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Arzneimittel und Therapie
Diabetes mellitus: Nateglinid – wirksam als Monotherapie und zur Kombina
Der kurz wirksame insulinotrope Glucoseregulator Nateglinid reguliert das bei Typ-II-Diabetikern schon frühzeitig gestörte Timing der Insulinausschüttung nach einer Mahlzeit und imitiert die physiologische Insulinsekretion. Damit ermöglicht die Substanz eine effektivere Kontrolle der prandialen Glucosewerte (2-Stunden-Werte) als Glibenclamid oder Metformin. Ebenso werden langfristig die HbA1c-Werte gesenkt. Prandiale Glucosespitzen sind nach Erkenntnissen neuerer epidemiologischer Studien als unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse bei Typ-II-Diabetikern erkannt worden.
Bedarfsorientierte Insulinsekretion
Eine Studie mit 152 Typ-II-Diabetikern hat belegen können, dass Nateglinid deutlich effektiver als der Sulfonylharnstoff Glibenclamid die postprandialen Glucosespitzen nach drei Testmahlzeiten senkt. Dabei wird unter Nateglinid die frühe Insulinsekretion der Beta-Zellen sehr rasch an- und die späte Insulinsekretion (Titrationsphase) bedarfsgemäß abgeschaltet. Bereits fünf bis zehn Minuten nach Beginn der Mahlzeit wird ein akuter erster Insulin-Peak erreicht, der weitgehend der physiologischen Insulinkinetik entspricht. Der Wirkmechanismus von Nateglinid ist glucoseabhängig. Daher wird die Insulinausschüttung gestoppt, sobald der Glucosespiegel Normwerte erreicht hat. Dieser "quick-on/quick-off"-Mechanismus von Nateglinid reduziert das Risiko für postprandiale Hypoglykämien erheblich und erlaubt ein einfaches Therapieschema: Das Medikament wird als 120-mg-Tablette ohne Dosistitration jeweils direkt vor den Mahlzeiten genommen.
Kombination mit Metformin
Vergleichsstudien haben deutlich gemacht, dass Nateglinid in Subgruppen mit therapienaiven Patienten die HbA1c-Werte ebenso effektiv senkt wie Metformin und dass vergleichbar viele Patienten unter der Monotherapie mit dem Glucoseregulator eine adäquate Blutzuckerkontrolle (HbA1c < 7%) erfahren. Nateglinid wirkt sowohl bei jüngeren Patienten als auch in der für Typ-II-Diabetiker typischen Altersgruppe der über 65-Jährigen sehr effektiv.
Eine Phase-III-Studie mit 701 Typ-II-Diabetikern hat zeigen können, dass Nateglinid aufgrund seines neuartigen Wirkmechanismus auch als Kombinationspartner von Metformin eine gute Blutzuckerkontrolle erzielt. Nach einer vierwöchigen Auswaschphase wurden die Patienten in einem randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Design über 24 Wochen entweder mit Nateglinid (120 mg vor drei Mahlzeiten) oder mit Metformin (500 mg zu drei Mahlzeiten) bzw. mit einer Kombination beider Medikamente behandelt. Die HbA1c-Werte gingen unter Nateglinid im Vergleich zum Ausgangswert um 0,5 Prozentpunkte und unter Metformin um 0,8 Prozentpunkte zurück. Unter der Kombinationsbehandlung war eine synergistische Wirkung zu beobachten: HbA1c nahm um 1,4 Prozentpunkte ab. Die Nüchternglucosewerte verringerten sich im Vergleich zu den Ausgangsdaten unter Nateglinid um 0,7 mmol/l, unter Metformin um 1,6 mmol/l und unter der Kombination um 2,4 mmol/l. Bei der Reduktion prandialer Glucosewerte nach einer Testmahlzeit waren die Nateglinid-Monotherapie und die Kombinationsbehandlung deutlich im Vorteil.
Leichte Nebenwirkungen wie Diarrhö oder Müdigkeit traten häufiger unter der Kombinationstherapie oder Metformin als unter Nateglinid oder Plazebo auf. Milde Hypoglykämien wurden bei 2% der mit Nateglinid, bei 1% der mit Metformin sowie bei 6% der mit der Kombination behandelten Patienten beobachtet. In der Nateglinid-Gruppe nahmen die Patienten im Mittel um 0,88 kg, unter der Kombinationsbehandlung um 0,17 kg Gewicht zu.
Beide Medikamente ergänzen sich durch komplementäre Wirkmechanismen und zeigen in der Kombination synergistische Effekte. Nateglinid senkt die HbA1c-Werte über eine Steigerung der Insulinsezernierung in der Frühphase und die Reduktion der prandialen Glucosespitzen. Metformin senkt in erster Linie die Nüchternglucosewerte, indem es die hepatische Glucoseproduktion verringert und die Insulinsensibilität verbessert.
