Arzneimittel und Therapie

Phytopharmaka: Venenerkrankungen nicht bagatellisieren

Venenerkrankungen zählen zu den häufigsten Krankheitsbildern in der deutschen Bevölkerung. Die letzte große statistische Erhebung zur Häufigkeit und Ausprägung dieser Erkrankungen liegt jedoch mehr als 20 Jahre zurück. Um aktuelle epidemiologische Daten zu gewinnen, hatte die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie eine Studie in Auftrag gegeben. Die "Bonner Venenstudie" zeigte, dass nach wie vor eine hohe Prävalenz vorliegt und dass es sich keinesfalls um eine typische "Frauenkrankheit" handelt.

Die Untersuchung fand von November 2000 bis März 2002 statt und schloss 3072 Probanden (eine Zufallsstichprobe aus dem Einwohner-Melderegister) im Alter zwischen 18 und 79 Jahren aus der Stadt Bonn und zwei benachbarten Gemeinden ein (daher "Bonner Venenstudie").

Die Auswertung der Daten ergab, dass Venenerkrankungen nach wie vor eine hohe Prävalenz aufweisen. Die Beurteilung der klinischen Ausprägung gemäß CEAP-Klassifikation (siehe Kasten) ergab bei lediglich 9,6 Prozent der Probanden keinerlei Venenveränderungen. Bei 59,0 Prozent bestanden isoliert Teleangiektasien oder retikuläre Venen, bei 14,3 Prozent subkutane Krampfadern, bei 13,4 Prozent ein eindrückbares Ödem. Die Häufigkeit der fortgeschrittenen Zeichen einer chronischen venösen Insuffizienz (CVI) lag nur bei 3,3 Prozent, die eines floriden oder abgeheilten Ulcus cruris bei 0,7 Prozent.

Dies wurde als Hinweis darauf gewertet, dass die schweren Ausprägungen der CVI in den letzten 20 Jahren zurückgegangen sind. Letztendlich hatte jeder 6. Mann und jede 5. Frau der in die Studie eingeschlossenen Personen eine symptomatische Venenerkrankung der Stadien C3 bis C6, womit gezeigt werden konnte, dass es sich keinesfalls um eine typische "Frauenkrankheit" handelt.

Erste Anzeichen ernst nehmen

Der erfreuliche Rückgang schwerer Ausprägungen der CVI sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine progrediente chronische Erkrankung darstellt, die unbehandelt zu schweren Schädigungen (trophische Hautveränderungen, Ulcus cruris venosum) führen kann. Erste Anzeichen sind müde, schwere und geschwollene Beine und ein Spannungsgefühl.

Bei weiterem Fortschreiten können Hautveränderungen, nächtliche Wadenkrämpfe, Ruheschmerzen nach langem Stehen oder Sitzen, insbesondere in den Sommermonaten, sowie Juckreiz und Kribbeln in den Beinen auftreten. Differenzialdiagnostisch muss abgeklärt werden, ob die Symptome durch eine krankhafte Venenveränderung bedingt sind oder ob andere Ursachen (z. B. arterielle Durchblutungsstörungen) vorliegen.

Betreuung von Patienten mit Venenerkrankungen

Bei der Beratung von Patienten mit Venenerkrankungen können prinzipiell zwei Szenarien unterschieden werden. Szenario 1: Ein Patient kommt mit einem Rezept über ein Venentherapeutikum vom Arzt. Handelt es sich dabei um ein pflanzliches Arzneimittel, sollte bei der Abgabe desselben darauf hingewiesen werden, dass die Wirkung nicht sofort, sondern mit einer Verzögerung von bis zu sechs bis acht Wochen einsetzt, nach Absetzen des Präparats hält sie noch ca. zwei Wochen an ("Carry-over-Effekt").

Da die Ärzte zurzeit zurückhaltend mit der Verschreibung von Venentherapeutika sind, spielt die Selbstmedikation in diesem Bereich eine große Rolle. Szenario Nr. 2 tritt daher häufiger auf: ein Patient kommt mit einer Eigendiagnose (mit oder ohne speziellen Arzneimittelwunsch) in die Apotheke. Hier sollte der Apotheker die Grenzen der Selbstmedikation beachten. Grundsätzlich gilt, dass bei bestimmten Symptomen bzw. Risikogruppen eine ärztliche Behandlung unbedingt erforderlich ist (siehe Kasten).

