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Arzneimittel und Therapie
Multiple Sklerose: Dronabinol als Analgetikum
Ein hoher Prozentsatz der an multipler Sklerose (MS) erkrankten Patienten leidet unter akuten oder chronischen Schmerzen. So treten bei rund einem Drittel aller Patienten zentralnervös bedingte Schmerzen aufgrund sklerotischer Plaqueläsionen auf. Zur Linderung dieser Schmerzen werden normalerweise Antikonvulsiva, Antidepressiva oder Opioide eingesetzt. Nachdem Tierversuche gezeigt haben, dass Cannabinoide in der Lage sind, neuropathische, inflammatorische und tumorbedingte Schmerzen zu verringern, werden synthetische Cannabinoide auch in der Humanmedizin eingesetzt. In einer dänischen Studie wurde untersucht, ob das synthetische Delta-9-Tetrahydrocannabinol Dronabinol zentralnervös bedingte Schmerzen bei Patienten mit MS lindern kann.
Cannabis und MS
Was war bekannt?
- In Tierversuchen senken Cannabinoide neuropathische, inflammatorische und tumorbedingte Schmerzen.
- Es gibt nur wenig Evidenz-basierte Studien zur analgetischen Wirkung von Cannabinoiden beim Menschen.
- Es gibt Hinweise, dass Cannabinoide unspezifische Schmerzen bei MS lindern.
Was ist neu?
- Dronabinol senkt moderat, aber klinische relevant, zentralnervös bedingte Schmerzen bei MS-Patienten.
- Der Effekt ist vergleichbar mit anderen therapeutischen Maßnahmen.
- Bei Patienten, die nicht auf Antikonvulsiva, Antidepressiva oder Opioide ansprechen, ist ein Therapieversuch mit Dronabinol angezeigt.
Schmerzempfindung günstig beeinflusst
Für die randomisierte, doppelblinde und plazebokontrollierte Cross-over-Studie wurden 24 Patienten im Alter von 23 bis 55 Jahren ausgewählt, die aufgrund einer multiplen Sklerose an zentralnervös bedingten Schmerzen litten. Die Studienteilnehmer erhielten über einen Zeitraum von drei Wochen im Wechsel bis zu 10 mg Dronabinol täglich oder ein Plazebo. Zwischen den Behandlungsblöcken lag eine dreiwöchige Therapiepause. Der Gebrauch von Marihuana war einige Zeit vor und während der Studie untersagt. Der primäre Studienendpunkt war die spontane Schmerzintensität in der letzten Behandlungswoche. Sekundäre Studienendpunkte waren die Lebensqualität, die Empfindlichkeit gegenüber äußeren Schmerzreizen (z. B. Hitze, Kälte, Druck), die Intensität des ausstrahlenden Schmerzes, die Schmerzlinderung, die zusätzliche Einnahme von Paracetamol sowie die persönliche Beurteilung durch den Patienten.
Verkehrs- und verschreibungsfähig
Dronabinol oder Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) ist der Hauptinhaltsstoff der Hanfpflanze Cannabis sativa. In den USA ist Dronabinol als Handelspräparat (Marinol®) verfügbar, in Großbritannien, Irland und Kanada ist ein THC-Analogon (Nabilon, Cesamet®) als Antiemetikum zugelassen. Die Bayer AG plant die Einführung eines Cannabis-Sprays mit THC und Nabidiolex unter dem Markennamen Sativex®.
In Deutschland fällt Dronabinol als verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel unter das BtM-Gesetz, derzeit ist in Deutschland kein Fertigarzneimittel mit THC im Handel. Marinol® kann nach § 73 AMG importiert werden. Im NRF sind Vorschriften für die rezepturmäßige Herstellung von Dronabinol-Kapseln und -Tropfen aufgeführt (NRF 22.7 und 22.8).
Klinisch relevanter Benefit durch Dronabinol
In der dritten Therapiewoche war die spontane Schmerzintensität unter der Dronabinoleinnahme signifikant geringer als unter der Plazebotherapie. Die Beurteilung des Schmerzes nach einer zehn Punkte umfassenden Skala fiel von der Stärke 5 zu Studienbeginn auf die Stärke 4 ab, was einer Schmerzreduktion von etwa 20% entspricht. Die ebenfalls nach einem Score ermittelte allgemeine Schmerzlinderung war nach der Dronabinoltherapie ausgeprägter als nach der Plazebobehandlung. Die aufgrund dieser Daten berechnete NNT (Number needed to treat) für eine 50%ige Schmerzreduktion betrug 3,45. Im Hinblick auf die Lebensqualität konnten durch Dronabinol vor allem die mentale Verfassung und die körperliche Schmerzempfindung günstig beeinflusst werden.
Vor allem in der ersten Behandlungswoche klagten Patienten nach der Dronabinoleinnahme unter Benommenheit, Kopfschmerzen, Myalgien und Verwirrtheit. Diese unerwünschten Wirkungen waren meist passager und hatten sich am Ende der Studie gelegt.
Dr. Petra Jungmayr, Esslingen
Quelle
Svendsen K., et al.: Does the cannabinoid dronabinol reduce central pain in multiple sclerosis? Randomised double blind placebo controlled crossover trial. Brit. Med. J. 329, 253-257 (2004).
Watts G.: Science commentary: High hopes for cannabinoid analgesia. Brit. Med. J. 329, 257-258 (2004).
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