Berichte

Lipidsenker, Herzinfarkt und Schlaganfall

Am 24. November veranstaltete die Apothekerkammer Westfalen-Lippe in Münster die Herbst-Fortbildungstagung 2002 zum Thema "Koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und Lipidsenker". Es referierten Prof. Dr. Dr. Walter Schunack, Berlin, Prof. Dr. Dr. Ingolf Cascorbi, Greifswald, und Priv.-Doz. Dr. Bernard-Martin Eicke, Mainz.

Abschätzung des Herzinfarktrisikos

In der PROCAM(Prospective Cardiovascular Münster)-Studie wurden acht Risikofaktoren für einen Herzinfarkt ermittelt und gewichtet. Daraus entstand der PROCAM-Score, ein Punktesystem zur Abschätzung des Herzinfarktrisikos von Männern zwischen 35 und 65 Jahren in den nächsten zehn Jahren.

Die wichtigsten – mit dem höchsten Punktwert belegten – beeinflussbaren Risikofaktoren für einen Herzinfarkt sind hohe LDL-Cholesterol- und niedrige HDL-Cholesterol-Werte: Ein LDL-Cholesterol-Wert ab 190 mg/dl wird mit 20 Punkten "bestraft", ein HDL-Cholesterol-Wert unter 35 mg/dl mit elf Punkten.

Rauchen schlägt mit 8 Punkten zu Buche, ebenso ein systolischer Blutdruck ab 190 mm Hg. 54 Punkte bedeuten bereits ein 20%iges Risiko für einen Herzinfarkt in den nächsten zehn Jahren; man spricht dann von Hochrisikopatienten.

Der großen Bedeutung des LDL-Cholesterols sollte man Rechnung tragen, indem man erhöhte Werte konsequent senkt, forderte Prof. Dr. Dr. Walter Schunack.

Effektive Lipidsenker

Für drei Lipidsenker – die CSE-Hemmer Simvastatin, Pravastatin und Lovastatin – wurde in klinischen Studien gezeigt, dass sie die Sterblichkeit senken. Das wurde für alle drei in Primärpräventionsstudien und für Simvastatin und Pravastatin zusätzlich in Sekundärpräventionsstudien bewiesen.

Heart Protection Study – eine besondere Studie

Die bisherigen Lipidsenker-Studien beschränkten sich meist auf Männer unter 65 Jahre und schlossen Diabetiker aus. Die kürzlich veröffentlichte Heart Protection Study erfasste auch Frauen, ältere Patienten und Diabetiker. Sie war Primär- und Sekundärpräventionsstudie in einem. An ihr beteiligten sich sowohl Personen mit hohem kardiovaskulärem Risiko als auch Patienten mit koronarer Herzkrankheit (s. ausführlichen Bericht über die Studie auf S. 54.

Die Studie hatte ein 2 x 2-faktorielles Design: Die Teilnehmer nahmen randomisiert fünf Jahre lang täglich 40 mg Simvastatin oder ein Plazebo ein. Im selben Zeitraum schluckten sie täglich entweder einen "Cocktail" antioxidativer Vitamine – 600 mg Vitamin E, 250 mg Vitamin C und 20 mg Betacaroten – oder ein Plazebo.

Die Planung und Organisation der britischen Studie oblag dem Medical Research Council und der Britisch Heart Foundation, die Auswertung übernahm die Clinical Trial Unit der Oxford University. Primäre Endpunkte der Simvastatin-Studie waren Gesamtsterblichkeit, KHK-Sterblichkeit und Nicht-KHK-Sterblichkeit. 20 536 Patienten nahmen an der Studie teil. Darunter waren 5082 Frauen, 9515 Personen über 65 Jahre und 5963 Diabetiker.

Simvastatin senkte die Gesamtsterblichkeit und die KHK-Sterblichkeit signifikant (um 13% bzw. 17%). Auch das Erstauftreten eines schweren Gefäßereignisses (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Revaskularisation) war im Simvastatin-Arm signifikant (um 24%) reduziert. Die Nicht-KHK-Sterblichkeit veränderte sich erwartungsgemäß nicht signifikant (5% weniger).

Simvastatin in allen Subgruppen wirksam

Simvastatin wirkte in allen untersuchten Subgruppen ähnlich stark. Die Wirkung war unabhängig vom Alter und Geschlecht der Patienten und – besonders überraschend – von der Höhe der LDL- und Gesamtcholesterol-Ausgangswerte. Der Nutzen der Simvastatin-Gabe korrelierte mit der Behandlungsdauer: Er war nach einem Jahr noch praktisch gleich Null und stieg dann kontinuierlich.

