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Zunehmende Bedeutung von Leitlinien
Der Vorstandsvorsitzende der Ersatzkassenverbände VdAK Herbert Rebscher erläuterte, wie evidence based medicine, deren Vordenker der kanadische Arzt Sackett und der britische Soziologe Cochrane sind, im deutschen Gesundheitswesen umgesetzt wird. International verfügbare Studien werden analysiert, was in Deutschland das Deutsche Cochrane-Zentrum an der Universität Freiburg leistet. Dann werde der Nachweis der Wirksamkeit einer medizinischen Behandlung, der das Kernkriterium für Leitlinien und deren Qualität sei, durch Ärzten und Krankenkassen bewertet. Rebscher verwies in diesem Zusammenhang darauf, daß mehr als 1500 Leitlinien im Internet verfügbar seien, hinter denen jedoch zum Teil Marketingaspekte von Firmen und geschickte Absatzstrategien pharmazeutischer Unternehmen steckten. In Deutschland erarbeiteten die Fachgesellschaften Behandlungsleitlinien.
Kritisch merkte der VdAK-Chef einige Risiken der evidence based medicine an wie die mangelnde Einflußnahme im wichtigen Krankenhaussektor durch niedergelassene Ärzte und Kassen. Skeptiker befürchteten zum Beispiel die Dominanz der rein naturwissenschaftlichen Schulbuchmedizin gegenüber der Erfahrungsmedizin oder auch die Diskriminierung alter gegenüber neuen Behandlungsmethoden. Wie Rebscher sagte, haben die Organisationen der Ärzte und Krankenkassen gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft die Etablierung einer Prüfinstanz für die Qualität medizinischer Leitlinien geplant.
Ärzte: Freiraum nötig
Dr. Rüdiger Pötsch lehnte jedoch eine "Kochbuch-Medizin" durch Leitlinien entschieden ab. Ärzte müßten mit ihren Patienten frei entscheiden können, ob sie Leitlinien berücksichtigen wollten, sagte das Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Nach Ansicht des Mediziners machen Leitlinien als Hilfestellung nur "bottom up" in der individuellen Arzt-Patienten-Beziehung Sinn, keinesfalls dürften sie "von oben herab" erlassen werden. Abweichungen müßten zum Schutz der Patientenbeziehung immer möglich sein, so Pötsch. Er lehnte es ab, Leitlinien als rechtsverbindliche Richtlinien mit Zwangscharakter einzuführen. Auch diagnostische und therapeutische Maßnahmen müßten in Zukunft nachweisgestützt angewendet werden. Insgesamt müsse sichergestellt werden, daß neue Erkenntnisse nicht ignoriert werden.
Leitlinien der Allgemeinmediziner
Beispielhaft wurden auf der Veranstaltung die neuen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) vorgestellt. Diese sollen Hilfestellung für eine im Einzelfall angemessene, bedarfsgerechte hausärztliche Grundversorgung sein, sagte Dr. Ferdinand Gerlach, Vorstandsmitglied bei der DEGAM. Eine erste unautorisierte Version zum Thema "Brennen beim Waserlassen" liege vor. Nach Worten von Gerlach müßten nicht in jedem Fall klinische Studien für Empfehlungen, sondern könnten auch Expertenmeinungen angegeben sein, da viele hausärztliche Vorgehensweisen noch nicht untersucht worden seien. Die Transparenz werde in jedem Fall erhöht, und wenn als Konsens festgestellt werde, daß noch nicht alles abschließend geklärt sei.
Fester Bestandteil des DEGAM-Konzepts sei die Beteiligung von Praxismitarbeitern und Patienten. Wie Gerlach sagte, tragen die Leitlinien ein "Verfalldatum" von wenigen Jahren, um die Aktualität der Empfehlungen zu gewährleisten.
Was sind Leitlinien?
JLeitlinien integrieren das beste verfügbare externe Wissen in bezug auf die Abfolge diagnostischer und therapeutischer Behandlungsschritte bei einem definierten medizinischen Problem unter Berücksichtigung medizinischer, struktureller und ökonomischer Bedingungen
(Definition der Ersatzkassenverbände VdAK)
JLeitlinien sind systematisch entwickelte Empfehlungen, die Grundlagen für die gemeinsame Entscheidungsfindung von Ärzten und deren Patienten zu einer im Einzelfall sinnvollen gesundheitlichen Versorgung darstellen.
(Definition der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin - DEGAM)
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