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- DAZ 30/2003
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Praxis
T. Müller-BohnFehlanwendungen von Arzneimitteln (Se
Diese Begebenheit wurde aus einer Apotheke in Aldenhoven berichtet. Selbstverständlich wurden der Stammkundin auch die anderen Arzneimittel erläutert, sodass sie zufrieden die Apotheke verlassen konnte.
In den vorigen Folgen dieser Serie wurden bereits zahlreiche Probleme im Zusammenhang mit der Verordnung und der Distribution von Arzneimitteln aufgezeigt. Als nächster Schritt des Versorgungsprozesses soll nun die Anwendung näher betrachtet werden. Auch auf dieser Ebene können Apotheken viel zur Arzneimittelsicherheit beitragen.
Die Arbeit endet nicht einmal, wenn die Kunden die Apotheke mit ihren Arzneimitteln bereits verlassen haben. Wie das Eingangsbeispiel zeigt, kommen sie manchmal auch wieder zurück. Alle hier dargestellten Beispiele wurden in Apotheken bei der alltäglichen Arbeit gesammelt[1].
Fehlerhafte Anwendungen erkennen ...
Vielfach wird über Anwendungsfehler berichtet, die im Gespräch mit den Kunden aufgedeckt werden. Offenbar ist die Realität noch kurioser als manche Fälle, die sich Apotheker in lockerer Runde zur Erheiterung erzählen. So wurde aus einer Apotheke in Düsseldorf über Zäpfchen berichtet, die gemeinsam mit ihrer Alu-Hülle eingeführt wurden.
In einer Apotheke in Duisburg stellte sich heraus, dass eine Kundin den Inhalt von Vitasprint® Trinkampullen zu sich nahm, ohne zuvor den Wirkstoff darin aufzulösen. Aus eigener Erfahrung kann der Autor der Serie über eine Apothekenkundin berichten, die ihrem Kind Zäpfchen in die Ohren steckte und sich über die fehlende Wirkung gegen Ohrenschmerzen wunderte.
Solche Missverständnisse können leicht zu ernsten Folgen führen, wie in einem Fall aus Willich, wo sich eine Patientin über die starke Wirkung, insbesondere das Schwindelgefühl, nach Einnahme von Adalat® retard Kapseln beklagte. Sie leerte die Retardkapseln stets aus und löste den Inhalt in Wasser auf, sodass der ganze Wirkstoff sofort ohne Retardeffekt zur Wirkung kam.
In einer Apotheke in Düren klagte eine ältere Dame über sehr starke Schmerzen. Durogesic® Pflaster waren daher sicher eine angemessene Verordnung, doch halfen die Pflaster nicht. Die Kundin berichtete, dass sie die Pflaster stets mit Leukoplast festklebt.
Demnach zog sie die Schutzhülle nicht ab. Der Wirkstoff konnte so nicht freigesetzt werden. Mit ihren "Rheuma-Fingern" konnte die Patientin die Schutzhülle aber kaum zuverlässig entfernen. Daraufhin wurde mit ihr vereinbart, alle drei Tage in die Apotheke zu kommen, wo ihr das Pflaster aufgeklebt wurde. So wurde die Patientin schmerzfrei.
Diese Beispiele zeigen, wie wichtig eine Anlaufstelle ist, bei der die Patienten auch nach der Arzneimittelabgabe Rat und Hilfe finden, wenn die Anwendung nicht gelingt oder nicht den gewünschten Erfolg bringt. Der nächste Arzttermin liegt oft erst in weiter Zukunft, zwischendurch ist ein Termin kaum zu bekommen oder mit erheblicher Wartezeit verbunden. Da liegt der Rat aus der Apotheke viel näher.
Manche Missverständnisse werden im Gespräch sogar eher zufällig aufgedeckt, da einige Patienten das Problem gar nicht wahrnehmen. Eine solche Leistung kann telefonisch keinesfalls erbracht werden, da die Patienten keinen Anlass für einen Anruf erkennen würden.
