Woche der Demenz

Demenz: Hohe LDL-Spiegel und Sehverlust sind neue Risikofaktoren

16.09.2024, 09:13 Uhr

Die Vorstellung, an einer Demenz zu erkranken, ist für viele Menschen beängstigend. Die gute Nachricht: Zahlreiche Risikofaktoren können wir beeinflussen. (Foto: Osterland/AdobeStock)

Die Vorstellung, an einer Demenz zu erkranken, ist für viele Menschen beängstigend. Die gute Nachricht: Zahlreiche Risikofaktoren können wir beeinflussen. (Foto: Osterland/AdobeStock)


 14 modifizierbare Risikofaktoren sind für knapp die Hälfte aller Demenzfälle verantwortlich -theoretisch. Warum Experten nur rund zehn Prozent für wirklich vermeidbar halten.

Vom 16. bis 22. September 2024 findet unter dem Motto „Demenz - Gemeinsam. Mutig. Leben.“ die Woche der Demenz statt. Dabei soll mit verschiedenen Veranstaltungen das Verständnis und die Unterstützung für Betroffene und pflegende Angehörige gefördert werden. Doch auch die Prävention von Demenzerkrankungen rückt in diesen Tagen in den Fokus der Öffentlichkeit. 

Risikofaktoren für Demenz erkennen

Die „Lancet Commission on Dementia Prevention, Intervention, and Care“, ein internationales Team von Demenz-Forschenden, hat in ihrem aktuellen Report dem bekannten Dutzend an vermeidbaren Risikofaktoren zwei weitere hinzugefügt: zu hohe LDL-Cholesterolspiegel und unbehandelten Sehverlust. Den Berechnungen der Experten zufolge wären ohne den Risikofaktor eines erhöhten LDL-Cholesterolspiegels 7 % weniger Demenzfälle zu erwarten, ohne den Risikofaktor Sehverlust 2 % weniger. 

Die Evidenz für die Bedeutung der Blutfette war lange Zeit inkonsistent. Die Lücke schloss 2023 eine Metaanalyse dreier Kohortenstudien mit insgesamt über 1,1 Millionen Teilnehmern, die LDL-Veränderungen bei Erwachsenen unter 65 Jahren über einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten nachverfolgt hatten: Jeder Anstieg um 1 mmol/l LDL-Cholesterol (38,7 mg/dl) ließ die Inzidenz von Demenz jeglicher Ursache um 8 % steigen. In einer weiteren Studie ähnlicher Größenordnung war erhöhtes LDL (> 3 mmol/l bzw. 116 mg/dl) mit einem 33 % erhöhten Risiko für Demenz verbunden. Weitere Studien lieferten Hinweise, dass sowohl gesunde Ernährung als auch lipidsenkende Arzneimittel das Demenzrisiko begrenzen können.

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Welche Lebensstiländerungen sind in welcher Lebensphase sinnvoll, um einer Demenz vorzubeugen? Den vollständigen Bericht der Lancet-Kommission sowie die Einordnung der Ergebnisse durch zahlreiche Experten fasst DAZ-Autor Ralf Schlenger im Artikel "Wie viel Demenz ist vermeidbar" in DAZ 2024 Nr. 38, S. 44 zusammen. 

Neuer Risikofaktor: Sehschwäche

Eine unbehandelte Sehverschlechterung und krankheitsbedingter Sehverlust bis hin zur Blindheit sind mittlerweile in zahlreichen Studien auf ihre Assoziation mit kognitiven Veränderungen untersucht worden. Die Evidenz umfasst 26 Metaanalysen prospektiver Studien; sie schlossen weit über sechs Millionen ältere Erwachsene ein, die anfangs kognitiv gesund waren und bis zu 14,5 Jahre beobachtet wurden. Unterm Strich war ein Verlust an Sehvermögen mit einer Risikoerhöhung von rund 35 % für kognitive Verschlechterung bzw. 47 % für eine Demenzentwicklung verbunden. 

Eine weitere Metaanalyse, die eine Risikoerhöhung von 38 % fand, schlüsselte nach Ursachen des Sehverlustes auf. Ein erhöhtes Demenzrisiko war mit Katarakten (grauer Star) und diabetischer Retinopathie assoziiert, nicht jedoch mit Glaukom (grüner Star) oder altersbedingter Makuladegeneration. Dass sich in einer weiteren Studie eine Kataraktoperation als Demenz-protektiv erwies, werten die Lancet-Autoren als Hinweis auf eine kausale Beziehung, ebenso wie die Abhängigkeit des Demenzrisikos vom Grad des Sehverlustes in einer koreanischen Studie.

14 Faktoren

Die Lancet Kommission empfiehlt als spezifische Maßnahmen zur Reduzierung des Demenzrisikos im gesamten Lebensverlauf:

  1. Gute Schulbildung und kognitiv anregende Aktivitäten in der Lebensmitte
  2. Menschen mit Hörverlust mit Hörgeräten versorgen und schädliche Lärmbelastung verringern
  3. Depressionen effektiv behandeln
  4. Helme und Kopfschutz tragen bei Sport und auf dem Fahrrad
  5. Körperliche Aktivität und Sport
  6. Zigarettenrauchen reduzieren durch Aufklärung, Entwöhnungsberatung, Preiskontrolle, Rauchverbote an öffentlichen Orten
  7. Bluthochdruck vermeiden: maximal 130 mmHg systolisch ab dem 40. Lebensjahr anstreben
  8. Hohen LDL-Cholesterolspiegel ab der Lebensmitte erkennen und behandeln
  9. Gesundes Körpergewicht halten
  10. Diabetesentwicklung/Blutzucker-Spiegel im Auge behalten
  11. Alkoholkonsum begrenzen durch Preiskontrolle und erhöhtes Bewusstsein für die Risiken übermäßigen Konsums
  12. Altersfreundliche unterstützende Gemeinschaften bilden, die soziale Isolation verringern, Teilnahme an Aktivitäten und Zusammenleben mit anderen erleichtern
  13. Screening und Behandlung von Sehverlust für alle zugänglich machen
  14. Luftverschmutzung reduzieren

Überhöhte Erwartungen? 

Könnte man alle 14 Risikofaktoren ausschalten, wären 45 % aller Demenzerkrankungen vermeidbar. Dies ist jedoch fern von einer realistischen Annahme, kritisieren Experten. Ein Versprechen von 45 % Risikosenkung, wie es vereinfacht in Laienmedien kolportiert wurde, würde die Erwartungen an Demenzprävention unrealistisch hochschrauben. Das in der Prävention steckende Potenzial schätzen Fachleute um die 10 % pro Dekade ein, vorausgesetzt, dass die Rahmendaten für Wohlstand und die Qualität der allgemeinen Gesundheitspflege sich weiter verbessern. Zwei Drittel der Risikofaktoren für Demenz sind auch Risiken für das kardiovaskuläre System; deshalb wirkt sich ein gesunder Lebensstil nicht nur kardiovaskulär, sondern auch kognitiv protektiv aus.


Ralf Schlenger, Apotheker. Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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