Entscheidung in Potsdam

Klagen gegen pDL-Schiedsspruch abgewiesen

Potsdam - 23.10.2024, 15:00 Uhr

(Foto: Sucker-Sket)

(Foto: Sucker-Sket)


Die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) haben Bestand. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat an diesem Mittwoch die Klagen des GKV-Spitzenverbandes und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gegen den hierzu ergangenen Schiedsspruch abgewiesen.

Mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG), das Ende 2020 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber die Grundlage für die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) geschaffen (§ 129 Abs. 5e SGB V). Die Details sollten GKV-Spitzenverband und Deutscher Apothekerverband (DAV) bis Ende Juni 2021 regeln – insbesondere, welche pDL konkret erbracht werden sollen und wie viel Geld es dafür gibt. Doch diese Verhandlungen fruchteten nicht und die Schiedsstelle wurde angerufen. 

Auch vor der Schiedsstelle verliefen die Verhandlungen zäh. Drei Termine gab es, bis im Mai 2022 ein Beschluss fiel, der die bekannten fünf pDL samt Vergütung festlegte. Der DAV war mit dem Schiedsspruch zufrieden, die GKV-Seite jedoch nicht. Ihr war die Vergütungshöhe aller pDL ein Dorn im Auge, zudem monierte sie die Dienstleistung „Standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck“, die aus ihrer Sicht gar keine wirkliche pharmazeutische Leistung ist, sondern nur eine Messung, die Patienten ebenso gut selbst vornehmen können. 

GKV-Spitzenverband und KV Hessen ziehen vor Gericht

Der GKV-Spitzenverband erhob wegen dieser beiden Punkte Klage vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Und er blieb nicht allein mit seiner Kritik. Auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen war ganz und gar nicht einverstanden mit dem Schiedsspruch. Sie reichte nicht nur eine normale Klage ein, sondern versuchte auch in einem Eilverfahren, die pDL in ihrer Gesamtheit möglichst schnell zu stoppen – denn die Klage an sich hat in dieser Art von Gerichtsverfahren keine aufschiebende Wirkung. Die KV argumentierte, ihrem Sicherstellungsauftrag nicht hinreichend nachkommen zu können, wenn Apotheken derart in die Therapiehoheit der Ärztinnen und Ärzte eingriffen. Den Eilantrag wies das Landessozialgericht im Dezember 2022 ab. Es hielt ihn schon für nicht statthaft und überdies die Sache nicht für eilbedürftig. 

Bald zwei Jahre später fielen am heutigen Mittwoch die Urteile in beiden Klageverfahren. Nach zweieinhalb Stunden Verhandlung sowie ergebnislosen Vergleichsberatungen wies das Gericht beide Klagen zurück. 

In der Verhandlung hatte der Vorsitzende Richter Wolfgang Seifert schnell klargestellt, wie sein Senat die Klage der KV Hessen sieht: Für ihn scheitert sie bereits an der Zulässigkeit. Die KV ist durch den Schiedsspruch gar nicht betroffen, er richtet sich nicht an sie. Sofern die KV darauf verwiesen habe, dass schon die zugrundeliegende gesetzliche Regelung zu bemängeln sei, machte der Richter deutlich, dass die Schiedsstelle nicht sagen könne: sie entscheide nicht, weil das Gesetz schlecht sei. Die Vertreterin der KV machte vor Gericht jedoch deutlich, dass der KV-Vorstand ein Urteil wolle. 

Was die Klage des GKV-Spitzenverbandes betrifft, so unterschied der Vorsitzende Richter den Teil zur Vergütung und den zur Blutdruck-pDL. Was die Vergütung angeht, verwies er auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das Schiedsstellen in dieser Hinsicht bereits einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden hat. Auch bei der Begründung, wie eine Schiedsstelle beispielsweise zu konkreten Preisen kommt, seien die Erfordernisse nicht hoch. Tatsächlich hatte die Schiedsstelle um den unparteiischen Vorsitzenden Rainer Hess ziemlich genau gerechnet, um auf die Vergütungen für die einzelnen pDL zu kommen. Minutengenau und mit Formeln wurde gearbeitet. Zugleich wurde festgehalten, dass bei der Medikationsberatung nochmals neu verhandelt werden müsse, wenn es eine Software für Apotheken gibt, die die Arbeitszeit der Apotheken deutlich verkürzen kann. 

„Überobligatorische“ Berechnungen

Der Vorsitzende Richter fand das an sich wohl nicht schlecht – doch dem Bundessozialgericht reichen offenbar auch weniger detaillierte Berechnungen. Für dieses seien solche Berechnungen, wie sie im beanstandeten Schiedsspruch vorgenommen wurden, „überobligatorisch“, wie Seifert ausführte. Und so tue sich auch sein Senat schwer, an der Vergütung etwas Beanstandenswertes zu finden. 

