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Jahrhunderthochwasser: Ist der Mensch schuld an der Katastrophe?

Ist die Jahrhundertflut des Jahres 2002 ein Schicksalsschlag, oder hätte sie verhindert oder zumindest abgemildert werden können? Debattiert wird vor allem darüber, ob der Klimaumschwung durch die menschlichen Kohlendioxid-Emissionen zum Teil zu den riesenhaften Ausmaßen des Hochwassers beigetragen hat oder ob vor allem eine falsche und sorglose Siedlungspolitik und die Verbauung der Flüsse Ursache war.

Kein Zusammenhang mit Klimakatastrophe

Es lässt sich zwar trefflich darüber streiten, ob die anthropogenen CO2-Emissionen tatsächlich zu einer allgemeinen Erwärmung führten. Im Fall des Hochwassers gibt es allerdings dazu eine eindeutige Aussage. Professor Gerd Tetzlaff vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig und seine Kollegen Manfred Mudelsee und Michael Börngen haben klar Stellung bezogen. Sie weisen die Deutung des Elbehochwassers 2002 als Ausdruck einer Klimakatastrophe zurück. Die Fakten sprächen eine klare Sprache (vgl. Tab. 1):

  • Die Häufigkeit von Sommerhochwassern der Elbe hat nicht signifikant zugenommen; auch dann nicht, wenn das Hochwasser 2002 mit in die Rechnung einbezogen wird.
  • Die Häufigkeit von Winterhochwassern der Elbe hat signifikant abgenommen.

Die Frage, ob der Mensch mit seinen Sünden an der Schöpfung dennoch schuld an der Katastrophe von 2002 hat, lässt sich nicht so einfach beantworten. Zunächst gibt es sehr unterschiedliche Arten von Hochwasser. Am bekanntesten sind die Starkregenhochwasser und die Fluten zur Schneeschmelze im Frühjahr. Ein Hochwasser wird allerdings erst dann zum Problem, wenn die natürlichen Puffer – dazu gehören die Vegetation, der Boden, das Gelände und das Gewässernetz der Region – überlastet sind und kein Wasser mehr aufnehmen können. Wenn alle vier Speichermedien insgesamt ausgelastet sind, kann es sehr schnell zu tückischen Fluten kommen.

Vor allem der Boden ist ein leistungsfähiger Wasserspeicher. Wiesen und Wälder nehmen wesentlich mehr Wasser auf als Ackerland. Bei anhaltenden Regenfällen füllt sich der Unterboden mit Wasser. Langsam lässt seine schwammartige Wirkung nach. Schließlich nimmt er kein Wasser mehr auf. Er wirkt dann wie versiegelt. Alles Regenwasser wird oberirdisch abgeleitet.

Zunehmende Besiedlung und Versiegelung

Greift der Mensch in die naturgegebenen Speicher ein und verändert sie, hat das unmittelbare Auswirkung auf das Verhalten bei Starkregen. Dichter Bewuchs, kleinparzellige Bewirtschaftung und hangparallele Bodenbearbeitung vergrößern den Flächenrückhalt bei anhaltendem Regen, da das Wasser mehr Zeit zum Versickern hat. Doch diese kleinteilige Kulturlandschaft ist verschwunden. Der Boden ist durch großflächige Versiegelung belastet.

Die Siedlungs- und Verkehrsfläche lag im Deutschen Reich um 1900 bei drei Prozent des Bodens. Heute liegt sie in der (allerdings viel kleineren) Bundesrepublik bei zwölf Prozent. Deichbau und dergleichen mehr haben die Überflutungsflächen stark reduziert. Heute sind vier Fünftel der ehemaligen Überschwemmungsgebiete an Elbe und Rhein durch Deiche abgetrennt und werden anderweitig genutzt. Dieselbe Entwicklung nimmt der Bodenverbrauch. Die verfügbare Wohnfläche je Einwohner hat sich von 1950 bis heute von 15 auf 47 Quadratmeter erhöht. Allerdings hat auch die Waldfläche leicht zugenommen.

Durch die zunehmende Versiegelung und Zersiedelung der Landschaft verschwinden Überschwemmungsgebiete und fließt das Wasser schneller ab. So hat sich am Oberrhein zwischen 1955 und 1977 die Laufzeit der Hochwasserscheitel von Basel nach Karlsruhe auf einen Tag halbiert. Das Wasser des Rheins trifft damit viel häufiger auf die normalerweise vorauslaufenden Hochwasser von Neckar, Nahe und Mosel. Die Hochwasser sind bis zu 30 Zentimeter höher geworden.