Vitamine nicht wirksamer als Plazebo

Der Vitamin-Cocktail führte zwar zu erhöhten Plasmaspiegeln der antioxidativen Vitamine, erzielte aber keinerlei Verbesserungen bei den primären Endpunkten (schwere Koronarereignisse und KHK-Sterblichkeit) oder bei anderen kardiovaskulären Ereignissen.

Fazit für die Praxis

Man kann sein individuelles Herzinfarktrisiko abschätzen, und man kann es drastisch senken durch

  • gute Einstellung des Cholesterol-Werts (Gesamtcholesterol unter 200 mg/dl, LDL-Cholesterol unter 150 mg/dl bei Gesunden, unter 130 mg/dl bei Personen mit weiteren Risikofaktoren und unter 100 mg/dl bei Herzkranken),
  • Nichtrauchen,
  • Gute Blutdruckeinstellung (maximal 130/80 mm Hg).

Je mehr Arzneimittel, desto mehr Nebenwirkungen

Bis zu 25 000 Menschen in Deutschland sterben jährlich an Arzneimittelnebenwirkungen, zitierte Prof. Dr. Dr. Ingolf Cascorbi eine Schätzung des klinischen Pharmakologen Prof. Dr. Jürgen Frölich aus Hannover.

Das Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen korreliert mit der Zahl eingenommener Arzneimittel: Die Häufigkeit ist in der Regel gering, wenn nur ein Arzneimittel eingenommen wird. Werden neun bis zehn Arzneimittel gleichzeitig verordnet, steigt die Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen auf nahezu 100%.

Rhabdomyolyse – was ist das?

Im Zusammenhang mit verschiedenen CSE-Hemmern trat als schwere Nebenwirkung eine Rhabdomyolyse auf. Eine Rhabdomyolyse ist eine akute, fulminante, potenziell lebensbedrohliche Zerstörung der Skelettmuskulatur mit Myoglobinämie, Myoglobinurie und Erhöhung der Kreatininkinase auf mehr als das Zehnfache des oberen Normwertes. Die aus der Skelettmuskulatur abgebauten Bestandteile überfordern die Nieren und können zum Nierenversagen führen.

Rhabdomyolysen wurden von Patienten gemeldet, die zusätzlich zu Simvastatin den Calciumantagonisten Mibefradil erhielten. Der Simvastatin-Plasmaspiegel war drastisch erhöht. Einige Patienten starben. Mibefradil (Posicor®) wurde daraufhin vom Markt genommen.

Rhabdomyolysen waren auch der Grund dafür, dass Cerivastatin (Lipobay®, Zenas®) im vergangenen Jahr vom Markt genommen wurde. Bei der Hälfte der im Zusammenhang mit Cerivastatin gemeldeten Rhabdomyolyse-Todesfälle war zusätzlich das Fibrat Gemfibrozil eingenommen worden.

Unter anderen CSE-Hemmern sind ebenfalls Myopathien und in einigen Fällen Rhabdomyolysen aufgetreten.

Wie kommt es zu Interaktionen?

Interaktionen können auf der Ebene der Arzneistoff-Transporter oder des Arzneistoff-Metabolismus (pharmakokinetisch) sowie auch auf der Ebene der Rezeptoraffinität oder der Signaltransduktion (pharmakodynamisch) zustande kommen.

Die meisten Interaktionen entstehen auf der Ebene des Metabolismus, das heißt: Medikamente konkurrieren um das gleiche abbauende Enzym. Das wichtigste oxidierende Enzym der Phase I ist das Cytochrom-P450-Enzym CYP3A4. Über CYP3A4 werden bis zu 50% aller Medikamente metabolisiert. Es ist induzierbar und hemmbar.

Zu den Substraten von CYP3A4 gehören auch die CSE-Hemmer. Wird ein Substrat zusammen mit einem Induktor (z. B. Glucocorticoide, Carbamazepin, Johanniskraut) eingenommen, wird das Substrat beschleunigt abgebaut, sodass sein Blutspiegel sinkt. Zusammen mit einem CYP3A4-Hemmstoff (z. B. Ketoconazol, Erythromycin, Verapamil, Cimetidin) wird das Substrat langsamer abgebaut, sodass sein Blutspiegel steigt.

Die derzeit auf dem Markt befindlichen CSE-Hemmer kann man im Hinblick auf Cytochrom-P450-abhängige Interaktionen relativ gut einordnen. Vorsicht ist geboten bei der Einführung neuer Lipidsenker, weil seltene Nebenwirkungen oft erst in Phase-IV-Studien (d. h. nach Marktzulassung) zu erkennen sind.

Warum Rhabdomyolysen unter Simvastatin?

