Arzneimittel und Therapie

Akute Atemwegserkrankungen: Neue Leitlinien zur Therapie bei Atemwegsinfektionen

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat die Vielzahl der in Prophylaxe und Therapie akuter Infektionen der oberen und unteren Atemwege verwendeten Arzneimittel hinsichtlich ihrer Evidenz bewertet. Dabei wurde deutlich, dass für viele Mittel kein hinreichender Wirksamkeitsnachweis vorliegt. Insbesondere wird auf die Bedeutung einer rationalen Antibiotikatherapie hingewiesen, um nicht nur Nebenwirkungen, sondern auch die Entwicklung von Resistenzen zu reduzieren.

Akute Infektionen der Atemwege oder "Erkältungen" sind eine der häufigsten Erkrankungen. Die derzeit vorliegenden klinischen Studien zu den verschiedenen Medikationen zur Prophylaxe und Therapie wurden entsprechend den Standards der evidence based medicine bewertet.

Aktive Influenzaimpfung ist die empfohlene Präventionsmaßnahme

Impfungen gegen Influenzavirus- und Streptococcus-pneumoniae-Infektionen sind bisher die einzigen nachgewiesenen Präventionsmaßnahmen bei akuten Bronchitiden und ambulant erworbenen Pneumonien. Der Nutzen der Influenza-Impfung ist durch eine Vielzahl an Studien gut belegt. Sie mildert den Krankheitsverlauf und verringert bei Menschen über 60 Jahre das Risiko von Pneumonie und Krankenhausaufnahme sowie Tod während Influenza-Epidemien um die Hälfte. Die akute Influenza-Impfung bleibt daher, insbesondere für Risikopatienten, die Maßnahme der ersten Wahl, da hiermit nachweislich Infektionsrate, Erkrankungstage, Komplikationen, Hospitalisationsfrequenz und Letalität gesenkt werden können.

Symptomatische Therapie beeinflusst nicht Erkrankungsdauer

Bei ausgeprägter Einschränkung des Befindens durch eine Infektion können symptomatische Maßnahmen wie schleimhautabschwellende Nasensprays, Analgetika oder bei quälendem trockenem Husten Antitussiva eingesetzt werden. Bei Auftreten einer Atemwegsobstruktion ist eine dem Schweregrad angepasste antiobstruktive Therapie erforderlich. Hier stehen unter anderem Beta2-Sympathomimetika, Anticholinergika, Theophyllin und Glucocorticosteriode zur Verfügung.

Insbesondere beim Einsatz von rezeptfreien Grippemitteln, die oft aus Wirkstoffkombinationen bestehen, handelt es sich um eine rein symptomatische Therapie, wodurch die Erkrankungsdauer nicht beeinflusst wird. Die Zusammensetzung vieler dieser Kombinationen entspricht nicht rationalen Prinzipien der Behandlung von Atemwegsinfektionen. Bestandteile dieser Kombinationen wie Antihistaminika, Analgetika und nichtsteroidale Antirheumatika können Ursachen auch schwerer unerwünschter Wirkungen sein.

Kaum klinische Studien für die Verwendung von Antitussiva

Vom akuten Husten (Dauer bis zu 3 Wochen), der im Zusammenhang mit akuten Atemwegsinfektionen auftritt, muss die chronische Form (" 3 Wochen) mit einer Vielzahl spezifischer Ursachen abgegrenzt werden. Neben den zentral wirkenden Husteninhibitoren wie Opioide, Noscapin und peripher wirkenden Substanzen wie z. B. Clobutinol, sind auch Sirups, Hustensäfte, Gurgellösungen, Hustenbonbons, Substanzen zur externen Anwendung (Salben zu thorakalen Einreibungen) und Inhalationspräparate gebräuchlich.

Charakteristika dieser frei verkäuflichen Mittel sind ihre pflanzlichen, meist für die Inhalation als angenehm empfundenen Komponenten und der bei Hustensäften hohe Zuckeranteil. Wissenschaftliche Untersuchungen, die die klinische Wirkung dieser Mittel evaluieren, fehlen.

Angesichts des häufigen Einsatzes von Antitussiva zur Behandlung akuter Atemwegsinfektionen liegen für diese Indikation erstaunlich wenige klinische Studien vor. Darunter finden sich keine Studien zur Beeinflussung des klinischen Verlaufs akuter Atemwegsinfektionen durch Antitussivagabe als klinischen Endpunkt. Hinsichtlich der symptomatischen Hustenreduktion bei akuten Atemwegsinfektionen erbrachten plazebokontrollierte klinische Studien selbst für die als Standardantitussivum angesehene Substanz Codein, aber auch für Dextromethorphan keine statistisch signifikante Überlegenheit gegenüber Plazebo bzw. Ergebnisse von nur fraglicher klinischer Relevanz.

