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VFA-Mitgliederversammlung: Forschung ist die beste Medizin

BERLIN (ks). Die Arzneimittelforscher stehen vor großen Herausforderungen: Zwei Drittel aller bekannten Krankheiten sind nach wie vor nicht adäquat therapierbar. Während die Pharmaindustrie über schwierige Rahmenbedingungen für die Forschung in Deutschland klagt, wird der Branche umgekehrt nicht selten ein ausgeprägtes Profitdenken unterstellt, das sich zu wenig um echte Innovationen bemüht. Mit dem Slogan "Forschung ist die beste Medizin" wirbt derzeit der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) für ein besseres Bild der Pharmaunternehmen in der Öffentlichkeit. Dieses Motto bestimmte auch den öffentlichen Teil der diesjährigen VFA-Mitgliederversammlung am 1. Dezember in Berlin.

Für einen kurzweiligen Einstieg in den Abend sorgte der Philosoph Prof. Dr. Peter Sloterdijk. "Arzneimittel sind materialisierte Aufklärung" lautete seine These. Ausgehend vom berühmten Aufklärungsbegriff Immanuel Kants hält Sloterdijk im konkreten Fall jedoch eine jüngere Erklärung des Berliner Philosophen Ulrich Sonnemann für passender: Demnach ist Aufklärung ein "Unternehmen zur Sabotage des Schicksals".

Nach einer dritten Definition ist Aufklärung schlicht "Maschinenbau". So ging etwa Francis Bacon im 17. Jahrhundert davon aus, dass die Natur alles hervorbringt, alles "baut" – in dem Moment, da der Mensch fähig wird, dieses Geheimnis der Natur zu erkennen und umzusetzen, beginnt die Aufklärung. Auch heute noch sei der Maschinenbau ein großes Thema, erklärte Sloterdijk. Die Frage sei, wie Ärzte und Pharmazeuten am "Gesundheitsmaschinenbau" teil haben können. Während sich bei Mechanikern recht leicht erkennen lasse, ob ihre Arbeit Erfolg hat, ist dies bei Ärzten keine einfache Angelegenheit, gab der Philosoph zu bedenken.

Forscht weiter und seid erfolgreich

Sloterdijk warf einen Blick auf die historische Entwicklung des Arzneimittels. Die Anfänge waren eher mystisch und die Wirkung der Heilmethoden nach heutigen Maßstäben kaum erklärlich. Dennoch, so der Philosoph, sei der "Unterschied zwischen einem Medikament und einem Amulett" bis heute nicht abschließend geklärt. Noch im letzten Jahrhundert wurde etwa eine Ansicht vertreten, wonach die regelmäßige Einnahme einer Hostie das einzige Mittel ist, das einem leidenden Menschen helfen kann.

Dem Ansatz, eine Krankheit könne vertrieben werde, indem man ihr einen "Spiegel" vorhält, folgte im 18. und 19. Jahrhundert langsam die Auffassung, dass ein Heilmittel ein Antagonist sein müsse. Mit der Erforschung des "Reichs der Mikroben" besann man sich darauf, dass Heilmittel vor allem "unliebsame Gäste" im Organismus "rausschmeißen" sollten. Heute, so Sloterdijk würden Medikamente jedoch feiner definiert. Der Forschungsaufwand werde immer höher, und die Fortschritte dabei immer kleiner. Gleichzeitig wachse das Bewusstsein, wie fragil das Leben ist.

Weil es aber nicht mehr so schnell voran gehe, sei die Öffentlichkeit "nicht so richtig dankbar". Für Sloterdijk ist jedoch klar: In einer Welt, in der Krankheiten – neben Bin Laden – zu den letzten Feinden der Menschheit gehören, sind die Arzneimittelforscher die Maschinenbauer unserer Zeit. Für sie formuliert er folgenden noch bleibenden Imperativ: "Forscht weiter, seid erfolgreich – und seid es bald!"

 

Foto: DAZ/Sket
Arzneimittel sind Aufklärung so der Philosoph Sloterdijk.

Gute Wissenschaftler – aber zu viele Regulierungen

Nach dem philosophischen Auftakt diskutierten drei Experten über die häufig kritisierten Rahmenbedingungen der Arzneimittelforschung in Deutschland. Prof. Dr. Rudolf Balling, Wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung, warnte davor, den Standort Deutschland herunter zu reden. Dass die Qualität der wissenschaftlichen Forschung hoch ist, ließe sich schon daran erkennen, wie häufig deutsche Veröffentlichungen in Fachbeiträgen zitiert werden. Nach den USA und Großbritannien liege Deutschland bereits an dritter Stelle.