Von den CSE-Hemmern hat Simvastatin (Resorptionsquote 70%) einen besonders hohen First-pass-Effekt von rund 65% der Dosis. Deshalb sind nur 5% der eingenommenen Dosis bioverfügbar. Wird Simvastatin zusammen mit einem CYP3A4-Hemmstoff eingenommen, kann das verfügbare Simvastatin bis auf die 16fache Menge steigen (Abb. 2).

Ganz anders sind die Verhältnisse bei Pravastatin: Hier beträgt die Resorptionsquote 30%, wovon 12% bei der ersten Leberpassage metabolisiert werden (das ergibt eine Bioverfügbarkeit von 18%). Bei gleichzeitiger Einnahme eines CYP3A4-Hemmstoffes steigt der verfügbare Anteil des Pravastatins höchstens um den Faktor 1,7. Im Hinblick auf das Interaktionspotenzial ist Pravastatin also günstiger als Simvastatin. Zum hohen Rhabdomyolyse-Risiko von Simvastatin dürfte auch dessen hohe Gewebediffusion beitragen.

Fluvastatin wird über CYP2C9, ein anderes Cytochrom-P450-Enzym, metabolisiert, sodass keine Interaktionen mit CYP3A4-Hemmern drohen. Zu seinem niedrigen Rhabdomyolyse-Risiko trägt auch seine schlechte Gewebediffusion bei.

Cerivastatin und CYP3A4

Warum es unter Cerivastatin zu Rhabdomyolysen kam, ist auf den ersten Blick unverständlich. Es wird zu 98% resorbiert und ist nach der ersten Leberpassage noch zu 60% bioverfügbar, steigert den verfügbaren Anteil des Cerivastatins also höchstens um den Faktor 1,7.

Bei auffällig vielen Rhabdomyolyse-Fällen unter Cerivastatin hatten die Patenten gleichzeitig das Fibrat Gemfibrozil eingenommen. Beide Substanzen werden außer über CYP3A4 auch über CYP2C8, ein bisher wenig beachtetes Cytochrom-P450-Enzym, abgebaut. Gemfibrozil wirkt als Hemmstoff an CYP2C8 und erhöht so die Bioverfügbarkeit des Cerivastatins.

Interaktionen am P-Glykoprotein

Interaktionen können auch auf der Ebene des P-Glykoproteins stattfinden. Es ist ein Transporter, den man im Bürstensaum des Darms, in Leber, Nieren und an der Blut-Hirn-Schranke findet. Wie eine Pumpe schleust P-Glykoprotein unter ATP-Verbrauch Fremdstoffe aus.

Bestimmte Arzneistoffe (z. B. Rifampicin, Johanniskraut) induzieren P-Glykoprotein und verringern dadurch die Bioverfügbarkeit P-Glykoprotein-sensitiver Arzneistoffe, zu denen auch die CSE-Hemmer Atorvastatin, Lovastatin und Simvastatin zählen. Wegen der hohen interindividuellen Variabilität, z. B. durch den Einfluss von Nahrung und Hormonen, sind die Interaktionen viel schlechter vorhersagbar als die Cytochrom-P450-abhängigen Interaktionen.

Substanzen, die sowohl CYP3A4 als auch P-Glykoprotein beeinflussen (z. B. Johanniskraut), weisen ein erhebliches Interaktionspotenzial auf.

Schlaganfall – Therapie und Prophylaxe

Im Unterschied zum Herzinfarkt führt der Schlaganfall seltener zum Tode, ist aber die häufigste Ursache für eine bleibende Behinderung, erklärte Priv.-Doz. Dr. Bernhard-Martin Eicke. Die wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren des ischämischen Schlaganfalls sind Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus, Rauchen, Übergewicht und hormonelle Kontrazeptiva. Rauchen und Pille gemeinsam erhöhen das Schlaganfallrisiko um den Faktor 20.

Die Therapiemöglichkeiten des hämorrhagischen Schlaganfalls sind begrenzt. Die Akutbehandlung des ischämischen Schlaganfalls setzt sich aus Neuroprotektion, Antikoagulation, Thrombozytenaggregationshemmung und Thrombolyse zusammen.

Die Neuroprotektion kann bislang nur indirekt erzielt werden:

  • Fieber senken,
  • Blutzucker senken,
  • Blutdruck regulieren.

Hoher Blutdruck kurzfristig erlaubt

80% der Patienten mit ischämischem Schlaganfall haben in der Akutphase einen erhöhten Blutdruck. Der Körper versucht dadurch, mehr Blut in das ischämische Hirngewebe zu pressen. Kurz nach einem Schlaganfall sollte der systolische Blutdruck über 160 mm Hg liegen. In den ersten drei bis fünf Tagen wird der Blutdruck nur medikamentös gesenkt, wenn er systolisch über 220 mm Hg oder diastolisch über 120 mm Hg liegt.