Widersprüchliche Daten zum Einsatz von Expektoranzien

Laut Arzneiverordnungs-Report 2000 sind in Deutschland unter den am häufigsten verordneten Expektoranzien: Acetylcystein, Ambroxol, Bromhexin, Carbocistein und Emser Salz sowie Efeublätter-, Thymian-, Myrtol-, Cineol-, Ol. Spicae- oder Isländisch-Moos-enthaltende Phytopharmaka. Klinische Studien zur Expektoranzien finden sich fast ausschließlich zur Anwendung chemisch definierter Substanzen bei chronischen Lungenerkrankungen.

Vereinzelte positive Resultate zur Beeinflussung der akuten Bronchitis durch Phytopharmaka bedürfen der Bestätigung. Insgesamt sind die Ergebnisse der Studien zu Expektoranzien recht widersprüchlich. Nach einem Review der Cochrane Collaboration zur chronischen Bronchitis und COPD erbrachte die Gabe von Mukolytika bei diesen Indikationen lediglich eine geringe, allerdings statistisch signifikante Verminderung der Exazerbationsrate und eine etwas deutlichere Reduktion der Erkrankungstage.

Weitere Behandlungsmaßnahmen

Inhalationen von Wasserdampf werden bei akuten, meist viral verursachten Infektionen der Atemwege häufig angewendet und als angenehm empfunden. Klinische Studien zu derartigen Inhalationen zeigen jedoch nach einem Review der Cochrane Collaboration widersprüchliche Ergebnisse zur Beeinflussung der Erkältungssymptome, zumal die nasale Virenkonzentration unbeeinflusst bleibt.

Vitamin C zeigt keine Wirksamkeit bei der Prophylaxe von Erkältungskrankheiten. Die bei Gabe von Vitamin C beschriebene Reduktion der Krankheitstage um 8% ist klinisch nicht bedeutsam. Auch höhere Vitamindosen von 1 bis 3 g erbrachten keine Besserung bei der Behandlung von Erkältungen. In einer systematischen Übersicht kontrollierter klinischer Studien zur Immunmodulation mit Echinacea fand sich kein Beleg der Wirksamkeit bei Atemwegsinfektionen oder anderen Indikationen.

Auch für Zink liegen widersprüchliche Ergebnisse vor. Es gibt keine hinreichenden Belege, die eine Empfehlung von Zink für Erkältungskrankheiten rechtfertigen würden. Der Nutzen von Immunstimulanzien bei akuten Infektionen der oberen Atemwege ist nicht belegt.

Die Anwendung von Antihistaminika bei akuten Atemwegsinfektionen ist nicht durch entsprechende Studien gesichert und insbesondere bei Kindern wegen unerwünschter Wirkungen, wie z. B. Krampfanfälle, Halluzinationen und Miktionsstörungen, nicht unbedenklich.

Wirksamkeit von Lokaltherapeutika nicht belegt

Eine über das Gurgeln mit Wasser oder physiologischer Kochsalzlösung hinausgehende Wirksamkeit von Adstringenzien (Aluminiumverbindungen, z. B. Aluminiumchlorat, Drogenaufgüsse, z. B. Salbeiblätter, Ratanhiawurzel) ist bei Infektionen der Atemwege nicht durch adäquate Studien belegt. Auch für die topische Anwendung (z. B. Nasensalben, -tropfen, Gurgelwässer, Lutschtabletten) von Desinfizienzien/Antiseptika (z. B. Acriflavin, Hexetidin),

Lokalanästhetika (z. B. Lidocain, Benzocain), Lokalantibiotika (z. B. Bacitracin, Fusafungin, Tyrothricin) oder ätherischen Ölen (z. B. Eucalyptus, Campher, Menthol) liegen keine Belege zur Wirksamkeit durch kontrollierte klinische Prüfungen vor. Ganz im Gegenteil, es besteht sogar ein nicht unerhebliches, insbesondere allergenes Nebenwirkungspotenzial. Hinreichende Belege zum Einsatz von Homöopathika bei akuten Infektionen der oberen Atemwege finden sich nicht.

