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Aus der Hochschule
Phoenix Pharmazie-Wissenschaftspreis: Anerkennung für Spitzenforschung
Als Leiter der Jury konstatierte Prof. Dr. Jörg Kreuter, Frankfurt, dass es immer schwerer falle, an deutschen Universitäten Spitzenforschung zu treiben. Im Vergleich mit renommierten amerikanischen Universitäten, aber auch mit der ETH Zürich sei die finanzielle Lage katastrophal. Dennoch seien alle für die Bewerbung um die Preise eingereichten Arbeiten – also auch die nicht prämierten – qualitativ hochwertig gewesen.
Proteus-Agonisten – scheinbar paradoxe Wirkstoffe
Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Holger Stark, Universität Frankfurt, erhielt den Preis im Fach Pharmazeutische Chemie für ihre Forschungen über den Proteus-Agonismus. Das Prinzip ist nach dem Griechischen Meeresgott Proteus, der sich in jede beliebige Gestalt verwandeln konnte, benannt und drückt die potenziell unterschiedliche Wirkung identischer Wirkstoffe an identischen Rezeptoren aus.
Während man früher davon ausging, dass ein Rezeptor entweder aktiv oder inaktiv ist, unterscheidet man heute Aktivitäten verschiedener Intensität mit fließenden Übergängen. In den Extremfällen verhalten sich die Liganden eines Rezeptors als Agonisten bzw. als inverse Agonisten, das heißt: Die Wirkung des Transmitters bzw. genau das Gegenteils davon tritt ein. In der Mitte liegen die neutralen Antagonisten, die sowohl die Agonisten als auch die inversen Agonisten hemmen, ohne ihrerseits eine Wirkung auszuüben.
Nach heutigem Kenntnisstand hat jeder Rezeptor eine basale Aktivität, die irgendwo zwischen den beiden Extremen angesiedelt sein kann, aber für verschiedene Organismen und deren Organe spezifisch ist und deshalb auch als konstitutive Aktivität bezeichnet wird.
Am Beispiel von Proxyfan, einem mit Histamin strukturverwandten Imidazolderivat, das eine hohe Affinität zum H3-Subtyp des Histaminrezeptors aufweist, haben Stark und seine Arbeitsgruppe den Proteus-Agonismus erforscht. Im Prinzip ist Proxyfan ein neutraler Antagonist. Da die basale Aktivität des H3-Rezeptors aber nicht genau in der Mitte des Aktivitätsspektrums liegt, sondern von Fall zu Fall in Richtung auf das eine oder das andere Extrem verschoben ist, entfaltet Proxyfan auch von Fall zu Fall unterschiedliche Wirkungen. So wirkt es bei der Maus schlafhemmend, bei der Katze hingegen schlaffördernd.
Der Proteus-Agonismus dürfte auch in vielen anderen Arzneistoffklassen nachweisbar sein. Vermutlich ist er für viele paradoxe Arzneimittelreaktionen verantwortlich, die sich bislang nicht erklären lassen. Der Preisträger Stark verglich das Phänomen mit der Büchse der Pandora, in der Gaben mit entgegengesetzten Eigenschaften verborgen sind [1].
Neue maßgeschneiderte Antibiotika
Im Fach Pharmazeutische Biologie wurde die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Lutz Heide, Tübingen, für ihre Forschungen zur Biosynthese von Aminocumarin-Antibiotika ausgezeichnet. Als erster Vertreter dieser Strukturklasse, deren Wirkung auf der Hemmung des Bakterienenzyms Gyrase beruht (Gyrasehemmer), ist Novobiocin (Albamycin®) in den USA zugelassen worden; aufgrund der zunehmenden Resistenz der Bakterien gegen die etablierten Antibiotika richten sich jedoch große Hoffnungen auf neue Wirkstoffe.
Aminocumarin-Antibiotika werden von Bakterien der Gattung Streptomyces synthetisiert. Will man die Substanzen partiell abwandeln, ist es geschickt, nicht beim bereits fertigen Produkt anzusetzen, sondern in die Biosynthese selbst einzugreifen. Dazu ist es erforderlich, die daran beteiligten Enzyme und die für deren Synthese verantwortlichen Gene zu kennen.
Eine pharmakophore Struktur am Clorobiocin-Molekül ist ein Aromat mit einem Prenylrest. Dieser wird bei der Biosynthese durch die Prenyltransferase cloQ angefügt; cloQ ist im Gegensatz zu anderen Syntheseenzymen, die membrangebunden sind, ein lösliches Protein und bietet daher Vorteile bei der biotechnologischen Arzneistoffproduktion. Heide und Mitarbeiter haben das cloQ-codierende Gen identifiziert und in E. coli überexprimiert, sodass cloQ für die Synthese verschiedenartiger prenylierter Aminocumarine zur Verfügung steht. In-vitro-Untersuchungen zeigten bereits, dass einige dieser neuen Substanzen in ihrer antibiotischen Wirkung das Vorbild Clorobiocin übertreffen [2].
