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Arzneistoffporträt
Synergismus von Calcium und Magnesium
Magnesium als physiologischer Calciumantagonist
Im Jahr 1984 publizierten L. T. Iseri und Mitarbeiter einen häufig zitierten Reviewartikel unter der Überschrift "Magnesium – nature's physiologic calcium blocker" (Am. Heart J. 108, 188 – 193). Hierauf beruht die falsche Vorstellung, dass Magnesium der generelle Gegenspieler von Calcium sei (Abb. 1). Nach Fleckenstein und Mitarbeitern besitzen Calcium und Magnesium in ionisiertem Zustand dynamische Effekte bei zellulärer Aktivität (elektro-mechanische und elektro-sekretorische Kopplung, bioelektrische Membranphänomene), darüber hinaus aber in gebundener Form statische Effekte an ruhenden Zellen einschließlich dem Skelettsystem [1].
Für dynamische Effekte ist ein Magnesium-Calcium-Antagonismus am Herzen, an der glatten Muskulatur, an der Muskelendplatte, bei der Blutgerinnung sowie bei der Freisetzung von Hormonen und Transmittern nachgewiesen. Statische Calciumeffekte werden jedoch – in Analogie zu den organischen Calciumantagonisten – nicht durch Magnesium gehemmt: Das Ruhepotenzial erregbarer Membranen wird durch Calcium erhöht; hier wirken Calcium und Magnesium synergistisch.
Umgekehrt erklärt sich hierdurch, dass sowohl bei Calcium- als auch bei Magnesiummangel die neuromuskuläre Erregbarkeit erhöht ist – bis hin zum tetanischen Anfall. Analog werden andere unerregte Membranen durch beide Kationen synergistisch abgedichtet, ein Effekt, der bei der Behandlung allergischer Reaktionen genutzt werden kann und durch eine Verankerung von Membran-Phospholipiden erklärbar ist.
Enterale Resorption von Calcium und Magnesium
Calcium und Magnesium werden bevorzugt im Dünndarm resorbiert. Obwohl noch Kenntnislücken vor allem für Magnesium bestehen, ist gesichert, dass beim Menschen unterschiedliche aktive Transportmechanismen für die beiden Kationen bestehen; eine Interaktion am selben Substrat ist folglich auszuschließen.
Für die aktive Calciumresorption ist Vitamin D3 (Colecalciferol) mit seinem hydroxylierten Metaboliten Calcitriol unerlässlich. Das Gen, das für die Ausbildung der Vitamin-D-Rezeptoren verantwortlich ist, weist verschiedene Varianten in den Allelen auf (BB; Bb; bb). Bei geringer Calciumzufuhr können Personen mit der Variante "bb" die Absorptionsrate signifikant bis auf etwa 24% erhöhen, während Personen mit dem Genotyp "BB" diesen Anpassungsmechanismus nicht besitzen. Träger vom Typ "Bb" nehmen eine Mittelstellung ein. Bei hoher Calciumzufuhr spielen zusätzlich passive Diffusionsprozesse eine Rolle; die Absorptionsraten liegen dann für alle Personengruppen in der gleichen Größenordnung [2].
Auch für die Magnesiumresorption wird ein aktiver Transportmechanismus angenommen, der bei der autosomal rezessiv vererbten "primären Hypomagnesiämie" völlig fehlt [3], in leichteren Formen aber wahrscheinlich ebenfalls fehlerhaft angelegt sein kann [4]. Bei solchen Störungen muss das enterale Magnesiumangebot erhöht werden, ggf. bis zum 8- bis 10fachen des Bedarfs [3], da die Resorption passiv erfolgt.
Die Calcium-resistente hypomagnesiämische Hypokalzämie
"Ein Magnesiummangel kommt nie isoliert vor" kann als Lehrsatz gelten; entsprechend bestimmen sekundäre Elektrolytstörungen die Mangelsymptomatik entscheidend. Shils beobachtete an Probanden während eines isolierten experimentellen alimentären Magnesiummangels über 42 bis 117 Tage ein kontinuierliches Absinken des Plasma-Calciums trotz reichlicher Calciumzufuhr.
Neuromuskuläre tetanische Krisen traten erst nach Unterschreiten einer kritischen Calciumkonzentration auf und konnten nur kurzfristig durch parenterale Calciuminjektionen beseitigt werden. Normokalzämie und Beschwerdefreiheit stellte sich erst nach Supplementation mit Magnesium ein [5].