Der Boden ist wichtig

Erstes Ziel eines vorausschauenden Hochwasserschutzes ist die Erhaltung des Bodens und die Verbesserung seiner hydrologischen Eigenschaften sein. Es muss so viel Wasser wie möglich so lange wie möglich auf der Fläche gehalten werden, damit es Zeit zum Versickern hat. Das erfordert eine Vergrößerung der Fläche. Ausgedeichte Bereiche müssen den Flüssen zurückgegeben, ihre Auen wiederbelebt werden. Solche Renaturierungsmaßnahmen reduzieren die Fließgeschwindigkeit. Dadurch lagern sich mehr Sedimente ab, das Flussbett hebt sich, und damit ergibt sich ein insgesamt höherer Wasserstand. Nur so kann der Fluss, falls notwendig, ausreichend weit ausufern und sich in die offenen Auen ergießen.

Naturnahe Maßnahmen werden aber in keinem Fall ausreichen, ein starkes Hochwasser zu meistern. Für den notwendigen technischen Hochwasserschutz muss ein definiertes Schutzziel gesteckt werden, das es zu erreichen gilt. Das so genannte Bemessungshochwasser richtet sich z. B. nach einem 20-jährlich zu erwartenden Extremhochwasser. Steigt das Wasser darüber hinaus, kann kein Schutz gewährt werden. Technischer Schutz ist aufwendig und teuer. Aufwand und Schutzgewinn müssen sich die Waage halten; gleichzeitig müssen die Folgen der Ober- und Unterlieger berücksichtigt werden. Diese Strategie hat allerdings ihre Tücken.

Als das große Hochwasser 1882/83 die Deiche zerstört hatte und große Gebiete der Oberrheinniederung unter Wasser gesetzt hatte, wurden die neuen Deiche viel höher gebaut. Das Vertrauen in die neuen Bollwerke hält bis heute an. Da der Mensch schnell vergisst, sind in den letzten Jahrzehnten Wohn- und Gewerbegebiete immer weiter in die deichgeschützten Rheinniederungen vorgedrungen. Die an sich geschützten Gebiete werden so zu gefährdeten Bereichen. Bricht irgendwann ein Deich, werden die Niederungen schlagartig überflutet werden.

Die Oberrheinniederung ist aber kein Einzelbeispiel, sie ist typisch für alle Flussniederungen in Deutschland. Dazu muss der Deich gar nicht überflutet werden. Ein Deich altert und kann brechen, wenn der Wasserdruck entsprechend groß wird. Denn bei jedem Anstau des Deiches werden feine Teilchen aus Deich und Untergrund herausgespült. Die langfristige Aushöhlung eines Deiches kann dann noch durch Wühltiere verstärkt werden. Deiche müssen also regelmäßig gewartet und instandgesetzt werden. Das wird alleine für den Rhein mehr als 500 Mio. Euro kosten.

Gebauter Hochwasserschutz ist teuer

Darüber hinaus dienen Talsperren und Rückhaltebecken als aktiver Hochwasserschutz. Sie haben den Nachteil, dass sie mehrere Tage Vorwarnzeit benötigen. Die Polder am Oberrhein können deshalb nicht für den Kölner Raum genutzt werden. Darüber hinaus ist Rückhalteraum sehr teuer. Die Kosten liegen je nach Größe zwischen fünf und 25 Euro je Kubikmeter Wasser. Um beispielsweise den Pegel in Köln für zwölf Tage um sechs Zentimeter zu senken, müssen 100 m³/s aufgefangen werden. Das entspräche einem Volumen von 100 Mio. Kubikmetern und benötigte ein Investitionsvolumen von mindestens einer halben Milliarde Euro.

Für alle Flüsse gilt, dass bei jeder finanzierbaren Hochwasserschutzmaßnahme immer ein Risiko übrigbleibt. Hinzu kommt der Faktor Mensch mit seiner Neigung, zu vergessen und permanent Vermögen anzuhäufen. Beispielsweise wiegt die Errichtung einer Hochwasserschutzmauer für ein 20-jährliches Hochwasser die Anwohner in einer trügerischen Sicherheit. Als die so geschützte Kölner Altstadt im Dezember 1993 überflutet wurde, entstanden Schäden von 110 Mio. DM. Ein Jahr später war der Schaden nur halb so hoch, obwohl das Wasser sogar etwas höher stieg, da die Anwohner ihr Hab und Gut besser gesichert hatten. Mit dem Wohlstand steigt das Schadenspotenzial eines Hochwassers. Das tut es im Vergleich zum Bruttosozialprodukt sogar überproportional.