Acetylsalicylsäure hat beim akuten ischämischen Schlaganfall das Antikoagulans Heparin zurückgedrängt. Lediglich Patienten mit höhergradigen Karotisstenosen profitierten in der TOAST-Studie von der Vollheparinisierung.

Schnell ins Krankenhaus!

Der Schlaganfall ist ein Notfall: Die Thrombolyse wirkt nur dann, wenn sie innerhalb eines Drei-Stunden-Zeitfensters begonnen wird. In diesem Zeitraum müssen die Patienten ins Krankenhaus gebracht werden, sich einer Computertomographie unterziehen, und verschiedene Blutwerte (PTT, Quick-Wert, Thrombozytenzahl) müssen vorliegen. Je früher die Thrombolyse einsetzt, desto besser ist das Ergebnis. In speziellen Schlaganfall-Stationen (Stroke Units) ist die Diagnostik erheblich beschleunigt.

Die Thrombolyse sollte wegen der Blutungsgefahr nur von erfahrenen Ärzten durchgeführt werden. Laut Zulassung darf das Thrombolytikum Alteplase (rt-PA; Actilyse®) lediglich auf Intensivstationen oder Stroke Units eingesetzt werden. Die Zulassung beschränkt sich bislang auf Patienten zwischen 18 und 75 Jahren. Auch Patienten unter Acetylsalicylsäure oder Clopidrogel sind offiziell noch von der Behandlung ausgeschlossen.

Im Hinblick auf die sekundärprophylaktisch eingesetzten Thrombozytenaggregationshemmer empfahl Eicke folgendes Vorgehen:

  • Nach dem ersten Schlaganfall Acetylsalicylsäure geben (täglich 100 mg), bei Kontraindikationen Clopidogrel.
  • Wenn trotz Acetylsalicylsäure ein zweiter Schlaganfall aufgetreten ist, Dipyridamol plus Acetylsalicylsäure geben. Patienten mit KHK, peripherer arterieller Verschlusskrakheit, Diabetes mellitus oder Hyperlipidämie erhalten statt dessen Clopidogrel.

Eicke berichtete außerdem über gute Erfahrungen mit Acetylsalicylsäure plus Clopidrogel. Die Kombination wird zurzeit noch in zwei klinischen Studien mit den Einzelsubstanzen verglichen.

Kasten Neue Studien

PROCAM-Risiko-Score

Die Risikofaktoren und ihre Punktwerte sind in Med. Mo. Pharm. Heft 5/2002 auf S. 175 ff. aufgelistet. Das Programm zur Ermittlung des persönlichen Zehn-Jahre-Herzinfarktrisikos bei bisher beschwerdefreien Personen steht auf der Internet-Seite http://www.chd-taskforce.de zur Verfügung.

Kasten Neue Studien Heart Protection Study

Die Einzelheiten des Simvastatin-Teils der Heart Protection Study werden in diesem Heft auf S. 54 erläutert.

Kasten CSE-Hemmer und Rhabdomyolysen

Die Arteriosklerose spielt bei der Entstehung von Herzinfarkten und Schlaganfällen eine wesentliche Rolle. CSE-Hemmer schützen vor beiden Erkrankungen, wie die kürzlich veröffentlichte Heart Protection Study für Simvastatin in der Primär- und Sekundärprävention ergab. Dennoch gerieten CSE-Hemmer in den letzten Jahren mehrfach negativ in die Schlagzeilen. Der Grund waren Rhabdomyolysen, eine gefährliche Nebenwirkung an Muskeln und Nieren, die vor allem durch Interaktionen mit anderen Arzneimitteln zustande kommt. Das Interaktionspotenzial der einzelnen CSE-Hemmer kann man heute – zumindest im Hinblick auf die Cytochrom-P450-Enzyme – recht gut abschätzen.

Kasten Schlaganfall in Zahlen

  • In Deutschland erleiden pro Jahr etwa 250 000 Menschen einen Schlaganfall.
  • 85% der Schlaganfälle entstehen durch eine Ischämie, also eine Minderdurchblutung im Gehirn, 15% durch Blutungen (hämorrhagisch).
  • 60% der ischämischen Schlaganfälle beruhen auf einer Arteriosklerose hirnversorgender Gefäße (Makroangiopathie), 20% auf einer Arteriosklerose in kleinsten Hirngefäßen (Mikroangiopathie mit mehreren kleinen Infarkten), 15% werden durch das Herz ausgelöst, vor allem durch Vorhofflimmern.

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