- DAZ.online
- News
- Politik
- Zuerst in die Apotheke
Seit Kurzem kursiert das Schlagwort der „Apotheke der Zukunft“. Zugleich ist aus der Standesvertretung vermehrt zu hören, dass die Apotheken künftig eine größere Rolle in der Primärversorgung spielen wollen. Bei der ABDA will man sich noch nicht öffentlich zu besagtem Konzept äußern. Manches drang aber doch schon nach außen. Ein Überblick.
Unter Primärversorgung versteht man die Erstberatung und medizinische Grundversorgung von Patient*innen – sie ist in Deutschland klassischerweise Aufgabe der Hausärztinnen und -ärzte. Doch da die hausärztliche Versorgung in immer mehr Regionen der Republik ausdünnt, müssen Gedankenspiele erlaubt sein, wie dieser Entwicklung beizukommen ist. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im März noch Primärversorgungszentren, die mit Gesundheitskiosken kooperieren, geplant – im ersten Referentenentwurf für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz. Doch die Ideen platzten schon lange vor dem Ampel-Crash, mit dem das gesamte Gesetzesvorhaben unterging. Lediglich einige Modellprojekte gibt es, in denen alternative Möglichkeiten der Primärversorgung gelebt werden und verschiedene Professionen vernetzt miteinander arbeiten.
Mehr zum Thema
ABDA auf Delegiertenkonferenz
Grüne wollen sich intensiv für Apothekenstärkung einsetzen
Kritik an Referentenentwurf
VdPP: Apothekenreform und Primärversorgungsansätze zusammendenken
In den vergangenen Jahren war es vor allem der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP), der Apotheken als mögliche Player in der Primärversorgung ins Spiel gebracht hat. Für ihn waren Gesundheitskioske daher kein Schreckgespenst, sondern eine Chance, pharmazeutische Kompetenz in die Primärversorgung einzubringen.
Neues Wording der ABDA-Präsidentin
Seit dem Sommer und insbesondere seit dem Ampel-Aus ist auch in den Standesorganisationen häufiger zu hören, dass Apotheken in der Primärversorgung eine stärkere Rolle spielen könnten. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening erklärte in ihrem Statement nach dem Bruch der Ampelkoalition, man habe dies den Gesundheitspolitiker*innen der einstigen Regierungskoalition angeboten – „beispielsweise durch neue Aufgaben in der Prävention oder im Bereich der Digitalisierung“. Auch in den folgenden Tagen, als die Präsidentin Gespräche mit den Bundestagsabgeordneten Tino Sorge (CDU) und Andrew Ullmann (FDP) sowie auf dem Parteitag der Grünen führte, fiel immer wieder ganz selbstverständlich das Stichwort Primärversorgung.
Wie erkläre ich es den Ärzten?
Dabei handelt es sich um ein heikles Unterfangen – die Ärzteschaft reagiert bekanntlich höchst empfindlich, wenn sie „Wilderei“ in ihrem Hoheitsbereich wittert. Reflexartig folgt in der Regel der Ruf nach einem Dispensierrecht. Es ist also viel Feingefühl erforderlich, solcherlei Ideen in die Öffentlichkeit zu bringen. Erst recht, nachdem sich Ärzte- und Apothekerschaft in diesem Jahr immer wieder im Schulterschluss gegen Lauterbachs Reform aufgestellt haben.
Ausgangspunkt Perspektivpapier 2030
Woher rührt nun also der neue Primärversorgungs-Wind der ABDA? Im Perspektivpapier „Apotheke 2030“, das im Jahr 2022 ein Update erhalten hat, ist die Begrifflichkeit nicht zu finden, auch wenn dort vieles angelegt ist, das weiterhin aktuell ist. Das Schlagwort Primärversorgung kommt aus dem Konzept für die sogenannte Apotheke der Zukunft, das aus dem Perspektivpapier abgeleitet sein dürfte.
Genese hinter verschlossenen Türen
Claudia Korf, Geschäftsführerin Ökonomie der ABDA, stellte erste Eckpunkte dieses Konzepts am 8. November beim Apothekerforum Brandenburg vor. Seine Genese erläuterte sie nicht näher. Nur, dass die ABDA bei den Reformbemühungen aus dem Hause Lauterbach nicht nur auf der Bremse gestanden habe. Sie habe sich vielmehr in Klausur begeben und ein Zukunftskonzept entwickelt – eigentlich in Vorbereitung auf Bundestagswahlen im Herbst 2025. Doch jetzt werde es sofort gebraucht.
