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Preisverleihung: Internationaler Aspirin-Preis 1999
Bereits 102 Jahre sind seit der Synthetisierung der Acetylsalicylsäure vergangen. Im März dieses Jahres feierte der Markenname Aspirin seinen 100. Geburtstag. Obwohl es sich bei Aspirin also schon um ein recht "betagtes" Arzneimittel handelt, hat es doch bis heute nicht an Aktualität verloren. Immer wieder überrascht es mit neuen, bislang unvermuteten Effekten, mehr als 3500 wissenschaftliche Publikationen erscheinen jedes Jahr zum Thema Aspirin.
Längst schon sieht man in Aspirin nicht mehr nur ein einfaches Schmerzmittel, sondern einen Wirkstoff mit vielfältigen Indikationsmöglichkeiten. So wird Aspirin beispielsweise für die Primär- und Sekundärprävention von Herzinfarkt empfohlen. Weitere potenzielle Anwendungsgebiete sind Prävention von Schlaganfall und Thrombosen, Reduktion der Häufigkeit von Migräneattacken und Milderung des akuten Migräneanfalls, Primärprävention verschiedener Krebsarten sowie Verlangsamung des Verlusts von kognitiven Fähigkeiten im Alter.
Genügend Gründe für die Firma Bayer, nicht nur selbst Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet Aspirin mit Hochdruck zu betreiben, sondern auch Forschung außerhalb des Unternehmens zu unterstützen und zu honorieren. Seit 1995 verleiht Bayer zu diesem Zweck den internationalen Aspirin-Preis. Ausgezeichnet wird zum einen das Lebenswerk eines Wissenschaftlers mit dem "International Aspirin Senior Award", zum anderen werden Arbeiten von jungen Forschern mit dem "Aspirin Young Researchers' Award" gewürdigt. Ausgewählt werden die Preisträger von einem unabhängigen Komitee international anerkannter Wissenschaftler, wobei der Seniorpreisträger ohne vorausgehende Ausschreibung nominiert wird, wohingegen die Nachwuchsforscher sich aktiv um den Preis bewerben können.
Primär- und Sekundärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen
Mit dem diesjährigen Aspirin Senior Award wurde Prof. Dr. Charles H. Hennekens für seine umfassenden epidemiologischen Arbeiten gewürdigt, von denen sich ein Großteil mit dem Benefit von Acetylsalicylsäure in der Primär- und Sekundärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beschäftigte. So konnte Hennekens als Leiter der US Physicians' Health Study, die rund 22000 männliche Ärzte als Teilnehmer umfasste, nachweisen, dass die tägliche Einnahme von 325 mg Aspirin das Risiko eines ersten Myokardinfarkts um 44% senkt. Als Mitorganisator der Second International Study of Infarct Survival (ISIS 2), einer randomisierten Studie, an der mehr als 17000 Männer und Frauen mit einem Myokardinfarkt teilnahmen, gelang ihm der Nachweis, dass die tägliche Einnahme von 162,5 mg Aspirin über einen Zeitraum von 30 Tagen nach Auftreten des Infarkts in der Lage ist, die Mortalität um 23% sowie die Reinfarktrate um 49% und das Auftreten eines Schlaganfalls nach dem Infarkt um 46% zu senken.
Mit der Nurses' Health Study, einer seit 22 Jahren laufenden Studie an rund 40000 amerikanischen Krankenschwestern im Alter über 45 Jahren, untersucht Hennekens den Effekt von 100 mg Acetylsalicylsäure jeden zweiten Tag auf kardiovaskuläre Krankheiten. Die Ergebnisse dieser Studie werden laut Hennekens eine rationale Basis für den Einsatz von Aspirin in der Primärprävention von Herzinfarkt und Schlaganfall liefern.
NF-κB-Aktivierungsweg - neuer Angriffspunkt für ASS
Den "Aspirin Young Researchers' Award 1999" teilten sich Dr. Min-Jean Yin und Stefanie Oberle. Ihre Arbeiten wurden aus 24 internationalen Publikationen, alle in renommierten Fachzeitschriften erschienen, als beste ausgewählt. Dr. Min-Jean Yin erhielt den Preis für ihre in der Fachzeitschrift "Nature" erschienene Arbeit mit dem Titel "The anti-inflammatory agents aspirin and salicylate inhibit IκB kinase-β".
Hintergrund der Forschungsarbeit war die Erkenntnis, dass der Transkriptionsfaktor NF-κB eine wichtige Rolle bei der entzündlichen Immunantwort spielt. Aktiviert durch unterschiedliche Signale wird NF-κB (wie in der Abbildung gezeigt) freigesetzt und führt zur Transkription von Genen für entsprechende, an der Immunantwort beteiligte Proteine.
Aus therapeutischer Sicht ist der Signalübertragungsweg somit ein interessantes Ziel für Substanzen, die in diese Kettenreaktion eingreifen und die Bildung von NF-κB hemmen können. Dass Acetylsalicylsäure dazu in der Lage ist, weiß man schon seit einiger Zeit. Unklar war allerdings der Mechanismus, mit dem ASS in den NF-κB-Aktivierungsweg eingreift. Yin konnte diese Frage nun klären. Wie sie nachwies, hemmt ASS die Kinase IκB (IKK-β) und unterbindet dadurch die Phosphorylierung des NF-κB-Inhibitors IκB.