In den übrigen Fällen erscheint die Auswahl eines passenden Präparats zunächst schwierig, da in der Roten Liste 2003 (Hauptgruppe 83, Venentherapeutika) zurzeit 112 Fertigarzneimittel (ohne Sklerosierungsmittel), davon mehr als 50 zur internen Anwendung (ohne Homöopathika) enthalten sind.

Dabei handelt es sich um Präparate mit ödemprotektiv, ödemausschwemmend, venentonisierend oder gerinnungshemmend wirkenden Substanzen. Zu beachten ist, dass diuretisch wirkende pflanzliche Drogen nicht kritiklos in der Selbstmedikation angewendet werden sollten und Heparine und verwandte Substanzen nur bei oberflächlichen Venenentzündungen zugelassen bzw. empfohlen sind.

Wirksamkeit sollte durch klinische Studien belegt sein

Trifft der Apotheker die Auswahl des Präparats, so sollte er ein Arzneimittel empfehlen, für das die Wirksamkeit und Verträglichkeit in der Literatur experimentell und klinisch hinreichend dokumentiert ist.

Für Rosskastaniensamentrockenextrakt (standardisiert auf Aescin), Oxerutine und definiertem Extrakt aus Rotem Weinlaub konnte in klinischen Studien eine Besserung der subjektiven Beschwerden, eine Verhinderung der Verschlimmerung des CVI-Grades sowie eine Ödemreduktion bei Patienten mit CVI Grad I und II nachgewiesen werden.

Zeigt das ausgewählte Mittel über einen Zeitraum von etwa drei Monaten jedoch keine Besserung der Beschwerden, so ist dringend zu einem Arztbesuch zu raten.

Roter Weinlaubextrakt – protektiv und regenerativ bei Venenerkrankungen

Die erwähnte Studie mit definiertem Trockenextrakt aus Rotem Weinlaub (Antistax®) war eine multizentrische, randomisierte, plazebokontrollierte und doppelblinde Parallelgruppenstudie über 12 Wochen. Bei den 219 Patienten im CVI-Stadium I bzw. II (nach Widmer) zeigte sich in den Dosierungen 360 mg und 720 mg eine statistisch signifikante Abnahme des Unterschenkelödems gegenüber Plazebo (p < 0,001) sowie eine Abnahme der damit einhergehenden Beschwerden wie z. B. schwere und müde Beine, Spannungsgefühl und Schmerzen (beurteilt nach visueller Analogskala).

Diese Befunde sind mindestens vergleichbar mit Ergebnissen, die mit Kompressionstherapie und/oder sonstigen antiödematös wirkenden Arzneimitteln erzielt werden können. Ein Vorteil des Roten Weinlaubextrakts gegenüber anderen Phytopharmaka liegt in der guten Magenverträglichkeit. In allen bisherigen Untersuchungen traten unerwünschte Wirkungen nur sehr selten auf und waren leichter Natur.

CEAP-Klassifikation Eine chronische Veneninsuffizienz wird heute meist in die Schweregrade 1 bis 3 nach Widmer eingeteilt. Diese Klassifizierung wird vor allem von niedergelassenen Phlebologen wegen ihrer Einfachheit bevorzugt. Im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen wird die CEAP-Klassifikation eingesetzt, sie erlaubt eine differenziertere Einteilung.

Stadium/ Klinische Zeichen

C0 keine Zeichen einer venösen Veränderung C1 isolierte Teleangieektadien, retikuläre Venen C2 Varikose C3 eindrückbares, prätibiales Ödem C4 Hautveränderungen C5 geheiltes venöses Unterschenkelgeschwür C6 aktives Unterschenkelgeschwür

Grenzen der Selbstmedikation bei Venenerkrankungen Bei folgenden Symptomen bzw. Risikogruppen ist bei Venenbeschwerden unbedingt zum Arztbesuch zu raten:
  • akute Komplikationen wie z. B. Thrombophlebitis, Blutungen
  • Hautveränderungen (z. B. verhärtete weiße Stellen)
  • Ulcus cruris venosum
  • ausgeprägte Ödeme oder venöse Stauungen (proximal vom Unterschenkel)
  • akute oder chronische Schmerzen
  • (ausgeprägte) Krämpfe
  • Auftreten weiterer Beschwerden
  • Diabetiker
  • Patienten mit Gerinnungsstörungen
  • Patienten mit Herz-, Nieren oder Leberfunktionsstörungen

    nach Dr. M. Schulz, Berlin

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