapotheker zur Beratung in Krankenhäusern verpflichtet. Logistik und pharmazeutische Leistung würden voneinander getrennt, so wie die Politik sich auch im übrigen Apothekenwesen auf Regelungen zur Logistik und zur Produktsicherheit der Arzneimittel beschränke, aber kaum Interesse an der Beratung zeige.
Auch in der neuen Preisbildung sieht Pieck keinen Beitrag zum Erhalt des Systems. Stattdessen erhöhe der geringe Preiswettbewerb bei den jetzt frei kalkulierbaren OTC-Arzneimitteln den politischen Druck zur Abschaffung der Apothekenpflicht. Außerdem könne der Fixzuschlag nun – im Unterschied zur alten Regelung – technisch sehr einfach gesenkt werden, führe zu großen Problemen bei der Ermittlung angemessener Pachtzinsen und mache umsatzabhängige Kammerbeiträge rechtlich bedenklich.
Politiker glauben an Ketten
Pieck ließ offen, ob eine Systemöffnung eher auf juristischem oder auf politischem Weg zu erwarten sei, denn dies sei Teil einer umfassenden gesellschaftlichen Entwicklung. Die verantwortlichen Politiker würden nicht bewusst die Zerstörung der Apotheken planen, sondern glaubten, das System liberalisieren zu können, ohne die Funktion und die Qualität der Versorgung zu gefährden. Interessierte Kreise hätten die Politiker überzeugt, dass Ketten gerade durch ihre Uniformierung ein Minimum an standardisierter Versorgung sicherstellen könnten, auch wenn sie nicht die Individualität engagierter Freiberufler bieten.
Die ABDA behaupte dagegen einen Qualitätsvorteil für das freiberufliche System, der in der Praxis bewiesen werden müsse. Die Politiker würden ihre Einschätzung an der vermeintlichen oder tatsächlichen Wirklichkeit in den Apotheken ausrichten. Dabei könnten die immer wieder produzierten negativen Ergebnisse von Testkäufen trotz der fehlenden Repräsentanz nicht einfach als unrichtig dargestellt werden. Das bestehende System sei daher nur durch erlebbare Leistungen in den Apotheken zu verteidigen.
Reaktionen der Betroffenen
Die Marktbeteiligten würden sich aber auf eine Systemöffnung vorbereiten. Die Pharmagroßhändler sind nach Einschätzung von Pieck die einzigen Verbündeten der Apotheken und wollten keine Systemänderungen, aber auch sie müssten Vorbereitungen treffen. Einkaufsmärkte und Kaufhäuser würden zumeist nur noch Mietverträge für Apotheken über fünf Jahre abschließen, um sich den Zugriff auf die Räume für einen möglichen künftigen Eigenbetrieb zu sichern. Doch werde eine solche Liberalisierung weder das Ende der praktischen Pharmazie noch der freiberuflichen Apotheken sein. Ein großer Teil der privaten Apotheken werde weiter existieren. Die Apotheken würden sich weiterhin nach Lage und Leistung, aber nicht nach Betriebsformen differenzieren.
Konsequenzen für Apotheker und Verbände
Als Konsequenz aus seiner Analyse rät Pieck jedem einzelnen Apothekeninhaber, sich selbst Rechenschaft über seine Berufs- und Lebensplanung zu geben und die ökonomische Situation der Apotheke zu prüfen. Die Verbandspolitik stehe vor der Frage, zu mauern oder eine politisch gewollte Entwicklung mitzugestalten. Er selbst sei lange Teil eines Systems gewesen, das durch Bremsen erfolgreich war, doch habe sich die politische Situation nach seiner Einschätzung grundlegend geändert.
Versuche von Verhindern und Bremsen als verbandspolitische Maxime seien sinnvoll und sogar geboten, wenn dafür eine echte Chance bestehe, weil jedes Jahr im Erfolgsfall ein gewonnenes Jahr sei. Doch schätze er die gesellschaftspolitische Situation jetzt so ein, dass das "Mitgestalten, in das man dann auch noch in vielfältiger Weise die Interessen der selbstständigen Apotheker einbringen kann", das Mittel der Wahl sei. "Nicht Larmoyanz und Fatalismus, sondern Nüchternheit und ein gehöriges Stück Mut, vielleicht auch Wagemut, sind das Gebot der Stunde", meinte Pieck.
Die Reglementierung als "Nachklang" des 1958 abgeschafften Konzessionssystems ginge nun augenscheinlich zu Ende, so dass man nun nicht mehr ausschließlich in diesen Kategorien denken sollte. Die entscheidende Wende ist für Pieck durch die 1996 ergangenen höchstrichterlichen Urteile zur Apothekenwerbung markiert worden, die einen neuen juristischen Mainstream repräsentieren würden.
Er registriere ein sehr großes Maß an Entschlossenheit zur Veränderung und innerer Distanz zum bisherigen System. Dennoch sei ihm nicht bange, weil die Politik den Apotheker und die Apotheke für die Arzneimittelversorgung brauche. "Manchen Politikern mag man persönlich nicht trauen", meinte Pieck, aber er glaube weiterhin "an ein Minimum von Vernunft und Verantwortung in der deutschen Gesundheitspolitik gegenüber den Apotheken", womit er seiner skeptischen, teilweise bedrohlich erscheinenden Analyse einen zuversichtlichen Akzent verlieh.
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