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Arzneimittel und Therapie
Diabetes bei Kindern: Ein ganz normales Leben?
Genetische Veranlagung und Umweltfaktoren
Die Diagnose eines Diabetes bei Kindern ist meist unproblematisch, denn die Symptome sind dramatisch: Bei 78% kommt es zu einer Polydipsie (krankhaft gesteigerter Durst) und bei 76% zu einer Polyurie (krankhaft gesteigerte Harnmenge). Außerdem ist der Blutzucker erhöht.
Als Ursache für den Typ-I-Diabetes wird ein autoimmunologisches Geschehen vermutet. Die Gene, die für diese Erkrankung prädisponieren, sind heute zwar bekannt, nicht bekannt sind jedoch der oder die auslösenden Umweltfaktoren. Die genetische Komponente ist stark: Je nach Datenquelle sind bei eineiigen Zwillingen in 50 bis 25% der Fälle beide erkrankt. Im Gegensatz zu anderen Autoimmunerkrankungen, die bei Frauen häufiger auftreten als bei Männern, sind vom Typ-I-Diabetes Jungen und Mädchen in gleichem Ausmaß betroffen.
Bei der Entwicklung der Krankheit scheint auch die Umwelt eine Rolle zu spielen. In der kalten Jahreszeit von Oktober bis April kommt es gehäuft zu Neuerkrankungen. Während in Finnland 50 von 100000 Menschen Typ-I-Diabetiker sind, sinkt diese Zahl für Deutschland auf 11,6, und in Mazedonien erkranken nur 3 von 100000 Einwohnern. Diskutiert wird unter anderem auch die Rolle von Schutzimpfungen. Diese führen nach heutigen Erkenntnissen nicht zu einem Anstieg der Diabetes-Häufigkeit, im Gegenteil, die Masern-Impfung scheint sogar davor zu schützen.
Jeden Tag erkranken in Deutschland vier Kinder neu
In Deutschland gibt es zirka 300000 Typ-I-Diabetiker, darunter rund 20000 Kinder und Jugendliche; vier Kinder erkranken pro Tag neu an Typ-I-Diabetes. Dabei ist in den letzten zehn Jahren eindeutig eine Zunahme zu verzeichnen. Möglicherweise spielt dabei die verbesserte Hygiene eine Rolle. So erkrankten genetisch prädisponierte Mäuse, die keimfrei aufgezogen wurden, zu 90% an Typ-I-Diabetes, ihre normal "schmutzigen" Artgenossen jedoch nur zu 30%.
Auch bei englischen Kindern wurde ein ähnliches Phänomen beobachtet: Kinder, die in der Innenstadt unter beengten Raumverhältnissen und eingeschränkter Hygiene aufwuchsen, entwickelten nicht so häufig einen Diabetes wie Kinder aus den reicheren Vororten. Auch Asthma bronchiale und Neurodermitis traten bei den Kindern aus den besser gestellten Familien häufiger auf. Wie man diesen Störungen des Immunsystems vorbeugen kann, ist heute noch unklar.
Die bestmögliche Blutzuckereinstellung anstreben
Kinder mit Diabetes führen ein fast normales Leben. Sie tollen im Kindergarten herum wie gesunde Kinder auch, gehen in die Schule und nehmen am Schulsport teil. Das alles ist nur möglich durch eine effiziente Therapie, bei der der Stoffwechsel durch die regelmäßige Gabe von Insulin so eingestellt wird, dass er der Situation des Gesunden möglichst nahe kommt.
Darüber hinaus lernen die Kinder - anfangs zusammen mit ihren Eltern, später dann alleine - in speziellen Schulungen, wie sie mit der Stoffwechselstörung umzugehen haben. Sie lernen, sich selbst den Blutzucker zu messen und sich das lebensnotwendige Insulin zu injizieren. Dabei wird ihnen vermittelt, wie sie spritzen müssen und wie sie die täglichen Insulindosen an ihren Lebensrhythmus und an ihr Ernährungsverhalten anpassen und gleichzeitig Stoffwechselentgleisungen und die gefährlichen Hypoglykämien vermeiden. Die Kinder lernen, mit ihrer Erkrankung im Alltag umzugehen, sie wissen, was eine Hypoglykämie ist, wie sie sich ankündigt und wie man sie abwendet.
Bei den Schulungen müssen altersspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. Mit sieben bis elf Jahren denken Kinder konkret in der Gegenwart, erst ab etwa elf Jahren sind formale Denkoperationen mit Abstraktion und Denken in Vergangenheit und Zukunft möglich. Die Kinder sollten bei den Schulungen nicht unterschätzt werden. Die kleinen Diabetiker sind bereits mit drei Jahren in der Lage, eine Hypoglykämie zu erkennen, mit vier können sie diese behandeln. Blut für die Messung können sie sich bereits mit drei Jahren entnehmen, den Blutzucker selbst messen mit sieben Jahren, mit acht Jahren können sie sich selbst Insulin injizieren und mit elf Jahren Insuline selbst mischen.