An der Kulturlandschaft Rhein mit seinen Nebenflüssen Neckar, Mosel, Main und Saar lässt sich der menschliche Einfluss auf das Hochwasser sehr gut erkennen. Am Oberrhein arbeiten sich die Anwohner seit zweihundert Jahren ab. Es begann mit der Rektifikation zwischen 1817 und 1880 durch Tulla. Zwischen 1907 und 1956 wurde er als Wasserstraße weiter ausgebaut (Rheinseitenkanal unterhalb von Basel). Der Bau von Staustufen und Hochwasserdämmen, Mäanderdurchstiche und Kurvenstreckungen reduzierten das natürliche Überschwemmungsgebiet von 950 auf 450 Quadratkilometer. Der Elbe ist es nicht viel besser ergangen. Ihr Überflutungsgebiet betrug einst 6200 Quadratkilometer, lag 1900 bei 1500 Quadratkilometern; heute sind es noch 840 Quadratkilometer. Die Tschechoslowakei hat die Elbe im 20. Jahrhundert systematisch verbaut. 24 Hochwasserstauräume, Wehre und Talsperren befinden sich heute am Oberlauf.

Klimatische Ursachen

Extreme Hochwässer entstehen zurzeit in Mitteleuropa vor allem als Folge großflächiger Starkniederschläge, die auf Einzugsgebiete mit hoher Abflussbereitschaft fallen. Darunter versteht man gefrorenen oder wassergesättigten Boden oder die Zeit der Schneeschmelze. Dem gegenüber waren die wesentlich höheren katastrophalen Hochwasser von Rhein, Elbe und Moldau im 17. und 18. Jahrhundert vor allem Eisstau- und Eisaufbruch-Hochwasser (z. B. 1784, vgl. Tab. 2). Das war die Zeit der kleinen Eiszeit. Es war damals kälter als heute; infolgedessen gab es häufiger zugefrorene Flüsse.

Eine kleine Episode von der Memel soll erläutern, welchen Eindruck ein Eisaufbruchhochwasser auf die Menschen machen kann. Nach 1945 kamen Siedler an die Memel, die die Tücken des Strom gar nicht kannten. Der Unterlauf ist im Winter manchmal noch zugefroren, während der Oberlauf eisfrei ist. Drückt nun das strömende Wasser des Oberlaufs am Unterlauf von unten auf die Eisdecke, beginnt es zu stöhnen und zu knacken, bevor das Eis aufbricht und eine eisige Überschwemmung droht. Die Anwohner gerieten deshalb die ersten Jahre immer so in Panik, dass die Sowjetarmee zu ihrer Beruhigung den zugefrorenen Mündungskegel der Memel bombardierte.

Kastentext: Hochwasserschutz

Die Vermeidung von Hochwasserschäden ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Neben der Erhaltung und dem Ausbau natürlicher und technischer Hochwasserschutzeinrichtungen gehört dazu die politische Vorgabe, keine Baugenehmigungen in besonders gefährdeten Niederungen mehr zu gewähren.

Kastentext: Wasserbau in Deutschland

Die Länge qualifizierter Hochwasserdeiche und -schutzmauern im Binnenland beträgt 7500 Kilometer. Es gibt 500 Talsperren und Rückhaltebecken mit einem Volumen von 1000 Mio. Kubikmetern.

Kastentext: Ursachen und Resultat

Hochwasser ist das zufallsbedingte Resultat der gleichgerichteten Überlagerung einer großen Anzahl von Kombinationen verschiedener meteorologischen Situationen und hydrologischer Gebietszustände.

Kastentext: Sohlabsenkung

Am Niederrhein führten Bergsenkungen als Folge des Kohleabbaus zu unvermeidlichen Sohlabsenkungen mit einer regelrechten Mulde im Längsprofil des Flusses. Die für die Schifffahrt benötigten Buhnenwerke erhöhen die Sohlenrauheit, was sich bei Hochwasserabfluss bemerkbar macht.

Hochwasser-Infos im Internet

  • Umweltbundesamt www.umweltbundesamt.de/rup/hochwasser-workshop/praesentation/welcome.html
  • IKSR Rheinatlas 2000 www.iksr.org/rheinatlas/deutsch/text/text.htm

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