Antibiotikaeinsatz abwägen

In einer Metaanalyse, in die acht randomisierte, plazebokontrollierte klinische Studien einflossen, konnte gezeigt werden, dass bei (unkomplizierter) akuter Bronchitis durch eine Behandlung mit Antibiotika weder eine Beseitigung des Hustens noch die klinische Besserung nach 1 bis 2 Wochen signifikant verändert wurden. Lediglich die Nebenwirkungshäufigkeit fand sich bei der Therapie mit Antibiotika signifikant erhöht.

Die Antibiotikatherapie beeinflusst demnach kaum den klinischen Verlauf der akuten Bronchitis und stellt auch in Anbetracht der Nebenwirkungen einen möglichen Nutzen infrage. Basierend auf 11 randomisierten, kontrollierten Studien sowie einer Metaanalyse von 9 dieser randomisierten Studien ist der Nutzen der Antibiotikatherapie bei einer akuten Exazerbation der COPD belegt.

Häufig spontane Besserung der aktuen Sinusitis

Auch die medikamentöse Therapie von Patienten mit akuter und chronischer Sinusitis wurde entsprechend den Standards der evidence based medicine bewertet.

Die akute rhinogene Sinusitis entsteht meistens aus einer (oftmals Virus-bedingten) Rhinitis. Am Anfang der Erkrankung steht in vielen Fällen eine Schädigung des Flimmerepithels und des Mukoziliarapparates der Nase.

Jeder einfache Schnupfen kann grundsätzlich auch die Schleimhäute der Nasennebenhöhlen in Mitleidenschaft ("Begleitsinusitis") ziehen – sehr oft allerdings ohne klinische Symptomatik.

Wichtige Symptome sind eitriger Schnupfen, Kopf- und/oder Gesichtsschmerzen, behinderte Nasenatmung, Fieber, Krankheitsgefühl. Die metaanalytische Betrachtung von 6 Studien zur Behandlung der akuten Sinusitis zeigte hinsichtlich der Verbesserung klinischer Symptome eine signifikante Überlegenheit bei der Applikation unterschiedlicher Antibiotika versus Plazebo, wobei jedoch allein zwei Drittel der Fälle spontane Besserung oder Heilung zeigten.

Die Studien mit der größten Patientenzahl konnten dabei jedoch keinen signifikanten Vorteil gegenüber einer Plazebogabe demonstrieren. Bei der akuten Sinusitis ist die routinemäßige Verordnung von Antibiotika daher nicht gerechtfertigt. Auch Patienten mit katarrhalischer Sinusitis (geringes Krankheitsgefühl, seröse Sekretion), oft als Begleiterkrankung einer "Erkältung", benötigen keine Antibiotika. Bei nicht-eitrigen Sinusitiden ist die mehrfach tägliche Applikation schleimhautabschwellender Nasentropfen oder Nasensprays (z. B. Xylometazolin) indiziert. Sole-Inhalationen können den Heilungsprozess unterstützen.

Kastentexte Indikationen für eine Influenza-Impfung nach STIKO-Empfehlung

Personen mit erhöhtem Risiko für Komplikationen bei Influenza-Infektionen

  • Personen > 60 Jahre
  • Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen
  • Patienten mit chronischen Herz-Kreislauferkrankungen
  • Patienten mit chronischen Leber- und Nierenerkrankungen
  • Patienten mit Diabetes mellitus und anderen Stoffwechselerkrankungen
  • Patienten mit Immundefizienz, HIV-Infektionen
  • Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko z. B. medizinisches Personal
  • Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr

Nichtmedikamentöse Therapie chronischer Atemwegsinfekte

Die wichtigste nichtmedikamentöse Maßnahme zur Prävention insbesondere chronischer Atemwegserkrankungen besteht im Einstellen des Rauchens. Nichtmedikamentöse "Hausmittel" wie Dampfinhalationen, warme Getränke, Hals-, Brust- und Wadenwickel sowie lokale Wärme können das Wohlbefinden des Patienten bei akuten respiratorischen Infektionen steigern. Bei Fieber ist eine Reduzierung körperlicher Aktivitäten zu empfehlen und unbedingt auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten.

Literatur

Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Empfehlungen zur Therapie akuter Atemwegsinfektionen (einschließlich HNO-Bereich), Juli 2002. ck

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat die Vielzahl der in Prophylaxe und Therapie akuter Infektionen der oberen und unteren Atemwege verwendeten Arzneimittel hinsichtlich ihrer Evidenz bewertet. Dabei wurde deutlich, dass für viele Mittel kein hinreichender Wirksamkeitsnachweis vorliegt; die Ergebnisse der vorliegenden klinischen Studien sind sehr widersprüchlich.

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