... oder vorzeitig verhindern
Die dargestellten Beispiele machen auch deutlich, an welche ungewöhnlichen Fehlanwendungen das Apothekenpersonal denken muss, um solche Fehler schon bei der abgabebegleitenden Beratung auszuschließen. Da auch die Phantasie von Apothekern nicht grenzenlos ist, kann dies nicht in jedem Fall gelingen. Die Möglichkeit zu einer nachträglichen Rückfrage ist daher für die Patienten unverzichtbar.
Doch sollte natürlich in der Apotheke versucht werden, bei der Abgabe möglichst alle Fehlerquellen zu bedenken und Anwendungsfehler damit zu verhindern. Dies ist eine mühsame Arbeit, die viel Einfühlungsvermögen erfordert, manchmal aber auch geradezu komisch sein kann, wie ein Beispiel aus der U.-Apotheke in Bonn zeigt:
Ein Patient legte dort ein Rezept über Betaisodona® Mundantiseptikum vor. Die ärztliche Gebrauchsanweisung gab den Hinweis, die Lösung vier zu eins zu verdünnen und damit den Mund zu spülen. Der Patient fragte, wie er das denn machen solle. Der Apotheker begann seine Erläuterung: "Nehmen Sie zum Beispiel ein Schnapsglas ..." – Der Patient unterbrach entsetzt: "Ich trinke keinen Alkohol." –
Der Apotheker startete einen neuen Versuch: "Dann nehmen Sie einen Eierbecher." – Wieder unterbrach der Patient: "Seit der Sache mit den Salmonellen esse ich keine Eier mehr." – Erneuter Versuch des Apothekers: "Aber Sie haben doch einen Esslöffel?!" – Auf dieser Grundlage konnte der Apotheker das weitere Vorgehen erläutern, und das Problem war gelöst.
In einer Apotheke in Siegburg holte ein Patient regelmäßig Atrovent® Inhalationslösung, aber stets ohne Kochsalzlösung. Es stellte sich heraus, dass er etwas Inhalationslösung in einen Pari-Boy® kippte und das Gerät kurz einschaltete. Nach der Erläuterung in der Apotheke benutzte er das Gerät zunächst richtig, einen Monat später verzichtete er aber darauf, weil es ihm zu aufwändig war. Die Verordnung konnte daraufhin eingespart werden.
In einer Apotheke in Alpen fiel eine klassische Doppelverordnung von zwei verschiedenen Oxybutynin-Präparaten auf. Im Abstand von wenigen Tagen wurden zunächst Tabletten zu 5 mg mit der Gebrauchsanweisung "3 mal täglich eine halbe Tablette" und dann Tabletten zu 2,5 mg ohne Gebrauchsanweisung verordnet.
Nachdem das Problem in der Apotheke schnell erkannt wurde, war es nur sehr mühsam möglich, der Patientin verständlich zu machen, dass sie erst jeweils eine halbe der höher dosierten Tabletten und nach Aufbrauchen dieser Packung jeweils eine ganze Tablette der zweiten Packung einnehmen sollte.
Rat in schwierigen Fällen
Sicher sind Beispiele mit besonders alten, gebrechlichen oder außergewöhnlich begriffsstutzigen Menschen sehr geeignet, um die große Bedeutung einer kompetenten Arzneimittelberatung von Angesicht zu Angesicht deutlich zu machen. Dies kann über Versand oder Telefon keinesfalls geleistet werden. Doch sollte nicht der Eindruck entstehen, die Apotheke sei nur für solche Fälle unverzichtbar.
Auch Patienten mit durchschnittlichem oder sogar gutem geistigem Aufnahmevermögen können angesichts der Komplexität mancher Arzneitherapien überfordert sein, wenn sie eben keine Experten auf diesem Gebiet sind. Die Probleme liegen hier allerdings auf einer anderen Ebene.
So erhielt ein Patient in einer Apotheke in Heimbach wegen einer chronisch obstruktiven allergischen Bronchitis Allergospasmin® und Pulmicort®. Zusätzlich wurde er wegen einer akuten Infektion behandelt. Er beklagte den schlechten Geschmack und die schlechte Wirkung der inhalativen Arzneimittel.