Der VFA-Vorsitzende Dr. Dr. Andreas Barner betonte, dass es hierzulande eine Reihe "hervorragender Einrichtungen" gebe – etwa das Robert Koch-Institut oder die Max-Planck-Gesellschaft. Hätte man die gleichen Mittel zur Verfügung wie etwa die USA, stünde man sicherlich an einem anderen Punkt. Prof. Dr. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank AG, kritisierte die deutsche Regulierungswut im Gesundheitsbereich. So sei Deutschland "Weltmeister in der Bildung von Technikfolgenabschätzungs-Kommissionen". Dies "sabotiere Anreize, zu neuen Ufer zu kommen". Hinter den vielfältigen Regulierungen mögen zwar "liebenswürdige Absichten" stecken – die Folgen seien jedoch "fatal", erklärte Walter.

Forscher-Nachwuchs gefragt

Alle drei Experten monierten, dass deutschen Universitäten zu wenig Geld zur Verfügung stehe. "Sie können sich daher nicht so professionell aufstellen wie Unternehmen", erklärte Balling. Es sei jedoch ein "Aufwachen zu spüren". Möglicherweise könne sich schon in fünf Jahren eine Trendwende zeigen. So habe etwa Großbritannien vorgemacht, dass wenig Investitionen zu einem sparsamen Umgang mit Ressourcen führen können, der letztlich mehr Innovation hervorbringt. Balling kritisierte auch die deutsche Sitte, guten Wissenschaftlern wenig zu zahlen. Barner fügte hinzu, dass es verständlich und gut sei, wenn junge Forscher für eine Weile im Ausland arbeiten. Die Frage sei allerdings, wie man die Besten wieder zurück holen könne.

Walter appellierte an die Wirtschaftspolitik "mehr Neugier und Offenheit" an den Tag zu legen. "Wir sind zu sehr behütete Werkstätte als freier Raum". Es müsse dringend dafür gesorgt werden, dass der Nachwuchs hierzulande nicht weiter schrumpft, während es im Rest der Welt immer mehr Forscher gebe. Deutschland müsse auch für zugewanderte Wissenschaftler ein guter Gastgeber sein, betonte Walter. Gerade jetzt, da die USA aus Angst vor dem Terror gegenüber vielen Zuwanderern dicht mache, müsse sich Deutschland öffnen.

Optimistischer Blick in die Zukunft

Um den Wissenschaftsstandort zu stärken, forderte Balling eine bessere Förderung der interdisziplinären Forschung. Deutschland zeichne sich vor allem durch seine guten Ingenieure aus. Statt sich auf Forschungsgebiete zu konzentrieren, die andere Nationen bereits für sich beanspruchen, sollte man sich auf die vorhandenen Stärken besinnen. So könnten Ingenieure gemeinsam mit Medizinern "von der Metall- zur Biomaschine eine Brücke schlagen". Weniger einig waren sich die Diskutanten bei der Bewertung des geltenden Patentrechts.

Walter gab zu bedenken, dass es dem Wunsch der Patienten widersprechen könnte, wenn Patentschutz als eine Einrichtung "sui generis" betrachtet wird. Wenn man schneller voran kommen wolle, müsse man die langen Patentlaufzeiten überdenken. Würde man die Schutzzeit verkürzen, dürften den Hersteller allerdings nicht so viele sonstige Belastungen aufgebürdet werden, wie es derzeit der Fall ist, räumte der Volkswirt ein. Barner hingegen machte deutlich, dass die bestehende Patentlaufzeit bereits "das Minimum dessen ist, das noch erlaubt, erfolgreich zu sein".

Gefragt nach einer Prognose für die kommenden fünf bis zehn Jahre zeigten sich Walter, Balling und Barner dennoch optimistisch. Der VFA-Vorsitzende verwies auf eine "gute Tugend" in Deutschland: "Wenn es uns richtig schlecht geht, fangen wir an etwas zu tun". Die Frage sei jedoch, ob es uns schon schlecht genug geht. Doch Barner ist zuversichtlich: "Das Wasser steht uns schon weit bis zu Hals – da passiert bald was!". Vor Konflikten scheuen sich die Arzneimittelhersteller jedenfalls nicht.

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