Arzneimittel und Therapie

Migräne bei Kindern: Entspannungstechniken sind gut geeignet

Migräne betrifft auch Kinder. Die Diagnosestellung ist schwieriger als bei Erwachsenen und kann einen längeren Beobachtungszeitraum erfordern. Neben nichtmedikamentösen Maßnahmen können auch bei Kindern Arzneimittel zur Attackenbehandlung und gegebenenfalls zur Migräneprophylaxe erforderlich werden.

Migräne ist keineswegs eine Erwachsenenkrankheit: Rund 45% aller Migräniker erkranken bereits vor dem 18. Lebensjahr, 4% sogar schon unter dem 5. Lebensjahr. Die Diagnose Migräne kann beim Erstereignis noch nicht gestellt werden; sie wird erst durch Erfassen der Kopfschmerzen über längere Zeit möglich.

Attacken sind meist kürzer

Bei Kindern sind Migräneattacken meist kürzer als bei Erwachsenen: Bei 37% der Kinder, aber nur bei 4% der Erwachsenen dauern sie weniger als zwei Stunden. Bei fast 70% der Kinder, aber nur 16% der Erwachsenen dauern sie weniger als sechs Stunden. Daher sollte das Diagnosekriterium Kopfschmerzdauer bei Kindern auf 1 bis 48 Stunden gesenkt werden. Außerdem kann der Kopfschmerz bei Kindern beidseitig sein; der einseitige Kopfschmerz ist für Migränekinder eher untypisch. Licht- und Geräuschempfindlichkeit müssen nicht gleichzeitig auftreten (Photo- und/oder Phonophobie).

Entspannungstechniken sind gut geeignet

Zur Behandlung der kindlichen Migräne kommen zunächst nichtmedikamentöse Maßnahmen in Frage, unter anderem:

  • Unterbrechung der Tagesaktivität
  • Reizabschirmung (Ruhe suchen)
  • Entspannung
  • Kritische Situationen (Auslöser) meiden

Kinder sprechen besonders gut auf Entspannungstechniken an. Mittel der Wahl ist die progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Problematisch bei der medikamentösen Behandlung ist, dass viele Substanzen nicht für Kinder zugelassen sind. Dies ist aber für Kinderärzte nichts Neues; die pädiatrische Off-Label-Pharmakotherapie (Behandlung mit für Kinder nicht zugelassenen Arzneimitteln) ist weit verbreitet.

Rektales Analgetikum bei leichten Attacken

Die leichte Migräneattacke wird mit einem Antiemetikum (Domperidon) und/oder einem rektal applizierten Analgetikum behandelt. Als Analgetika kommen Paracetamol, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure in Frage. Paracetamol muss sehr hoch dosiert werden: Es wird als "Bolus" mit etwa 35 bis 45 mg/kg Körpergewicht rektal gegeben. Die maximale Tagesdosis beträgt 100 mg/kg. Ibuprofen wirkt stärker analgetisch und zugleich antiphlogistisch. Acetylsalicylsäure ist extrem gut wirksam, wird aber aus Angst vor dem Reye-Syndrom bei jüngeren Kindern meist gemieden.

Triptane bei schweren Attacken

Zur Behandlung schwerer Migräneattacken kommen auch Triptane in Frage. Das einzige Triptan, Wirksamkeit bei Kindern bereits nachgewiesen wurde, ist Sumatriptan. Als Nasenspray wirkt Sumatriptan ebenso schnell wie subkutan. Vor der Anwendung von Sedativa ist eher zu warnen. So kann die Migräne nach einem durch Lorazepam oder Diazepam herbeigeführten Schlaf schlimmer als zuvor wiederkehren.

Bei Prophylaxe drohen Nebenwirkungen

Eine medikamentöse Migräneprophylaxe darf erst nach Versagen nichtmedikamentöser Verfahren begonnen werden. Ziel ist es, den Schmerzmittel- induzierten Dauerkopfschmerz zu verhindern, indem Intensität und Häufigkeit der Migräneattacken reduziert werden. Bei der medikamentösen Migräneprophylaxe ist die Aufklärung der Eltern besonders wichtig. Der Wirkungseintritt praktisch aller Prophylaktika ist nämlich verzögert. Außerdem kommt es unter einer Migräneprophylaxe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Nebenwirkungen. Die Prophylaxe kann beispielsweise durchgeführt werden mit:

  • niedrig dosierter Acetylsalicylsäure
  • Betablockern (dem Goldstandard)
  • Valproinsäure
  • Cyclandelat (bei Erwachsenen ebenso wirksam wie Betablocker, aber besser verträglich).

Kastentext: Reye-Syndrom

Das Reye-Syndrom ist ein Krankheitsbild mit schwerer Enzephalopathie, begleitet von Leberund Nierenfunktionsstörungen; hohe Letalität. Das Reye-Syndrom tritt vorwiegend bei Kindern auf, die während einer Virusinfektion mit Salicylaten behandelt werden.

nach H. P. T. Ammon: Arzneimittelneben- und -wechselwirkungen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 1991].

Quelle: Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, Erlangen, Workshop "Moderne Konzepte der Migränetherapie", Frankfurt, 4. März 2000, veranstaltet von 3M Medica, Borken.

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