Es stellte sich heraus, dass der Patient stets zuerst Pulmicort® und dann Allergospasmin® anwendete. Ihm wurde empfohlen, zuerst Allergospasmin® einzusetzen, die bronchienerweiternde Wirkung abzuwarten und erst dann Pulmicort® zu nehmen. Gegen den schlechten Geschmack könnte zwischendurch der Mund ausgespült oder etwas gegessen werden.
Ein Marcumar®-Patient aus einer Apotheke in Bergneustadt erhielt vor einer Operation Fraxiparin®-Spritzen. Sein Arzt hatte ihm jedoch keine Angaben zur Anwendung oder Dosierung gemacht. Die nötigen Hinweise bekam er in der Apotheke.
Schnelle Hilfe vor Ort
Manchmal scheint bei der Abgabe in der Apotheke alles geklärt zu sein, doch können sich im Verlauf der Anwendung noch Fragen oder Probleme ergeben. So wird aus der bereits erwähnten Apotheke in Bergneustadt auch über einen Patienten berichtet, dessen Fraxodi®-Fertigspritze nicht funktionierte. Die Apotheke vermittelte eine Ersatzlieferung durch den Hersteller.
In einer Apotheke in Wesseling wunderte sich ein Patient über den veränderten Geschmack seines gewohnten Berodual®-Sprays. Ihm konnte versichert werden, dass die neue Zubereitung durch den Ersatz des FCKW-haltigen Treibgases anders schmeckt, sonst aber wie bisher zusammengesetzt ist.
Nicht nur Rat, sondern auch Tat
Allerdings reicht eine Beratung nicht immer aus, um die problemlose Anwendung sicherzustellen. Bei manchen Arzneimitteln sind auch technische Fertigkeiten in der Apotheke gefragt. Denn etliche Arzneimittel dürfen wegen begrenzter Haltbarkeit erst in den letzten Tagen vor der Anwendung in ihre gebrauchsfertige Form gebracht werden. Dabei müssen zumeist Wirkstoffpulver in einem Lösungsmittel gemischt werden.
Typische Beispiele sind antibiotikahaltige Säfte. Viele Patienten können diesen letzten Zubereitungsschritt nicht selbst ausführen oder haben Bedenken, dabei einen Fehler zu machen. Dann bietet sich die Apotheke als Lösung an.
Über einen weitaus problematischeren Fall der Anwendungsvorbereitung wurde aus einer Apotheke in Düsseldorf berichtet. Ein langjähriger Patient musste durch eine Magensonde ernährt werden. Die Familienangehörigen sollten seine Nahrung "sondengerecht" verabreichen, doch auch die zuvor oral genommenen Arzneimittel mussten so appliziert werden. Im Krankenhaus wurde der Tochter des Patienten einfach gesagt: "Ihre Apotheke macht das schon."
Der Arzt verordnete wie bisher Xanef® 10 mg mit der Gebrauchsanweisung "2 mal täglich eine halbe Tablette", obwohl eine Zubereitung mit 5 mg verfügbar ist. Insgesamt waren fünf verschiedene Arzneimittel sondengerecht zu verarbeiten. Sie mussten exakt geteilt, pulverisiert und in Einzeldosen verpackt werden. Dieser erhebliche Aufwand wurde nicht berechnet.
Grenzen der Hilfsmöglichkeiten
In manchen Fällen bleibt allerdings auch das Apothekenpersonal machtlos. Es kann dann nur feststellen, dass die vorgesehene Anwendung angesichts der Verordnung nicht durchführbar ist. Dies betrifft beispielsweise Importarzneimittel, wie in einem Fall, der bereits in der ersten Folge dieser Serie vorgestellt wurde. Die importierten Lasix® 500 waren nicht in der vorgesehenen Weise teilbar. Das Importprodukt war damit aufgrund eines technologischen Unterschiedes in diesem Anwendungsfall nicht als Ersatz für das Original geeignet.
In anderen Fällen sind Patienten über die ungewohnte Aufmachung von Importprodukten irritiert. Dann muss in Apotheken mühsame Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die Compliance zu sichern. Ob dieser Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zur Einsparung steht, bleibt dabei offen.