Parathormon (PTH), PTH-Rezeptoren und die renale 25-Hydroxyvitamin-D3-1α-Hydroxylase sind magnesiumabhängig und scheinen die zentralen Verknüpfungspunkte zwischen Calcium- und Magnesium-Metabolismus zu sein. Die Zusammenhänge werden dadurch erschwert, dass sich bei Probanden im 3-wöchigen alimentären Magnesiummangel die PTH-Spiegel uneinheitlich verhielten und entweder konstant blieben, bis zu 40% abnahmen, oder aber bis um 70% anstiegen. Entsprechend variierten die 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3-(Calcitriol)-Spiegel und das Plasma-Calcium [6].
Bei länger andauerndem Magnesiummangel resultiert aber in der Regel eine gegenüber Calcium und calcitropen Hormonen (PTH und Calcitriol) weitgehend resistente Hypokalzämie. Kinder mit der erwähnten primären Hypomagnesiämie können nur durch chronisch hochdosierte Magnesiumgaben gerettet werden (Abb. 2).
Keine wechselseitigen Hemmeffekte bei der enteralen Resorption
Wechselwirkungen bei der enteralen Resorption von Mineralstoffen können unter den verschiedensten experimentellen Bedingungen studiert werden; scheinbar widersprüchliche Aussagen erklären sich dadurch, dass Ergebnisse vorbehaltlos von einem auf ein anderes Modell übertragen werden. Beispielsweise hemmt Kalium signifikant die Magnesiumresorption beim Wiederkäuer (ein wesentlicher pathogenetischer Faktor der Weidetetanie), nicht hingegen bei monogastrischen Säugern. Da zudem nicht zwischen endogenen und exogenen Mineralstoffen unterschieden werden kann, haben Isotopen-Studien die höchste Aussagekraft.
Spencer u. Mitarb. studierten unter strikt kontrollierten Bedingungen den Einfluss von rund 250 mg und 800 mg Magnesium auf die Resorption niedriger oder bedarfsdeckender Zufuhrmengen von Calcium (240 und 810 mg) mit 47Ca als Tracer: Die Höhe der Magnesiumzufuhr beeinflusste die Calciumresorption nicht [7]! Unter vergleichbar gut kontrollierten Bedingungen hatte dieselbe Arbeitsgruppe bereits zeigen können, dass niedrige und hohe Zufuhrmengen an Calcium (200 bzw. 2000 [!] mg) die mithilfe von 28Mg ermittelte Magnesiumresorption unbeeinflusst ließen [8] (s. auch Abb. 3).
Hieraus folgt, dass bei gleichzeitiger Supplementation von Calcium und Magnesium in physiologischen Mengen keine Hemmeffekte während der enteralen Resorption nachweisbar sind [13], eine Aussage, die auch von Kasper vertreten wurde [9].
Förderliche Wechselwirkungen
Aussagen über Wechselwirkungen zwischen Kationen sind nur dann statthaft, wenn die Anionen (die häufig Eigenwirkungen besitzen) gleich sind. Unter dieser Voraussetzung sind förderliche Calcium-Magnesium-Wirkungen wiederholt beim Menschen beschrieben worden: Bekannt ist der kombinierte Einsatz von Calcium- und Magnesiumcarbonat in Antacida mit dem Ziel, die leicht obstipierende Wirkung von Calcium durch das laxierende Magnesium auszugleichen. Die Prävention der Bildung von Calciumoxalatsteinen durch gleichzeitige Supplementation von Calcium plus Magnesium ist gleichfalls denkbar, denn im Urin ist Mg-Oxalat besser löslich als Ca-Oxalat [10].
Größte klinische Relevanz hat sicher die Beseitigung sekundärer Elektrolytstörungen durch Ausgleich eines Magnesiummangels: In kontrollierten Studien an hypomagnesiämischen Kindern stieg nach dreiwöchiger Magnesiumsupplementation nicht nur das Plasma-Mg in 84,7%, sondern in 57,7% der Fälle ebenfalls das Plasma-Ca an [4].
Übereinstimmend erhöhte sich bei stillenden Müttern nach vierwöchiger Supplementation mit täglich 2 u 10 mmol Magnesium sowohl das Plasma-Mg als auch das Plasma-Ca [11]; der Mechanismus könnte die schon diskutierte verbesserte Effektivität calcitroper Hormone sein. Über diesen Mechanismus ist auch der günstige Einfluss einer zweijährigen Magnesiumsupplementation bei postmenopausalen Frauen mit Osteoporose erklärbar: Die Knochendichte nahm im ersten Jahr zu und blieb im zweiten Jahr unverändert [12].
Dieser Befund verdient eine größere Beachtung.