Nicht ganz so eindeutig sei die Sache bei der pDL der Standardisierten Risikoerfassung hoher Blutdruck. Dem Gesetz lasse sich nicht entnehmen, was genau der Gesetzgeber sich unter pharmazeutischen Dienstleistungen vorstelle, erklärte der Vorsitzende Richter. Es sei ihm in erster Linie darum gegangen, in den Apotheken vor Ort Leistungen zu etablieren, die Versandapotheken nicht erbringen könnten. Und es liege nahe, dass es mehr sein müsse als apothekenübliche Leistungen, zu denen Blutdruckmessungen bereits zählten. Tatsächlich habe er selbst sich nach dem Lesen der Standard-Arbeitsanweisung zu dieser pDL auch überlegt, wo die eigentliche Leistung liege, räumte Seifert ein. Denn dort ist keine ausdrückliche Beratung nach der Messung vorgesehen. 

Zu diesem Punkt kamen DAV- und GKV-Vertreter:innen ausführlich zu Wort, ebenso der Schiedsstellenvorsitzende Hess. Die GKV-Vertreterin Petra Kraftberger pochte darauf, dass die beanstandete pDL nicht einmal den Patientinnen und Patienten nutze – die bloße Messung ohne eine pharmazeutische Beratung habe „nicht einen Hauch einer pharmazeutischen Leistung“. Nina Griese-Mammen, Abteilungsleiterin Wissenschaftliche Evaluation der ABDA, verweis hingegen auf gute Daten, die zeigten, dass schon die Sensibilisierung der Patienten und Patientinnen durch die Blutdruckerfassung in der Apotheke etwas bringe und die Therapietreue stärke. Es sei eine „unglaublich sinnvolle und wertvolle Leistung“ für sie. 

Vergleichsberatungen

Der Vorsitzende regte schließlich einen Vergleich an: Denkbar wäre, dass es bei den Preisen bleibt, aber auf die Blutdruck-pDL verzichtet wird. Dazu merkte Hess an, dass es kein Verzicht sein müsse, sondern auch die Konkretisierung dieser Dienstleistung möglich sei. Denn es sei tatsächlich so, dass im Schiedsspruch in diesem Punkt nach den langwierigen Verhandlungen bis spät in den Abend ein Fehler unterlaufen sei: Die eigentlich vorgesehene Beratung nach der Messung war herausgefallen – obwohl eigentlich alle davon ausgegangen seien, dass sie stattfinden solle. Wenn man nun bestimme, dass am Ende der Messung eine verpflichtende Beratung stattfinde, wäre dies auch ein Kompromiss für einen Vergleich.

Nachdem sich DAV- und GKV-Vertreter:innen eine Weile für sich beraten hatten, kam es letztlich aber zu keinem Vergleich. Die GKV-Seite wollte keine Konkretisierung, wie sie der DAV mitgetragen hätte, sondern die pDL Standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck ganz gestrichen haben. Ihr Entgegenkommen an die Apothekerschaft wäre es gewesen, nicht auf Rückzahlungen der Vergütung zu bestehen.  

Das Gericht muss entscheiden

Für den DAV zahlte es sich aus, sich nicht auf einen Vergleich eingelassen zu haben. Das Gericht wies am Ende beide Klagen vollumfänglich ab. Wie nicht anders zu erwarten war, hielt es die Klage der KV Hessen, die sich gegen den Schiedsspruch in seiner Gesamtheit richtet, für unzulässig. Mit Blick auf die Klage des GKV-Spitzenverbandes gestand der Senat der Schiedsstelle einen weiten Gestaltungsspielraum und einen geringen Begründungsaufwand zu. Bei der Vergütung lasse die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine andere Entscheidung zu. Was die konkrete pDL betrifft, nehme der Senat ebenfalls einen weiteren Spielraum an, der ebenso schon den Vertragspartnern in ihren Verhandlungen zugestanden hätte. Was die vom GKV-Spitzenverband vermisste Evidenz betrifft, so sei die Schiedsstelle nun einmal limitiert durch ihre begrenzte Ausstattung und den Zeitdruck, unter dem sie stehe: Sie müsse die Studienlage nicht weiter ermitteln als von den Parteien dargelegt.

Revision zugelassen

Die Revision zum Bundessozialgericht wurde in beiden Verfahren zugelassen. Nach Auskunft der Vertreterin der KV Hessen ist damit seitens der KV allerdings nicht zu rechnen. Der GKV-Spitzenverband will erst einmal die schriftliche Begründung abwarten.

Für den DAV-Vorsitzenden Hans-Peter Hubmann sind die Entscheidungen des Gerichts „gute Nachrichten für alle Patientinnen und Patienten“. Sie bestätigten den vom DAV eingeschlagenen Weg. „Unsere Angebote verbessern nachhaltig die Arzneimitteltherapiesicherheit und die Effektivität der medikamentösen Therapie“, betonte er in einer Pressemitteilung im Nachgang zur heutigen Gerichtsverhandlung. 

Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Oktober 2024, Az. L 4 KR 254/22 KL und L 4 KR 289/22 KL


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


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