Aus einer Apotheke in Köln wurde über einen Fall berichtet, in dem die Patientin das Importprodukt irritiert zurückgab und nicht umzustimmen war. Bei dem importierten Insulin waren die Ampullen aus dem Blister herausgeschnitten, umetikettiert und wieder in den offenen Blister gelegt worden. Die Trägerin einer Insulinpumpe war nicht bereit, das Produkt anzuwenden.
Aus der Perspektive des Versorgungsprozesses ist auch dies ein Problem der Arzneimittelanwendung, da es durch das Zusammentreffen des Arzneimittels mit der individuellen Patientin in ihrer besonderen Anwendungssituation offenbar wird. Es macht wieder einmal deutlich, wie wichtig eine kompetente Beratungsmöglichkeit bei und auch nach der Abgabe von Arzneimitteln ist.
Arzneimittelsicherheit bei der Anwendung
Die inhaltlich sehr verschiedenen Beispiele in dieser Folge haben gezeigt, dass die Arzneimittelversorgung in der Realität keineswegs immer so einfach ist, wie sich beispielsweise Befürworter des Versandhandels dies vorstellen. Die öffentlichen Apotheken leisten auch auf der Ebene der Arzneimittelanwendung einen wesentlichen Beitrag für die Arzneimittelsicherheit. Die dabei auftretenden Probleme lassen sich im persönlichen Kontakt lösen, auch wenn manchmal viel Zeit und Mühe nötig sind. Per Telefon wäre dies aber in vielen Fällen aussichtslos.
Fußnote
[1] Aufgrund einer Initiative der Deutschen Apotheker Zeitung (siehe DAZ 29/2000) hatte der Apothekerverband Nordrhein seine Mitglieder aufgefordert, Ereignisse zu dokumentieren, die die Leistungen der Apotheken für die Arzneimittelsicherheit besonders verdeutlichen. Die Aktion des Apothekerverbandes trägt den Titel "Beratung durch die Apotheke – ökonomisch und gesundheitspolitisch unverzichtbar". Die hier vorgestellten Fälle bilden eine Auswahl aus dieser Dokumentation. Die ersten sechs Teile dieser Serie erschienen in DAZ 18, 20, 22, 24, 26 und 28.
Auch Patienten mit gutem geistigem Aufnahmevermögen können angesichts der Komplexität mancher Arzneitherapien überfordert sein.
Wenn Patienten über die ungewohnte Aufmachung von Importprodukten irritiert sind, muss in Apotheken mühsame Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die Compliance zu sichern. Ob dieser Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zur Einsparung steht?
Die hier vorgestellten Fälle gehen auf Meldungen nordrheinischer Apotheken zurück und wurden vom Apothekerverband Nordrhein gesammelt. Doch sicher lassen sich in manchen Apotheken anderswo in Deutschland ähnliche Erfahrungen machen. Wir bitten daher Leserinnen und Leser aus allen Apotheken, uns ihre persönlichen Erfahrungen mitzuteilen. Wir möchten damit eine noch breitere Basis gewinnen, um die Öffentlichkeit möglichst repräsentativ über die Leistungen der Apotheker informieren zu können.
Bitte senden Sie uns Ihre Erlebnisse unter dem Stichwort "Arzneimittelsicherheit" per Brief, Fax oder E-Mail an DAZ-Redaktion, Stichwort Arzneimittelsicherheit, Postfach 10 10 61, 70009 Stuttgart, Fax (07 11) 2 58 22 91, E-Mail: daz@deutscher-apotheker-verlag.de. Falls Ihnen ein problematisches Rezept vorliegt, wäre es sinnvoll, es zur Dokumentation und zum Beweis zu kopieren und mit einzuschicken (nach Anonymisierung durch Schwärzung der Arzt- und Patientendaten).
Telefonische Meldungen dazu können leider nicht entgegengenommen werden, da es wichtig ist, die Fälle zu dokumentieren. Mit der Zusendung unter dem angegebenen Stichwort erklären Sie Ihre Bereitschaft zur Veröffentlichung. Apothekennamen werden in der Veröffentlichung ggf. in abgekürzter Form angegeben, Patientennamen werden selbstverständlich nicht genannt. Eine weitere Nutzung der Informationen für wissenschaftliche Auswertungen und zur Dokumentation gegenüber politischen Entscheidungsträgern bleibt vorbehalten.
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