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Gesundheitsreform: Eckpunkte stoßen bei den Parteien auf weitgehende Zustimmung
Leicht war die Suche nach einem tragfähigen Kompromiss nicht. Fast wäre die Runde ergebnislos auseinander gegangen. Doch diverse Telefonate mit Bundeskanzler Gerhard Schröder, CDU-Parteichefin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber konnten letztlich die erhoffte Lösung herbeiführen.
Dem Vernehmen nach soll bis zuletzt vor allem um die Herausnahme des Zahnersatzes aus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und um Liberalisierungen im Apothekenwesen gestritten worden seien. Zum Leidwesen der Apothekerschaft gab bei ersterem die Regierung, bei letzterem die Opposition nach. Anschließend behaupteten beide großen Parteien, der Kompromiss sei vor allem von ihren Vorstellungen geprägt.
Parteipräsidien billigen Kompromiss
CSU-Chef Edmund Stoiber und sein Parteikollege Seehofer verkündeten vormittags in München als Erste die wesentlichen Ergebnisse der Verhandlungen – nachdem das CSU-Parteipräsidium das rund 20-seitige Eckpunktepapier gebilligt hatte. "Das ist ein schwieriger Kompromiss. Aber wir haben die soziale Balance gehalten", kommentierte der Bayerische Ministerpräsident den einstimmigen Beschluss des Präsidiums. Er betonte, dass die CSU bei aller Reformnotwendigkeit durchgesetzt habe, dass am Ende Durchschnittsverdiener und Familien nicht überfordert werden.
Seehofer erklärte, die schwierigsten Verhandlungen seiner bisherigen politischen Laufbahn geführt zu haben. Zum Schluss sei ein tragfähiger Kompromiss dabei heraus gekommen – mit einer gerechten Lastenverteilung und einer guten Versorgung für die Menschen.
Zudem lobte Seehofer den Ablauf der Verhandlungen. Es sei gelungen, erst zu reden, wenn ein Ergebnis zu präsentieren ist. Mit Stoiber habe stets eine enge Rückkopplung stattgefunden – allein in der letzten Verhandlungsnacht habe er vier Mal mit ihm telefoniert. Auch mit Merkel habe ein "enger Schulterschluss" bestanden, ohne dass dies in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten wäre.
Schmidt: "Wirklich alte Zöpfe abgeschnitten"
Montagmittag hatten dann auch das SPD-Präsidium und der geschäftsführende SPD-Fraktionsvorstand den Kompromiss einhellig abgesegnet. Generalsekretär Olaf Scholz und Bundesgesundheitsministerin Schmidt informierten im Anschluss gemeinsam die Presse. Beide zeigten sich überzeugt, eine "eindeutig sozialdemokratische Reform" auf den Weg gebracht zu haben.
Scholz dankte der SPD-Verhandlungsführerin für ihren Einsatz und zeigte sich zufrieden darüber, dass in einem so wichtigen Bereich wie der Gesundheitspolitik ein Konsens erreicht werden konnte.
Schmidt erläuterte sodann den gefundenen Kompromiss in Grundzügen. Insgesamt sei der Vorschlag "sehr ausgewogen" und von dem Ziel geleitet, die Versorgungsqualität für Patienten zu verbessern und das System gleichzeitig bezahlbar zu halten, so die Ministerin. Zum Teil biete das Gesamtpaket gar "Revolutionäres" – etwa in der Arzneimittelversorgung: hier würden "wirklich alte Zöpfe" abgeschnitten.
Es sei Schluss damit, dass ein Apotheker nur eine Apotheke besitzen und der Versandhandel nicht etabliert werden kann. Zudem werde mit Festbeträgen im patentgeschützten Bereich dafür gesorgt, dass die Arzneimittelversorgung bezahlbar bleibe und wirkliche Innovationen gefördert werden.
Angesichts der erneut fallen gelassenen Positivliste bezweifelten einige Journalisten, dass der Pharmaindustrie mit dem Reformkompromiss ausreichend zu Leibe gerückt werde. Dies wies die Ministerin jedoch entschieden zurück: "Der Industrie werden viele Leistungen abverlangt" – so etwa auch hinsichtlich des künftig fälligen 16-prozentigen Herstellerrabatts für patentgeschützte Arzneimittel bis zum Wirksamwerden der neuen Festbeträge.