Kombination mit Glitazonen
Auch in Kombination mit Glitazonen, die der Insulinresistenz entgegenwirken, entfaltet Nateglinid positive Effekte, wie erste Studien ergeben haben. Zusammen mit dem bei uns nicht zugelassenen Insulinsensitizer Troglitazon (600 mg täglich) erzielte Nateglinid über einen Behandlungszeitraum von 16 Wochen eine Reduktion der HbA1c-Werte um 1,68 Prozentpunkte im Vergleich zum Ausgangswert. Der synergistische Effekt der komplementären Kombinationspartner fiel auch in dieser Untersuchung auf: Die HbA1c-Reduktion war größer als die Summe der Einzelergebnisse unter den jeweiligen Monotherapien (unter Nateglinid -0,55 Prozentpunkte, unter dem Glitazon -0,75 Prozentpunkte). Die Nüchternglucosewerte gingen unter der Kombinationsbehandlung um 3,2 mmol/l zurück (Summe der Einzelergebnisse der Monotherapien -2,5 mmol/l). Da Troglitazon zwischenzeitlich vom Markt genommen wurde, beendeten nur 80% der Patienten die Studie regelrecht. In weiteren Studien wird derzeit der Effekt einer Kombinationstherapie mit Nateglinid plus Pioglitazon oder Rosiglitazon untersucht. Da Glitazone über ein weitgehend gleiches Wirkpotenzial verfügen, erwartet die Forschungsgruppe ähnlich gute Ergebnisse wie in der Troglitazon-Studie.
Gutes Sicherheitsprofil
Das Hypoglykämierisiko ist mit dem unter Metformin vergleichbar und signifikant geringer als unter Glibenclamid. Auswirkungen auf die Nüchternlipidwerte oder andere Laborparameter wurden nicht festgestellt. Die Inzidenz kardiovaskulärer Ergebnisse unter der Therapie unterscheidet sich nicht von Plazebo, und die Behandlung wird auch von älteren Patienten über 65 Jahren gut vertragen.
Das Auslassen einer Mahlzeit ist möglich
Dass Patienten auch beim Auslassen einer Mahlzeit kaum mit Hypoglykämien rechnen müssen, hat eine Untersuchung mit 19 Typ-II-Diabetikern demonstrieren können. Die Patienten wurden in einem sechswöchigen Crossover-Design mit Nateglinid (120 mg zu drei Mahlzeiten), Glibenclamid (10 mg vor dem Frühstück) oder Plazebo behandelt. Am 42. Tag entfiel die Mittagsmahlzeit plus Medikation. Im Vergleich zu Glibenclamid reduzierte Nateglinid signifikant die Glucosespitzen nach dem Frühstück. Vier bis acht Stunden nach der Morgendosis zeigte die Glibenclamid-Gruppe jedoch signifikant geringere mittlere Glucose-Konzentrationen als die mit Nateglinid oder Plazebo behandelten Patienten (73 mg/dl vs. 120 mg/dl bzw. 132 mg/dl) sowie eine verlängerte Insulinsekretion. Hypoglykämien traten unter Glibenclamid deutlich häufiger auf als unter Nateglinid (fünf Fälle vs. ein Fall). Lässt der Patient also einmal eine Mahlzeit aus, ist das Hypoglykämierisiko deutlich geringer als unter einer Sulfonylharnstoff-Therapie. Das bedeutet einen erheblichen Zuwachs an Flexibilität bei der Anzahl und zeitlichen Gestaltung der Mahlzeiten.
Breites Indikationsspektrum
Nateglinid, dessen Zulassung im zweiten Quartal 2001 erwartet wird, kann nach den Empfehlungen der Diabetologen eingesetzt werden:
- als Firstline-Therapie bei neu diagnostizierten therapienaiven Typ-II-Diabetikern;
- bei Patienten, deren Blutglucosewerte mit Diät und körperlicher Aktivität nicht ausreichend kontrolliert werden können;
- bei älteren Patienten (auch mit Leber- und Nierenstörungen);
- bei Diabetikern mit Metformin-Unverträglichkeit;
- als Kombinationstherapie mit Metformin oder Glitazonen bei Typ-II-Diabetikern, deren Blutzuckerspiegel unter der jeweiligen Monotherapie nicht ausreichend kontrolliert werden kann;
- als Add-on-Therapie bei Patienten, die unter anderen Antidiabetika das Therapieziel fast erreichen.
Steckbrief Nateglinid
- Nateglinid ist ein Derivat der Aminosäure Phenylalanin.
- Nateglinid reduziert die prandialen Glucosespitzen, indem es die frühe Insulinsekretion nach einer Mahlzeit stimuliert.
- Nateglinid verfügt über einen rasch und kurz wirksamen Mechanismus (quick-on/quick-off), der die physiologische Insulinsekretion nachahmt.
- Die Hypoglykämiegefahr ist gering.
- Die insulinotrope Wirkung von Nateglinid ist glucoseabhängig.
- Nateglinid inhibiert nicht die Proteinbiosynthese der Beta-Zelle.
- Nateglinid wirkt hochspezifisch auf die K+-ATP-Kanäle der Beta-Zellen.
- Nateglinid ist bereits seit einem Jahr in Japan zugelassen und wird voraussichtlich ab dem zweiten Quartal 2001 auch in Deutschland unter dem Handelsnamen Starlix zur Verfügung stehen.
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