Kasten Zusammenfassung
Es gibt mehrere synergistische Calcium- und Magnesiumeffekte, die klinisch wahrscheinlich ebenso bedeutsam sind wie der besser bekannte funktionelle Ionen-Antagonismus an aktivierten Membrankanälen und die Grundlage für die kombinierte Supplementation mit beiden Erdalkalimetallen darstellt. Bei der gleichzeitigen Supplementation von Calcium und Magnesium in physiologischen Mengen sind keine Hemmeffekte während der enteralen Resorption nachweisbar.
Kasten
Prof. Dr. H. G. Classen studierte Medizin in Göttingen. Dort wurde er 1962 zum Dr. med. promoviert. 1971 habilitierte er sich in Freiburg/Br. Von 1976 bis 2001 leitete er das Fachgebiet "Pharmakologie und Toxikologie der Ernährung" an der Universität Hohenheim/Stuttgart. Von 1976 bis 1995 war er Präsident der Gesellschaft für Magnesium-Forschung, seit 2001 ist er deren Ehrenpräsident. Anschrift: Fruwirthstraße 14 und 30, 70599 Stuttgart
Dr. Jürgen Bubeck studierte Ernährungswissenschaft in Stuttgart-Hohenheim. Dort wurde er 1996 zum Dr. rer. nat. promoviert. Seit 1995 arbeitet er in der pharmazeutischen Industrie, seit 1997 bei Boehringer Ingelheim Pharma KG. Er leitet dort innerhalb der Abteilung Medizinische Wissenschaft den Fachbereich Selbstmedikation. Anschrift: Boehringer Ingelheim Pharma KG, Binger Straße 173, Postfach 33 46-03-08, 55216 Ingelheim am Rhein
Literatur
[1] Fleckenstein, A., Fleckenstein-Grün, G., Frey, M: Calcium-antagonistische Magnesium-Wirkungen. In: Lasserre, B. (Hrsg.): Magnesium – Physiologische Aspekte für die Praxis. Panscienta Verlag, Hedingen/Zürich, 66 – 81 (1987). [2] Zittermann, A.: Pathogenese und Prävention der postmenopausalen Osteoporose, Teil 1 u. 2. Ern.-Umschau 44, 10 – 13 u. 51 – 57 (1997). [3] Shalw, H., Phillip, M., Galil, A., Carmi, R., Landau, D.: Clinical presentation and outcome in primary familial hypomagnesaemia. Arch. Dis. Child. 78, 127 – 130 (1998). [4] Schimatschek, H. F., Classen, H. G., Baerlocher, K., Thöni, H.: Hypomagnesiämie und funktionell-neurovegetative Beschwerden bei Kindern. Kinderarzt 28, 196 – 203 (1997). [5] Shils, M. E.: Experimental human magnesium depletion. Am. J. Clin. Nutr. 15, 133 – 143 (1964). [6] Fatemi, S., Ryzen, E., Flores, J., Endres, D. B., Rude, R. K.: Effect of experimental human magnesium depletion on parathyroid hormone secretion and 1,25-dihydroxyvitamin D metabolism. J. Clin. Endocrinol. Metab. 73, 1067 – 1072 (1991). [7] Spencer, H., Fuller, H., Norris, C., Williams, D.: Effect of magnesium on the intestinal absorption of calcium in man. J. Am. Coll. Nutr. 13, 485 – 492 (1994). [8] Spencer, H., Lesniak, M., Kramer, L., Osis, D.: Studies of magnesium metabolism in man. In: Cantin, M., Seelig, M. S. (eds): Magnesium in Health and Disease. Spectrum Publ., Jamaica, 911 – 919 (1980). [9] Kasper, H.: Mg-Ca-Kombination. Dtsch. Apoth. Ztg. 137, 122 – 124 (1997). [10] Khan, S. R., Shevock, P. N., Hackett, R. L.: Magnesium oxide administration and prevention of calcium oxalate nephrolithiasis. J. Urol. 149, 412 – 416 (1993). [11] Spätling, L., Bubeck, J., Schulz, U., Wendt, B., Teubner, S., Disch-Hesse, G., Siegmund-Schultze, E., Classen, H. G.: Magnesium-Supplementation in der Stillzeit? Geburtsh. Frauenheilkd. 58, 561 – 565 (1998). [12] Stendig-Lindberg, G., Tepper, R., Leichter, I.: Trabecular bone density in a two year controlled trial of peroral magnesium in osteoporosis. Magnesium Res. 6, 155 – 163 (1993). [13] Classen, H. G.: Magnesium. In: Biesalski, H. K., Köhrle, J., Schümann, K. (Hrsg.): Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Thieme Verlag, Stuttgart, 132 – 137 (2002).
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