Dass die Positivliste ein Streitpunkt sein würde, sei schon zu Beginn der Verhandlungen klar geworden, erklärte Schmidt weiter. Man habe aber abwägen müssen: entweder Positivliste oder eine Liberalisierung des Arzneimittelmarkts. Schmidts Ergebnis: Letzteres ist weitreichender als allein die Positivliste: "Da habe ich mich für das bessere Paket entschieden".
Später am Tag fand sich auch die SPD-Fraktion zu einer offenen Sitzung zusammen und diskutierte das Eckpunktepapier. Hier zählte man zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen. Der Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering sprach von einem "zufriedenstellenden Kompromiss" – insbesondere die Herausnahme des Zahnersatzes aus dem Leistungskatalog stoße bei vielen Sozialdemokraten "nicht auf Freude".
CDU: Schlimmstes konnte verhindert werden
CDU-Chefin Angela Merkel erklärte im Anschluss an die Sitzung des CDU-Bundesvorstands, die Eckpunkte seien eine "geeignete Grundlage, um das Gesetzgebungsverfahren zu einer Reform des Gesundheitswesens in Gang zu bringen". Das Papier sei jedoch kein "Blankoscheck" für die Beurteilung des noch zu erstellenden Gesetzes.
Merkel betonte, dass der Kompromiss die "Handschrift der Union" trage – man habe "schlimmste zentralistische und dirigistische Dinge" verhindern können – Beispiel Positivliste. Insgesamt sei es mit dem Papier gelungen, das Krankenversicherungssystem für diese Legislaturperiode zu stabilisieren, so die CDU-Chefin weiter. Angesichts der demografischen Entwicklung in den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren könnten die aktuellen Reformanstrengungen jedoch erst der Anfang sein.
Kleine Fortschritte durch die kleinen Parteien
FDP-Parteichef Guido Westerwelle und der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Dieter Thomae zeigten sich nach der Präsidiumssitzung am Montag über das gefundene Ergebnis weniger begeistert. "Wir bedauern, dass es erneut nicht zu einer echten großen Strukturreform gekommen ist", erklärte Westerwelle.
Es sei falsch, die Kosteneinsparungen nicht durch Strukturreformen, sondern zu einem großen Teil über Steuererhöhungen und ein so genanntes Notopfer der Versicherten zu finanzieren. Dennoch sollten einige durch die FDP erreichte Fortschritte anerkannt werden. So sei es gelungen, mehr Transparenz durch die Möglichkeit des Kostenerstattungsprinzips zu schaffen, die Positivliste zu verhindern und die Ausgliederung des Zahnersatzes durchzusetzen.
Der Parteichef der Grünen Reinhard Bütikofer verkündete, der Parteirat der Grünen habe dem Kompromiss mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung zugestimmt. Dabei liege es in der Natur der Sache, dass ein Kompromiss Licht und Schatten enthalte.
Dennoch könne man dem Papier durchaus ansehen, dass Grüne für ihre Ziele gekämpft hätten: so seien beim Wettbewerb der Leistungserbringer Tabus gebrochen worden – wenngleich bei weitem nicht erreicht wurde, was beabsichtigt war. So z. B. was die generelle Aufhebung des Mehrbesitzverbots für Apotheken betrifft. Bütikofer beklagte, dass Union und FDP bei den Verhandlungen in diesem Bereich "knallhart die Lobbyinteressen von Pharmaindustrie, Apothekern und Fachärzten vertreten" hätten.
Gesetzgebungsverfahren soll Anfang September starten
In den kommenden Wochen soll nun der Gesetzentwurf auf Grundlage der beschlossenen Eckpunkte erarbeitet werden. Am 8. September endet die Sommerpause des Bundestags – gleich in der ersten Sitzungswoche soll der Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht werden. Der Bundesrat soll bereits in seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause am 26. September seine Zustimmung erteilen. Dann stünde einem Inkrafttreten des Reformgesetzes zum 1. Januar des neuen Jahres nichts mehr entgegen.
Nach einer 13-stündigen Marathon-Sitzung verkündeten die Verhandlungsführer Ulla Schmidt und Horst Seehofer am frühen Morgen des 21. Juli, dass eine Einigung in Sachen Gesundheitsreform gefunden sei. Es blieb nicht viel Zeit, sich von der langen Nacht zu erholen. Schon am Vormittag berichteten sie ihren Fraktionsvorständen und Parteipräsidien von den Ergebnissen – und diese zeigten sich schnell einverstanden. So wurden bereits am 22. Juli die gemeinsamen Reform-Eckpunkte publik, die eigentlich erst einen Tag später nach einer abschließenden Sitzung der Konsensrunde vorgestellt werden sollten.
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