Die Insulintherapie dem Leben anpassen
Viele Probleme, die den Diabetikern in früheren Jahren das Leben schwer machten, sind heute weitgehend vermeidbar oder treten erst Jahre später auf. So gelingt es durch eine konsequente und möglichst normnahe Stoffwechseleinstellung, Folgekomplikationen vorzubeugen. Die Gefahr von Augenschäden, Nierenschäden und allgemein Gefäßveränderungen kann durch solche Strategien erheblich reduziert werden.
Gleichzeitig ist die Behandlung flexibler geworden, die jungen Diabetiker brauchen längst nicht mehr so starre Therapie- und Diätregeln einzuhalten wie früher. Die Behandlung kann heute an die individuellen Gegebenheiten angepasst werden, und die Insulintherapie kann sich an der sportlichen Aktivität und vor allem der Ernährung orientieren. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen lernen, durch regelmäßige Blutzuckermessungen und daran ausgerichtete Insulininjektionen ihren Blutzuckerspiegel entsprechend ihrer jeweiligen Situation auszutarieren.
Flexibel mit Insulin lispro
Eine flexible Behandlung ist durch die Injektion eines kurz wirksamen Insulins möglich. Das rasch wirksame Insulinanalogon Insulin lispro ist seit über einem Jahr auch für die Anwendung bei Kindern zugelassen. Bei Insulin lispro muss nicht mehr wie früher eine halbe Stunde gewartet werden, ehe mit dem Essen begonnen wird; der für viele Diabetiker so lästige "Spritz-Ess-Abstand" entfällt. Die Injektion erfolgt direkt vor oder in bestimmten Situationen sogar nach der Mahlzeit. Diese zweite Möglichkeit ist besonders bei der Behandlung von Kindern vorteilhaft, da oft nicht vorhersagbar ist, wie groß ihr Appetit sein wird. Die Insulindosis kann so der tatsächlich aufgenommenen Kohlenhydratmenge angepasst werden.
Durch die kürzere Wirkdauer des Insulins wird außerdem die Gefahr von Hypoglykämien geringer, und Zwischenmahlzeiten können entfallen. Die Situation unter einer solchen Behandlung gleicht mehr derjenigen des Gesunden, und die Therapie gibt den Betroffenen zudem mehr Flexibilität in der Mahlzeitengestaltung.
"Altersdiabetes" bei Kindern?
Der Typ-I-Diabetes - früher jugendlicher oder juveniler Diabetes genannt - ist mittelerweile längst nicht mehr die einzige Form der Kohlenhydrat-Stoffwechselstörung, an der Kinder erkranken. Vor allem in Kanada und Nordamerika mehren sich in den letzten Jahren die Fälle von Typ-II-Diabetes bei Kindern. Heute sind bereits 30 bis 40% aller neu erkrankten diabetischen Kinder Typ-II-Diabetiker. Von dieser Krankheitsform nahm man früher an, dass sie nur im höheren Lebensalter auftritt, und bezeichnete sie daher auch salopp als "Alterszucker". Die Störung wird vor allem bei übergewichtigen Kindern festgestellt, vorwiegend bei Kindern mit familiärer Diabetes-Belastung.
Die Erkrankungsursachen beim Typ-I- und beim Typ-II-Diabetes sind unterschiedlich:
- So geht man beim Typ-I-Diabetes von einer Autoimmunerkrankung aus, bei der die Betazellen der Bauchspeicheldrüse die Insulinproduktion einstellen.
- Grundlage des Typ-II-Diabetes ist eine verminderte Insulinempfindlichkeit der Körperzellen, die durch Übergewicht und körperliche Inaktivität gefördert wird.
Unterschiedlich sind daher auch die Therapiestrategien. Kinder mit Typ-I-Diabetes sind lebenslang auf die Zufuhr von Insulin angewiesen. Kinder mit Typ-II-Diabetes aber müssen abspecken und körperlich aktiver werden. Schaffen sie das, so normalisiert sich häufig der entgleiste Stoffwechsel.
Quelle: Prof. Dr. med. Eberhard Heinze, Universitäts-Kinderklinik Ulm; Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl, Diabetes-Zentrum Fürstenhof, Bad Kissingen; Dr. med. Thomas Forst, Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg. Presseworkshop "Lilly Diabetes Kolloqium 1999 - Diabetes und Kinder", Straßburg, 24. September 1999, veranstaltet von Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg.
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