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Gesellschaft für Inkontinenzhilfe: Heraus aus der Tabuzone
Auf einer Presseveranstaltung im Rahmen des Kongresses war man sich darüber einig, dass die GIH seit ihrer Gründung im Jahre 1987 viel dafür getan hat, die Inkontinenz zu enttabuisieren. Nach Ansicht von Dr. Rainer Lange, Facharzt für spezielle operative Gynäkologie aus Alzey, ist die Arzt-Patienten-Beziehung bei dieser Erkrankung jedoch immer noch sehr problematisch, weil in vielen Fällen mit einer "doppelten Sprachlosigkeit" behaftet: Die Patienten wollen nicht über ihr Leiden reden, weil sie es als persönliches "Versagen" und nicht als Krankheit betrachten.
Die Ärzte haben auf diesem Gebiet meist erhebliche Wissenslücken, da es im Studium und in der Facharztweiterbildung zu kurz kommt und vor allem die Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch zwischen ambulanter und klinischer Behandlung unbefriedigend sind. Wichtige Ziele seien daher, die Aus- und Weiterbildung der Ärzte bezüglich Inkontinenz zu verbessern und die Patienten umfassend über diese Erkrankung aufzuklären.
Nicht nur ein Leiden des höheren Lebensalters
Gegenwärtig leiden in Deutschland etwa fünf Millionen Menschen an Harn- oder Stuhlinkontinenz. Davon sind mehr als zwei Millionen älter als 60 Jahre, das sind elf Prozent der Senioren. Bei den über 80-Jährigen sind es nahezu 30 Prozent. Den gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen in Deutschland entstehen durch die ambulante Pflege, Versorgung und Behandlung Inkontinenter jährlich Kosten von mehr als 1 Milliarde Euro. Inkontinenz ist jedoch nicht nur eine Erkrankung des höheren Lebensalters. Wie Dr. Ralf Tunn, Leiter der Abteilung für Urogynäkologie der Charit&eaute; Berlin, Campus Mitte, berichtete, leiden auch viele junge Menschen, vor allem Frauen, an einer mehr oder weniger ausgeprägten Inkontinenz. Als auslösende Faktoren gelten vor allem Schwangerschaft und Geburt. Prof. Dr. Hansjörg Melchior von der Klinik für Urologie des Klinikums Kassel betonte in diesem Zusammenhang, dass die Heilungs- oder Rehabilitationsaussichten umso größer seien, je früher die richtige Diagnose gestellt werde.
Stuhlinkontinenz – eine "peinliche" Krankheit
Noch weniger als die Harninkontinenz ist die Stuhlinkontinenz im öffentlichen Bewusstsein, da dieses Leiden als besonders "peinlich" gilt. Wie Dr. Michael Probst von der Chirurgischen Klinik des Klinikums Lippe-Lemgo feststellte, gibt es auch bei dieser Erkrankung zahlreiche Behandlungsmöglichkeiten, die jedoch häufig unterbleiben, weil der Betroffene aus einer – verständlichen – Scham heraus sich seinem Arzt nicht offenbart.
Prävention erheblich verbessern
Ein besonderes Augenmerk richten die Experten derzeit auf die Verbesserung der Prävention. So sei es wichtig, bereits in der Jugend das Bewusstsein für den eigenen Beckenboden zu schulen. Bei Frauen sei eine Konditionierung des Beckenbodens in und nach der Schwangerschaft dazu geeignet, einer Belastungsinkontinenz vorzubeugen. Auch durch die Vermeidung bzw. Reduktion von Übergewicht könne einer Inkontinenz vorgebeugt werden. Wie Professor Kurt Miller, geschäftsführender Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik der Charité Berlin, Campus Benjamin Franklin, ausführte, kann auch nach einer Prostata-Operation ein Beckenboden- und Schließmuskeltraining sehr sinnvoll sein.
Neue medikamentöse Therapieoption
Professor Klaus-Peter Jünemann, Direktor der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Kiel, erläuterte, dass für die verschiedenen Formen der Inkontinenz zahlreiche konservative und operative Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Große Hoffnungen setze man in die weltweit erste orale pharmakologische Behandlungsmöglichkeit der weiblichen Belastungsinkontinenz durch den Wirkstoff Duloxetin, mit dessen Markteinführung Ende 2004 gerechnet wird.
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