Bei der Kammerversammlung der Apothekerkammer Brandenburg, die einige Tage später stattfand, zeigte sich Präsident Jens Dobbert irritiert, dass Frau Korf überhaupt über das Thema gesprochen hatte. So wie er es schilderte, sei im Sommer eine „Taskforce“ der ABDA eingesetzt worden, um das Konzept zu erarbeiten. Am 23. Oktober sei der Gesamtvorstand über die Besetzung dieser Arbeitsgruppe und erste Ergebnisse informiert worden – zugleich habe man „absolute Verschwiegenheit“ verordnet bekommen. Die Präsentation sollte den Mitgliedern des Gesamtvorstandes zeitnah zur Verfügung gestellt werden, damit sie erst einmal innerhalb der Kammervorstände diskutiert werden können.
Bei der Kammer Brandenburg kamen sie aber erst kurz vor der Kammerversammlung an – da hatte Frau Korf ihren Vortrag längst gehalten und die Fachpresse darüber berichtet. Dobbert merkte an, dass eine ausführliche Diskussion zum Zukunftskonzept im ABDA-Gesamtvorstand noch nicht stattgefunden habe.
Die inhaltlichen Eckpunkte
Doch was steckt nun inhaltlich drin in der „Apotheke der Zukunft“? Als mögliche Geschäftsfelder nannte Korf die direkte Versorgung bei unproblematischen Erkrankungen, wie etwa Harnwegsinfekten, Allergien oder Konjunktivitis – dabei sollten sie auch selbst Verordnungen auslösen können. Ebenso sollten Apotheken Wiederholungsverordnungen für gut eingestellte chronisch Kranke ausstellen können. Im Notdienst könnte in Apotheken sogar eine Triage erfolgen – gegebenenfalls auch mit der Abgabe eines Rx-Arzneimittels im Notfall. Verschiedene Leistungen, die die Therapietreue steigern können, zählen ebenfalls zum Konzept.
Daneben besteht das Feld der Digitalisierung – „die müssen Apotheken eh können – dann können sie es auch anderen näherbringen“, so Korf. Es geht um Pflege und Erklärung der elektronischen Patientenakte und des elektronischen Medikationsplans, die Durchführung von Ident-Verfahren – auch wenn diese vorerst nicht so schnell realisiert werden. Also Aufgaben, die gesetzgeberisch ohnehin schon angelegt sind. Überdies sieht die ABDA Apotheken als erste Anlaufstelle für die assistierte Telemedizin. Prävention und Gesundheitskompetenz sind weitere Schlagworte für die Apotheke der Zukunft.
Arzneimittelversorgung bleibt Kernaufgabe
Auch Korf stellte klar, dass es sich beim Schritt in die Primärversorgung mit Blick auf die Ärzteschaft um eine konfliktgeladene Entscheidung handele. Dennoch zeigte sie sich überzeugt, dass die Apothekerschaft diesen Weg gehen müsse. Die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags zur Arzneimittelversorgung stehe selbstverständlich weiterhin im Zentrum. Diese Kernaufgabe werde aber flankiert zum einen von neuen pharmazeutischen und telemedizinischen Dienstleistungen sowie einfachen medizinischen Routineleistungen, zum anderen von digitalen Services. Letztere müssten natürlich honoriert sein. Doch Korf ist überzeugt: Das würde sich lohnen. Schließlich würde das gesamte System so entlastet.
Die ABDA will also vermitteln, dass Apotheken als Teil der Lösung eines Primärversorgungsproblems gesehen werden müssen. Dabei sei es sinnvoll, in sie zu investieren, statt an ihnen zu sparen. Die Gesellschaft erwarte, dass Apotheken Teil der Gesundheitsversorgung vor Ort sind – und „Wir sind da“ ist schließlich ein Slogan der Apothekerschaft.
Aus allem, was die DAZ bislang zum Thema zusammentragen konnte, lässt sich schließen: In der Apotheke der Zukunft gibt es neben dem Kerngeschäft eine Reihe weiterer möglicher Aufgaben, um sich als Gesundheitsdienstleister in der Primärversorgung zu etablieren. Zugleich sollen Kooperationen im Gesundheitswesen ausgebaut werden. All dies soll zum Nutzen der Patientinnen und Patienten geschehen. Die Rede ist auch vom Apotheker als Lotsen. Herangezogen werden dazu Lösungsansätze aus dem Ausland – beispielsweise Pharmacy First im britischen Sinne. Ein endgültig abgestimmtes Konzept liegt zwar noch nicht vor. Es ist aber anzunehmen, dass sich die ABDA angesichts der nahenden Bundestags-Neuwahl nun möglichst rasch und klar positionieren will.
1 Kommentar
Zuerst in die Apotheke
von Roland Mückschel am 29.11.2024 um 8:12 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Kommentar abgeben