Bessere Knochenheilung durch IGF-1
Prof. Dr. Hans P. Merkle von der ETH Zürich und seine Arbeitsgruppe erhielten den Preis im Fach Pharmazeutische Technologie für ihre Forschungen zur Therapie von Knochenfrakturen. Ein Knochenbruch heilt in etwa neun Zehntel aller Fälle gut und schnell. Woran liegt es, dass der Heilungsprozess bei dem restlichen Zehntel unbefriedigend ist?
Eine Schlüsselsubstanz der Knochenheilung ist der Insulin-ähnliche Wachstumsfaktor 1 (IGF-1). Er stimuliert das Wachstumshormon (GH), das die Differenzierung und Proliferation von Zellen anregt, also von Chondrozyten und Osteoblasten im Knorpel bzw. Knochen, aber auch von fast allen anderen Zellen. Eine systemische Gabe von IGF-1 wäre daher mit dem großen Risiko behaftet Tumoren auszulösen, sie kommt deshalb bei Knochenfrakturen nicht in Betracht.
Als Technologen und Biopharmazeuten bewältigten Merkle und seine Mitarbeiter das Problem, indem sie IGF-1 in Mikrosphären verpackten, die nach lokaler Applikation im Knochen auf natürliche Weise abgebaut werden (Biodegradation) und dort den Wirkstoff freisetzen. Die Tests bei Versuchstieren verliefen zufriedenstellend: Es bildeten sich schnell Kallus und neues Knochengewebe. Auch mit dem Wirkmechanismus von IGF-1 hat sich die Forschungsgruppe befasst. Sie fanden, dass es inflammatorische Zytokine und Enzyme wie Interleukin-1≠, Interleukin-6 und COX-2 hemmt, die als Gegenspieler des Wachstumsfaktors fungieren [3].
Endothelprotektion durch ASS
Im Fach Pharmakologie wurden Dr. Nina Großer und Prof. Dr. Henning Schröder, Universität Halle, für Forschungen mit dem Jahrhundertmedikament Acetylsalicylsäure (ASS) ausgezeichnet. ASS hemmt die Thrombozytenaggregation und wird deshalb zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse eingesetzt. In Dosen von 75 bis 150 mg/Tag verabreicht, vermindert es die Anzahl der Ereignisse um etwa 30%. Ein weiterer, noch wenig bekannter Aspekt der kardiovaskulären Wirksamkeit von ASS ist seine Endothelprotektion.
Großer und Schröder fanden bei In-vitro-Versuchen, dass Zellen des Gefäßendothels den oxidativen Stress durch das Superoxid-Anion und Wasserstoffperoxid besser überstehen, wenn sie mit ASS vorbehandelt wurden; diese Effekte waren konzentrationsabhängig. Nachdem der Befund feststand, begann die Suche nach dem Wirkmechanismus. Die Vermutung, dass es sich um ein COX-Hemmung handelt, erwies sich als falsch, weil andere COX-Hemmer wie Salicylsäure, Indometacin und Diclofenac nicht endothelprotektiv wirkten. Dagegen zeigte sich, dass die Wirkung mit einem Anstieg von Stickstoffmonoxid in den Endothelzellen einhergeht: ASS stimuliert konzentrationsabhängig die NO-Synthase, NO wiederum schützt das Endothel auf zweifache Weise:
- Durch Aktivierung der löslichen Guanylatcyclase (sGC) fördert es die Umwandlung von GTP in cGMP, worauf die Konzentrationen der Hämoxygenase-1 und – im Folgeschritt – des antioxidativ wirksamen Bilirubins ansteigen.
- NO lässt die Ferritin-Konzentration ansteigen und mindert dadurch die Konzentration von freiem Eisen, einem Faktor für die Bildung von Sauerstoffradikalen, im Blut.
Der Hypothese der NO-Stimulation wurde dadurch bekräftigt, dass der NO-Radikalfänger PTIO und der sGC-Inhibitor ODQ die beschriebene Schutzwirkung von ASS aufheben [4].
Dr. Wolfgang Caesar
Quelle:
Veranstaltung der Firma Phoenix Pharmahandel am 3. November im Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie der Universität Erlangen.
[1] Gbahou, F., et al.: Protean agonism at histamine H3 receptors in vitro and in vivo. Proc. Natl. Acad. Sci. 100, 11068 –11091 (2003).
[2] Pojer, F., et al.: CloQ, a prenyltransferase involved in clorobiocin biosynthesis. Proc. Natl. Acad. Sci. 100, 2316 – 2321 (2003).
[3] Meinel, L., et al.: Localized insuline-like growth factor I delivery to enhance new bone formation. Bone 33, 660 – 672 (2003).
[4] Grosser, N., Schröder, H.: Aspirin protects endothelial cells from oxidant damage via the nitric oxide-cGMP pathway. Arterioscl. Thromb. Vasc. Biol. 23, 1345 –1351 (2003).
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