Interessanterweise scheint der Effekt spezifisch für Acetylsalicylsäure und Salicylsäure zu sein und auch der einzige Angriffspunkt der beiden Substanzen am NF-κB-Signalübertragungsweg. Die Ergebnisse von Yin geben nicht nur Aufschluss über den Wirkmechanismus von Acetylsalicylsäure, sondern haben auch die IKK-β als neuen möglichen Angriffspunkt für die Entwicklung von potenziellen antiinflammatorischen Wirkstoffen identifiziert.
ASS steigert Ferritin-Synthese in Endothelzellen
Einen im Zusammenhang mit Acetylsalicylsäure ungewöhnlichen Forschungsansatz verfolgte Stefanie Oberle, Doktorandin am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Martin-Luther-Universität Halle/Saale. Zusammen mit ihren Arbeitskollegen A. Abate, T. Polte und H.-P. Podhaisky untersuchte sie unter Anleitung von Prof. Dr. Henning Schröder den protektiven Effekt von Aspirin auf Endothelzellen. Die Verletzung von Endothelzellen ist einer der initialen Schritte bei der Entstehung von Arteriosklerose. Folge derartiger Verletzungen ist die Bildung von freien Radikalen, die dann über Zellschädigung, Erhöhung der Gefäßpermeabilität und Anlockung von Entzündungsmediatoren zur Entstehung der Arteriosklerose beitragen. Notwendiger Katalysator für die Radikalbildung ist freies cytosolisches Eisen.
Wie Stefanie Oberle zeigen konnte, ist Acetylsalicylsäure in der Lage, die Radikalbildung in Endothelzellen zu verringern, indem es der Zelle das dafür notwendige freie Eisen entzieht. Der Effekt wird dabei nicht durch direkten Angriff am Eisen vermittelt, sondern durch Induktion der Bildung von Ferritin. Dieses "fängt" als endogener Zellprotektor das cytosolische Eisen ab und nimmt der Radikalbildungsreaktion damit den notwendigen Katalysator.
Laut Oberles Ergebnissen ist Acetylsalicylsäure in der Lage, über einen zeit- und konzentrationsabhängigen Mechanismus die Ferritinsynthese in Endothelzellen um das 5fache des Basislevels zu erhöhen. Die für einen Effekt notwendigen ASS-Plasmakonzentrationen lagen dabei in einem Bereich, der problemlos über ein niedrig dosiertes antithrombotisches ASS-Therapieregime erreicht werden kann. Wie auch die Hemmung der IKK-β scheint der Effekt von Acetylsalicylsäure auf Ferritin spezifisch zu sein und wird nicht über andere NSAID wie Indomethacin oder Diclofenac vermittelt. Auch Salicylsäure zeigt den Effekt nicht, was dafür spricht, dass die Acetylgruppe für die Aktivierung der Ferritinsynthese notwendig ist.
Die Ergebnisse von Stefanie Oberle legen nahe, dass Aspirin einen protektiven Effekt bei der Entstehung von Arteriosklerose und Herzinfarkt spielt, wobei die Induktion der Ferritinsynthese und die dadurch bedingte Hemmung der Radikalbildung einen neuen antioxidativen Mechanismus darstellt.
Erstmals eine deutsche Arbeitsgruppe ausgezeichnet
Zum ersten Mal ging der Aspirin Young Researchers' Award in diesem Jahr an eine deutsche Arbeitsgruppe. Stefanie Oberle erhielt die Auszeichnung für ihre in der Fachzeitschrift Circulation Research erschienene Arbeit "Aspirin increases ferritin synthesis in endothelial cells: A novel antioxidant pathway" (S. Oberle, T. Polte, A. Abate, H.-P. Podhaisky, H. Schröder, Circulation Research 82: 1016-1020 [1998]). Hintergrund für ihr Studienobjekt waren NO-orientierte Untersuchungen, die in Zusammenarbeit mit der Stanford Universität durchgeführt wurden und zeigten, dass NO in der Lage ist, die Ferritinsynthese zu steigern. Auf der Suche nach einem Arzneistoff, der diesen Effekt ebenfalls vermittelt, kam man auf Acetylsalicylsäure.
Ein preisverdächtiges Forschungsgebiet. Bereits im vergangenen Jahr erhielt Prof. Dr. Ferid Murad von der Stanford Universität den Nobelpreis für die Entdeckung von NO. Bezeichnenderweise war er der Mentor von Prof. Dr. Henning Schröder, der nun als Doktorvater von Stefanie Oberle ebenfalls eine Preisträgerin in seiner Arbeitsgruppe vorweisen kann, die zudem zu den jüngsten Preisträgern zählt, die bislang mit dem Aspirin-Preis ausgezeichnet wurden.
Die DAZ gratuliert ganz herzlich und wünscht weiterhin viel Erfolg für die Forschungsarbeiten!
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